Frankfurt, Konzert: „Opern- und Museumsorchester“ unter Mario Venzago

Es ist selten, gleich mehrfach in einem Konzert Kompositionen zu hören, in welchen die Form der Passacaglia verwendet wurde. Im aktuellen Museumskonzert war zunächst die gut zehnminütige Passacaglia von Anton Webern angesetzt, die der junge Komponist 1908 schrieb.

Ein Werk voller Kontraste und Gegensätze im spätromantisch eingefärbten Klanggewand, welches zuweilen dissonante Risse erfährt. Kontrapunktisch meisterlich ausgearbeitet, wechselt Webern zwischen den dynamischen Extremen, vereint kammermusikalische Soli mit Ballungen im Fortissimo. Die Musik raunt und koloriert unentwegt. Leicht ist es, sich in den Klangballungen zu verirren. Mit dem Schweizer Gast-Dirigenten Mario Venzago gab es diese Gefahr zu keinem Moment. Venzago ist immens erfahren mit den Komponisten der sog. „Wiener Schule“, zu denen Anton Webern zählte. Mit hoher Konzentration und klarem Aufbau bahnte sich Venzago den Weg durch das üppig wuchernde Geflecht des jungen Webern. Mit viel Klangsinn fächerte Venzago die Stimmen auf und sorgte für maximale Transparenz. Der jugendstilfarbigen Ornamentik gab er weiten Raum zur Entfaltung. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester spielte mit großem Können und merklicher Hingabe das diffizile Werk.

(c) Alberto Venzago

Dann ein großer Kontrast: Wolfgang Amadeus Mozart. Im Jahr 1791 wurde das Klarinettenkonzert der staunenden Öffentlichkeit präsentiert, sein letztes Instrumentalwerk. Mozart liebte dieses Instrument sehr. Tatsächlich gilt dieses Werk seither als Inbegriff, um den warmen Zauber dieses faszinierenden Holzblasinstrumentes in alles Facetten zu erleben. Vergleichsweise umfangreich ist der erste Satz, der drei Themen sorgsam ausgestaltet. Das Adagio gehört zu den populärsten Werken Mozarts überhaupt und wurde u.a auch durch die Verwendung als Filmmusik („Jenseits von Afrika“) weit in die Welt hinausgetragen.  Ein fröhliches, tänzerisch anmutendes Rondo beendet diese kompositorische Kostbarkeit.

Als Solistin war die Belgierin Annelien Van Wauwe zu erleben. Sie studierte bei Sabine Meyer und spielte zunächst u.a. Soloklarinette im Orchestre de Paris. Ihre Solisten Laufbahn brachte sie auf viele internationale Festivals und mit renommierten Orchestern zusammen. Zudem unterrichtet sie seit einigen Jahren am Konservatorium in Antwerpen.

(c) Joello Van Autreve

Mit feinem Klangsinn und souveräner technischer Virtuosität kostete sie ihren Part hinreichend aus. Im Verein mit dem sie wunderbar begleitenden Orchester entstand ein herrliches Zusammenspiel, was erwartungsgemäß seinen Höhepunkt im bezaubernden Adagio fand. Mit großer Kantabilität trug sie die Klangschönheit ihres Instrumentes in den Saal. Spielerische Innigkeit gaben diesem Meisterwerk einen bestechenden Glanz. Verblüffend war gerade in diesem Satz das völlig synchrone Zusammenspiel mit dem lichten Klang des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters. Mario Venzago realisierte auch hier eine mustergültige Durchhörbarkeit der Orchesterstimmen und trug seine Solistin auf Händen. Annelien Van Wauwe konnte sich denn auch über viel Zuspruch aus dem Auditorium freuen. Als Zugabe wählte sie „Duft“ von der zeitgenössischen finnischen Komponistin Kaija Saariaho.

Nach der Pause stand dann die vierte Sinfonie von Johannes Brahms im Mittelpunkt, welche in den Jahren 1884 und 1885 entstand. Dieses Werk ist seit jeher nicht mehr aus dem Konzertleben wegzudenken. Ein besonderer, eigenartiger Zauber geht von ihm aus. Brahms öffnet zu Beginn sogleich den Vorhang für den Zuhörer und lässt mit den absteigenden Terzen mit aufsteigenden Sexten einen Dialog beginnen. In einer gewaltigen Coda werden die Hauptthemen gesteigert und auf einen finalen Zielpunkt geführt. Das anschließende Andante ist ein elegischer, schreitender Gesang, vor allem für die Bläser und Celli. Ein jäher Stimmungswechsel folgt mit dem übersprudelnden Allegro giocoso des dritten Satzes. Heiterer Trubel voller Lebensfreude in hellstem C-Dur umgarnt und überwältigt den Zuhörer mit satten Bläserfanfaren und perlender Triangel. Wie streng, wie groß ist der Kontrast dazu im beschließenden vierten Satz! Hier verwendete Brahms barocke Stilelemente der Passacaglia und der Chaconne. In 30 Variationen werden choralartige Themen und fortwährende Modulationen in einer Unerbittlichkeit ausgeführt, die eben nur dieses, so besondere, düstere und schroffe Ende in e-Moll zulässt.

Mario Venzago und Johannes Brahms haben sich gefunden. Es hat lange gedauert, bis der Maestro sich diesem Komponisten zuwenden konnte. Nun gehört er zu seinem heutigen Kernrepertoire und es ist spannend zu erleben, wie intensiv er diese Musik neu befragt. Im hellen, überaus genau gehörten Orchestergeflecht, war erneut eine ausgeprägte Transparenz zu vernehmen. Das Wechselspiel zwischen dem großen satt klingenden Streicherapparat und den warm intonierenden Holzbläsern geriet vorbildlich. Trompeten und Posaunen wurden grundierend in das Klangbild eingefügt. Auch die Pauke war klar in den rhythmischen Impulsen zu vernehmen. Venzago gestaltete diese Sinfonie als großen sinfonischen Bogen, ohne dass die Musik sich in Einzelsegmente untergliederte, wie dies gerade bei Brahms leicht passieren kann. Sein Brahms wählte einen Mittelweg zwischen herber Sprödigkeit und warmer Tongebung. Fast konnte der Zuhörer sich an Clara Schumanns Ausführungen erinnert fühlen, die die Musik von Brahms überaus bildhaft zu beschreiben wusste, in welchen sie von Landschaften und Jahreszeiten berichtete.

Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester war vorbildlich spielfreudig und hoch engagiert. Soli- und Tutti-Beiträge gefielen außerordentlich. Besonders lobenswert waren die leuchtend volltönende Horngruppe und die sensiblen Holzbläser.

Eine Brahms-Deutung von herber Schönheit in edlem Klanggewand.  Entsprechend groß und andauernd war der Beifall des Publikums.

Dirk Schauß, 14. Februar 2023


Alte Oper Frankfurt

13. Februar 2023

Anton Webern – Passacaglia op. 1

Wolfgang Amadeus Mozart – Klarinettenkonzert A-Dur KV 622

Johannes Brahms – Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98

Annelien Van Wauwe, Klarinette

Mario Venzago, Leitung

Frankfurter Opern- und Museumsorchester