Besuchte Aufführung: 6.12.2018 (Premiere: 23.11.2018)
Strindberg’sches Kammerspiel oder Szenen einer Ehe
Zu einem insgesamt gelungenen Abend geriet die Neuproduktion von Verdis Otello an der Bayerischen Staatsoper. Wer gehofft hatte, dass Regisseurin Amélie Niermeyer zusammen mit Christian Schmidt (Bühnenbild) und Annelies Vanlaere (Kostüme) die Oper konventionell deuten würde, sah sich in seinen Erwartungen getäuscht. Die Herangehensweise des Regieteams an das Werk war durchaus modern und ausgesprochen psychologisch. Daraus resultierte eine große Spannung. Es war gerade dieser ungewöhnliche äußere Rahmen, der einen die Handlung in hohem Maße gespannt verfolgen ließ. Interessant ist schon das Bühnenbild, in dem sich die dramatische Handlung abspielt. Die Bühne wird von einem riesigen schwarzen Raum mit Ehebett, Kamin und Sessel eingenommen, der bereits in einem frühen Stadium des Geschehens das tragische Ende symbolisiert. In ihn fügt sich ein kleines weißes, auf die gleiche Art und Weise eingerichtetes Zimmer ein, das für Desdemonas Unschuld steht. Zu Beginn jeden Aktes dreht sich der Raum um eine Vierteldrehung – ein Eindruck, der mit Hilfe von Video-Zooms hervorgerufen wird.
Chor und Ensemble der Bayerischen Staatsoper
Das Ganze wird aus der Perspektive Desdemonas erzählt, die mal ein langes weißes Kleid, mal einen dunklen Hosenanzug trägt. Sie ist immer wieder auch an Stellen auf der Bühne, an denen Verdi gar keinen Auftritt für sie vorgesehen hat. Ein guter Einfall! Mit Tschechow’schen Elementen kann Amélie Niermeyer umgehen, das wurde an diesem Abend offenkundig. Zu Beginn befindet sich Desdemonas allein in dem gleichsam in Lüften schwebenden kleinen weißen Raum. Der Chor und die Solisten sind unter ihm platziert. Der äußere Orkan wird zum inneren Sturm Desdemonas, die voller Angst und Sorge auf Otellos Rückkehr wartet. Es ist ein großes Verdienst der Regisseurin, dass sie Desdemona von dem Nimbus der traditionellen Heulsuse befreit und aus ihr eine starke, selbstbewusste Frau macht, die das Risiko liebt und auch gerne mit dem Feuer spielt. Es gehörte zu den stärksten Augenblicken der Inszenierung, als sich ein Desdemona-Double am Kamin selbst den Arm anzündete. Dieses Bild war indes nicht real zu begreifen, sondern stellte eine gedankliche Projektion Desdemonas dar.
Jonas Kaufmann (Otello), Anja Harteros (Desdemona)
Otello ist in dieser Produktion kein Mohr, sondern weiß. Das mag zeitgemäß sein. Schon bei Shakespeare ist sein Aussehen ja bewusst unscharf gehalten. Verdi und sein Textdichter Boito haben diese Idee dann weiterentwickelt. Auffällig ist, dass das Wort Mohr immer nur von Jago verwendet wird. Es ist sehr gut möglich, dass er diesen Begriff nur als Schimpfwort für den von ihm gehassten Otello verwendet. Deshalb kann dieser ruhig weiß sein. Zudem sind die hier verhandelten Konflikte wie Liebe und Eifersucht nicht an eine bestimmte Hautfarbe gebunden. So oder so ähnlich wird Frau Niermeyer sich das gedacht haben. Dass sie dem Stück damit jegliche rassische und politische Dimension nimmt, steht auf einem anderen Blatt. Darüber hinaus ist Otello aber auch sonst ganz anders, als man ihn sich vorstellt. Die Regisseurin stellt ihn in keiner Weise als strahlenden Heerführer dar, sondern als überaus normalen Büroangestellten, von dem man sich fragen muss, was seine Frau eigentlich an ihm findet. Er wirkt nicht wie ein tapferer Kriegsheld, sondern eher wie ein Schwächling. Nein, stark ist dieser Bürokrat mit Kurzhaarschnitt überhaupt nicht. In ihm ist nur Leere. Zudem leidet er an einem starken Trauma, das ihn anders sein lässt als die übrigen Mitglieder der Gesellschaft. Traumen und nicht die Hautfarbe sind es mithin, die ihn zu einem Außenseiter machen. Nachhaltig wird von Amélie Niermeyer die Frage aufgeworfen, ob solch ein Mensch, der bereits so viel Schlimmes erlebt hat, überhaupt noch lieben kann. Jedenfalls hat es zu Beginn den Anschein, als würden Otello und Desdemona nur aneinander vorbei leben. Nachdem der Kriegsheimkehrer in Desdemonas Zimmer sein Esultate gesungen hat, setzt er sich erschöpft auf das Bett, ohne seine Frau zu umarmen. Erst beim Liebesduett gehen die beiden aufeinander zu. Es sind Szenen einer Ehe, die hier vorgeführt werden. Das Ganze wird als Kammerspiel Strindberg’scher Prägung auf die Bühne gebracht. Auch Namen wie Ibsen und Bergmann wird die Regisseurin bei der Konzeption im Kopf gehabt haben.
