Nicht selten kommt es anders als geplant. Sehr kurzfristig musste Gast-Dirigent Dennis Russell Davies krankheitsbedingt absagen, so dass bereits die Matinee am Sonntag komplett abgesagt werden musste. Bedauerlicherweise hatte dies auch Auswirkungen auf das vorgesehene Programm. Immerhin soll die ursprünglich vorgesehene dritte Sinfonie von Joachim Raff zu einem späteren Zeitpunkt gespielt werden.
Für Davis sprang Takeshi Moriuchi, musikalischer Studienleiter an der Oper Frankfurt, ein. Moriuchi hatte kaum Zeit zur Vorbereitung. Manchmal sind das keine schlechten Voraussetzungen für besondere Konzerterlebnisse. Vor wenigen Tagen erst dirigierte Moriuchi am gleichen Ort eine Vorstellung von Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“. Mit dem ersten Vorspiel zu diesem Werk begann das Konzert.
Auswendig dirigierend ließ Moriuchi das Frankfurter Opern- und Museumsorchester groß aufspielen. In fließendem Grundtempo konzentrierte sich Moriuchi auf einen groß tönenden Mischklang, der farbenreich wirkte und auch die motivischen Verästelungen gut herausarbeitete. Das derzeit viel geforderte Orchester wirkte hoch konzentriert und begeisterte mit seiner großen Flexibilität bei edler Klangkultur.
Mit Alena Baeva stellte sich eine spielfreudige russische Geigerin vor, die dem 1935 entstandenen zweiten Violinkonzert von Sergej Prokofjew viel eigenes Profil gab. Das Konzert wirkt in seiner Anlage neo-klassizistisch. Das liedhafte Hauptthema kam durch Baevas Sensitivität prägnant zur Geltung. Bereits die beginnende Solo-Intonation sorgte für Aufmerksamkeit. Die Solistin suchte immer wieder einen natürlichen Tonfall und arbeitete zudem die kantablen Elemente im zweiten Satz mit großer Ruhe heraus. Das erhabene Andante war der emotionale Höhepunkt. Hier verschmolzen Solistin und Orchester zu einer beeindruckenden Einheit. Immer wieder faszinierten ihre virtuosen Möglichkeiten, die dann vor allem im beschließenden Allegro Satz zu bestaunen waren. Hier ergaben die klappernden Kastagnetten ein besonderes Kolorit. Bei aller Virtuosität war es vor allem der intensiv tönende Klang, welchen Baeva ihrem Instrument entlockte. Dazu gefiel sie mit großer Natürlichkeit und empfundenem Ausdruck.
Das Publikum zeigte sich begeistert. In einer emotionalen Ansprache bedankte sich Baeva und wies darauf hin, dass es für sie ein besonderer Moment sei, überhaupt in diesen verrückten Zeiten spielen zu dürfen. In diesem Sinne war auch ihre Zugabe ausgewählt: der erste Satz einer zeitgenössischen Sonate, die vom Dunkel ins Licht führte.
„Aus seinen musikalischen Abfällen könnte sich jeder andere Komponist die Hauptthemen zusammenklauben“, sagte Johannes Brahms einmal über Antonín Dvořák. Was für eine Aussage! Wie treffend!
Dvořák hatte einen unendlichen Zustrom an wunderbarsten Melodien. Davon konnte Brahms nur träumen. Wie sehr musste er sich zuweilen plagen. 1875 freundeten sich die beiden Komponisten an, und diese Freundschaft war ein Wendepunkt in Dvořáks Leben: Brahms, acht Jahre älter und bereits ein etablierter Komponist. Nun, er sorgte dafür, dass Dvořáks Werke beim Musikverlag Simrock veröffentlicht wurden. Damit fand Dvořáks Musik endlich größte internationale Beachtung! Die Sinfonischen Variationen für Orchester gehören zu den ersten größeren Werken, die nach dieser Lebenswende entstanden.
Das Thema der Variationen stammt von Dvořák. Grundlage war für ihn der Männerchor „Ich bin ein Geiger“, komponiert Anfang 1877. Noch im selben Jahr entstanden die Orchestervariationen. Hoch musikantisch und mit viel folkloristischem Flair gelang hier ein originelles Werk. Knapp dreißig Variationen sind zu erleben, die sodann in einem zündenden Volksfest Finale zu einem wirkungsvollen Abschluss gebracht werden.
Takeshi Moriuchi gestaltete diese abwechslungsreiche Komposition mit klarer Zeichengebung und viel Liebe zum Detail. Dynamisch fein abgestuft kümmerte er sich bevorzugt darum, stets das Hauptthema der Komposition in den Mittelpunkt zu stellen. Mit feiner Agogik und passendem Timing gelang ein sehr lebendiger und mitreißender Vortrag. Auch hier verwöhnte das Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit einer fabelhaften Umsetzung. Die Klarinetten schienen direkt aus Böhmen importiert, Horn und Violine gefielen in ihren Soli. Die Posaunen hatten ihren großen markigen Auftritt, der an einen persiflierten Drachen denken ließ.
Zum stimmungsvollen, vorweihnachtlichen Abschluss erklang das Vorspiel zur Oper „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck. Eine gelungene Idee, zumal Humperdinck ein großer Verehrer der Musik Richard Wagners war. Und so war es eine willkommene Gelegenheit, die beiden bekannten Opernvorspiele in einem Konzert zu erleben. Dirigent Takeshi Moriuchi sprach zuvor Worte des Dankes an das Orchester, das Publikum und sendete Genesungswünsche an seinen erkrankten Mentor, Dennis Russell Davies. Und dann beschenkte Dirigent und Orchester das leider an diesem Abend nicht so zahlreich erschienene Publikum mit einem beseelten Vortrag des Vorspiels zu Humperdincks Meisterwerk!
Weihnachten kann kommen! Auch das neue Jahr! Bleiben wir zuversichtlich und lassen wir uns von der Musik aufrichten. Es ist wohltuend, insbesondere wenn ein solch unerwarteter Überraschungsabend mit derart überzeugenden Beiträgen gelungen ist.
Viele freudige Gesichter im Publikum.
Dirk Schauß 13. Dezember 2022
Alte Oper Frankfurt 12. Dezember 2022
Richard Wagner Vorspiel zu „Die Meistersinger von Nürnberg“
Sergej Prokofjew „Violinkonzert Nr. 2 g-Moll op. 63“
Antonin Dvořák „Sinfonische Variationen op. 78“
Engelbert Humperdinck Vorspiel zu „Hänsel und Gretel„
Violine: Alena Baeva
Dirigat: Takeshi Moriuchi
Frankfurter Opern- und Museumsorchester