Besuchte Aufführung am 08.04.17 (Premiere am 27.01.17)
Eine Frau will nach Oben
Einige Gründe sprechen für die Wiederaufnahme von Eduard Künnekes Operette "Lady Hamilton" in den Dessauer Spielplan, erstens ist die Musik von Künneke hervorragend komponiertund besitzt echte Ohrwürmer, der Komponist schätzt es unter seinen eigenen Werken selbst relativ hoch ein; zweitens ist die Geschichte der Emma Hamilton interessant, weil sich eine Frau von der Spelunkentänzerin gegen ihre Liebe zu einem hübschen spanischen Seeoffizier entscheidet, dafür durch ihre Ehe mit Lord Hamilton in die höchsten englischen Kreise begibt, später eine Affäre mit dem Seehelden Lord Nelson beginnt; drittens weil das Ehepaar Hamilton wahrscheinlich auf seinem Lebensweg auch die Stadt Dessau streifte, zumindest gibt es im Wörlitzer Schlosspark eine Villa Hamilton, in der sie sich aufhielten, außerdem gibt es eine wunderschöne Englische Rose "Lady Emma Hamilton", doch das nur nebenbei.
Unterhaltung und Operette war schon zu seinen Wuppertaler Zeiten "Chefsache" für Intendant Johannes Weigand, das er für das schwere "leichte Genre" ein Händchen besitzt und Operette ernst nimmt , weiß man daher. So lädt auf der großen Dessauer Bühne die Operette mit drei Stunden Spieldauer zu einem großen Abend ein. Die Geschichte Emma Hamiltons wird mit hervorragend gestalteten Dialogszenen voller Humor und dem nötigen Augenzwinkern vor den Zuschauern ausgebreitet, die weitgehend unbekannte Musik von der Anhaltischen Philharmonie Dessau unter Elisa Gogou schmissig serviert. Moritz Nitsches Bühnenbilder geben den Augen das nötige Futter, die englische Spelunke ist vielleicht etwas sauber, die englische Botschaft in Neapel besitzt den großen Schwung italienischer Sujets der Zeit, sehr schön das Zitat der Wörlitzer "Villa Hamilton", ganz bezaubernd die schlichte, effektvolle Lösung für die Szene auf dem Schiff Lord Nelsons. Judith Fischer entwarf dabei die weitgehend historischen farbenfrohen Kostüme oder passend zu Künnekes Musik den Schuss Zwanziger Jahre. Wie bereits geschrieben, weiß Regisseur Weigand die Figuren glaubhaft zu bewegen, ihnen den rechten Schuss "Operette" mitzugeben, der den Abend nie langweilig werden läßt. Einzig die Choreographie von Joe Monaghan wirkt etwas einfallslos und lkönnte mehr Schwung gebrauchen. Schön wäre es auch die Gesangstexte als Obertitel einzublenden, da das gesungene Wort bei den durchaus witzigen Texten nicht immer verständlich ist.
Eine Operette braucht eine Operettendiva: mit Cornelia Marschall als Emma Lyons/Hamilton steht eine auf der Dessauer Bühne, man könnte sie eine anhaltische Fritzi Massary bezeichnen, da ist nicht alles perfekt, das heutige Schönheitsideal (Magerkotelette) steht nicht auf der Bühne, aber sie hat die nötige Bühnenpräsenz, viel Charme und das gewisse "Je ne sai quoi", dazu eine musikalische Gestaltungskraft. kann Pointen setzen und weiß, wann es Zeit für das rechte Gefühl ist. Ihr erster ist der spanische Seeoffizier Don Alfredo Bartos: Rodrigo Porras Garulo bringt das gute Aussehen eines "Latin Lovers" mit und kann mit schönem tenoralem Schmelz aufwarten; ihr zweiter Sir William Hamilton: Karl Thiele zeigt britische Trockenheit und weiß das rechte Maß zwischen leichter Buffonerie wie echter Darstellung zu finden, ihr dritter ist schließlich Kapitän Horatio Nelson: Stephan Kordes weist in der Sprechrolle alle Attribute des reifen , attraktiven Seehelden auf. Ganz hervorragend das Buffotrio David Ameln als Buffotenor Lord Percy Harwich, der Maler George Romney gespielt von Alexander Nikolic und die bezaubernde Annika Boos, die weiß wie man als Kitty Grant die Männer um den Finger wickelt. Unter den vielen Nebenrollen, die ganz großartig aus der Chorriege bestzt sind, sticht Christel Ortmann als Vertraute und Zofe Mary Ann noch besonders durch charaktervolle Gestaltung hervor. Der Opernchor unter Sebastian Kennerknecht hat seh-und hörbar Spaß an seinen Gesangs-, Spiel- und Tanzaufgaben.
Wer unbekannte, klassisch gespielte Operette sehen möchte, sollte unbedingt die "Lady Hamilton" in Dessau nicht verpassen, die Fahrt lohnt, die Freude liegt dann ganz bei Kritiker und Publikum. Ein wirklich schöner Abend.
Martin Freitag 15.5.2017
Fotos von Claudia Heysel