Gerald Finley (Jago), Anja Harteros (Desdemona), Chor der Bayerischen Staatsoper
Die ganz besondere Liebe von Frau Niermeyer gilt der Figur des Jago. Hier wird ihre Meisterschaft besonders deutlich. Sie stellt keinen traditionellen Opernbösewicht auf die Bühne, sondern verleiht ihm Züge von Goethes Mephisto. Obwohl er leger im T-Shirt und gestreiften Hosen auftritt, kann man ihm eine ausgeprägte intellektuelle Komponente nicht absprechen. Er macht eine Entwicklung durch. Zu Beginn ist er nichts weiter als ein Spieler, der im Lauf des Geschehens aber immer deutlicher spürt, dass etwas Dämonisches in ihm schlummert. Dies geht so weit, dass er den anfangs wohl gar nicht beabsichtigten Tod Desdemonas mit der Zeit immer mehr als durchaus möglich akzeptiert. Das wird insbesondere im zweiten Akt deutlich, als die Kinder Desdemonas Bett mit Blumen schmücken. Dabei hilft Jago im Frauengewand fleißig mit. Desdemona wirkt hier wie aufgebahrt. Ihr Tod wird an dieser Stelle bereits angedeutet. Im vierten Akt wird Otello das Bett seiner Frau in gleicher Weise mit Blumen schmücken wie es im zweiten Akt die Kinder getan haben. Jago tut alles, um sein Ziel zu erreichen. Wenn er sich im Lauf des Stücks immer wieder an Otello anschmiegt, könnte man sogar auf den Gedanken einer homoerotischen Veranlagung des Intriganten kommen. Was das angeht, hätte Frau Niermeyer indes stärkere Zeichen setzen müssen. So bleibt dieser Punkt offen. Insgesamt ist ihr aber eine durchaus eindringliche, spannende Regiearbeit zu bescheinigen, die von einer stringenten Personenregie geprägt ist.
Anja Harteros (Desdemona), Jonas Kaufmann (Otello)
Einen zwiespältigen Eindruck hinterließ Jonas Kaufmann in der Titelpartie. Als Otello ist er noch steigerungsfähig. Bereits das einleitende Esultate klang erstaunlich stumpf. Im Folgenden fehlte ihm rein stimmlich stark das Stanima für die Rolle. Vokales Charisma und Heroentum gingen ihm gänzlich ab. Auch von den Racheschwüren im zweiten Akt hätte man mehr erwartet. Manchmal klang er etwas introvertiert. Viele dramatische Stellen wurden zu vorsichtig angegangen. Zwar war er sehr auf Differenzierung bedacht, bei Pianissimo-Stellen ging er aber öfters vom Körper weg und gefiel sich wieder einmal darin, die Luft zu stauen. Darstellerisch war er besser. Seine Lockenpracht hat er nicht geopfert. Er trug eine Perücke. Insgesamt gut gefiel Anja Harteros als Desdemona. Im Lauf der Zeit ist ihr ansprechender, gut fokussierter Sopran noch größer und voller geworden. Ihre lyrischen Fähigkeiten sind nach wie vor bezaubernd, innig und einfühlsam die herrlichen Piani. Unter diesen Voraussetzungen geriet das Lied von der Weide zu einem Höhepunkt der Aufführung. Lediglich in der Höhe wies die Stimme einige leichte Schärfen auf, die die Sängerin wieder eliminieren sollte. Eine Glanzleistung erbrachte Gerald Finley in der Rolle des Jago. Schon schauspielerisch vermochte er voll und ganz zu überzeugen. Er hatte sich die Auffassung der Regisseurin von der Partie hervorragend zu eigen gemacht und sie äußerlich trefflich ausgefüllt. Auch stimmlich war er mit seinem hell timbrierten, bestens sitzenden, ausdrucksstarken und nuancenreichen Bariton überzeugend. Das war ein Jongleuer mit der Stimme wie man ihn lange nicht mehr erlebt hat. Dramatische und lyrische Stellen gingen eine ideale Verbindung ein. Der Cassio von Evan LeRoy Johnson empfahl sich mit durchschlagskräftigem hellem Tenor nachhaltig für größere Aufgaben. Solide präsentierte sich Gaelano Salas’ Roderigo. Bálint Szabó war als Lodovico ein väterlicher Freund Desdemonas, dem er mit profundem Bass auch gesanglich gerecht wurde. Einen voll und rund klingenden Mezzosopran brachte Rachael Wilson für die Emilia mit. Ordentlich gab Milan Siljanov den Montano. Markus Suihkonen s sonorer Herold rundete das Ensemble ab. Auf hohem Niveau präsentierte sich der von Jörn Hinnerk Andresen einstudierte Chor und Kinderchor der Bayerischen Staatsoper.
Jonas Kaufmann (Otello), Gerald Finley (Jago)
Starke Akzente setzten Asher Fisch am Pult und das bestens disponierte, versiert und klangschön aufspielende Bayerische Staatsorchester. Der Dirigent hatte die Musiker bestens im Griff und animierte sie zu einem intensiven, leidenschaftlichen und emotional angehauchten Klang. Bei den Massenszenen des dritten Aktes drehte er den Orchesterapparat mächtig auf, hatte aber auch ein gutes Gespür für leise, getragene Töne an Stellen, an denen es nötig war.
Fazit: Eine insgesamt beachtliche Aufführung, die anzusehen lohnt.
Ludwig Steinbach, 8.12.2018
Die Bilder stammen von Wilfried Hösl