Besuchte Premiere am 25.01.20
Auf den Punkt
Dreihundertvierunddreissig Jahre lebt Elina Makropulos bis sie ihr Leben aufgibt und verliert dabei ihre Menschlichkeit, weil sie ihre Lieben in der Sterblichkeit zurücklässt, immer wieder die gleichen Wiederholungen mit anderen Männern erlebt und sich schließlich in ihrer Egozentrik immer mehr auf sich selbst zurückzieht. Die "Sache Makropulos", jenes Rezept was zu ihrer Alterslosigkeit führt, lässt nach, was zu immer mehr Unkontrolliertheit und Müdigkeit führt. Die intelligente Fassade bröckelt in der Öffentlichkeit, was skurrile Situationen mit den Mitmenschen mit sich bringt. Leos Janaceks Oper nach einer Vorlage von Karel Capek ist sowohl Lebensdrama, wie auch burleske Komödie. Am Anhaltischen Theater Dessau gelingt Jakob Peters-Messer eine perfekte Inszenierung, die diesen "Mystery-Thriller" bis zum Schluss mit bitterem Humor füllt. Markus Meyer stellt mit einem morbiden Theaterraum die perfekte Szene für die surreale Erzählung, wenige Möbel und Requisiten verweisen auf das jeweilige Umfeld der Szene, sparsam und sinnvoll eingesetzte Videos lassen in dieses Leben zwischen den Jahrhunderten eintauchen.
Die Personen sind von Sven Bindseil geschmackvoll und treffend gekleidet, vor allem die Diva E.M., die Initialien unter denen die Makropulos immer neue Identitäten annimmt. In diesem konventionellen Umfeld entfacht Peters Messer ein spannendes Kammerspiel, das bis zum Finale in Atem hält und viel Herz für die zynisch gewordene Titelfigur zeigt.
Was natürlich auch nur mit einem exquisiten Ensemble, wie in Dessau gelingt. Kammersängerin Jordanka Derilova wieder einmal an erster Stelle, diese Frau hat in den letzten Jahren alle grossen Partien ihres Faches gesungen, von den Brünnhilden über die italienischen Partien bei Verdi und Puccini. Stimmlich auf der Höhe bis auf die beanspruchenden Bögen im Finale, von großer Bühnenpräsenz, erfüllt sie die komplexe Partie der Emilia Marty schon bei ihrem Rollendebut bis ins letzte Quäntchen, vielleicht die beste Interpretin dieser Partie, die ich bis jetzt erleben durfte.
Um sie herum die so herzlos wirkenden Männer in ihrer Begierde nach Sex, Liebe oder Auflösung eines juristischen Falles: Ulf Paulsens potenter Macho Prus, dessen unterdrückter Sohn Janek von Christian Sturm, die "Detektive" Vitek und Kolenaty von David Ameln und Kostadin Argirov, der schwankende Urneffe Albert Gregor von Tilmann Unger, alle agieren und singen auf Augenhöhe. Dazu die "normale" Krista von Cornelia Marschall. Einzig an Alexander Nikolic`s Hauk-Schendorf könnte man nörgeln, das er zu jung für den alten Narren wirkt. Die nicht unwichtigen Klein-und Nebenrollen ebenfalls alle überzeugend.
Auch aus dem Graben klingt ein spannender Janacek mit der bestens aufgelegten Anhaltischen Philharmonie Dessau, der man die Freude an den anspruchsvollen Aufgaben Janaceks spürbar anmerkt. Normalerweise klingt gerade "Die Sache Makropulos" relativ spröde innerhalb der Janacek-Opern, den musikalisch weitgehend als Konversationsstück komponiert, schwingt es sich lediglich in der Ouvertüre und im Finale zu größeren melodischen Bögen auf.
Doch mit Markus L. Frank am Pult erklingt alles sehr mitreißend, selten hört man , wie an diesem Abend, die manchmal recht kleinteilige Motivik, wobei das Phänomen bei Janacek nicht so sehr über Melodik, als über den Klang kommt.
Ein ganz runder Abend mit bestechender Regie in schöner und sinnfälliger Ausstattung, mit ganz tollen Sängern und einem großartigen Orchester samt Dirigenten; eben auf den Punkt. Das Premierenpublikum geizte nicht mit Akklamationen, obwohl die Auslastung bei der Premiere besser sein könnte. Liebe Opernfreunde fahrt hin, ihr werdet es nicht gereuen !
Martin Freitag, 27.1.2020
Fotos: Claudia Heysel