Buchkritik: „Autobiographie Carlo Colombara“

Senza Rancore

Dem altehrwürdigen und frisch modernen Bologneser Musikverlag Bongiovanni, der sich bescheiden immer noch als 70jährig ausgibt, obwohl er bereits die 100 Lebensjahre überschritten hat, ist der Bass Carlo Colombara seit Beginn seiner Karriere verbunden, kamen doch hier erste Aufnahmen mit ihm heraus. Nun hat er, seine Bühnenlaufbahn hat er gerade beendet, auch seine Autobiographie hier verlegen lassen, gemeinsam mit Rino Alessi mit dem Untertitel In giro per il mondo, libero come il canto, was heißt Unterwegs in der Welt, frei wie der Gesang. Mitautor und Sänger wechseln einander ab, besonders wenn es persönlich wird, von Freundschaften und weniger guten Beziehungen zu Kollegen berichtet wird, griff der Sänger selbst zur Feder. Nach dem ersten Teil in italienischer Sprache folgt ein zweiter in Englisch mit einem gleichlautenden Text, aber ganz anderen Fotos, die allesamt bisher unveröffentlicht, da aus dem Archiv des Basses stammend, waren. Das Buch enthält außer der Lebens- und Karrieregeschichte noch eine ausführliche Chronologie und Verzeichnisse von DVDs und CDs. Dazu kommt eine CD, ebenfalls verlegt bei Bongiovanni, auf der Colombara in Arien seiner wichtigsten Partien zu hören ist. Das Vorwort stammt von Zubin Mehta, mit dem der Bass häufig zusammen arbeitete, gewidmet hat das Buch Colombara seiner Mutter.

Hatte der junge Colombara noch viele Kollegen, die sich von Tokio bis New York und von Mailand bis Petersburg die Silvas, Ramfise, Filippi, Procidas des universo verdiano, aber auch Godunows oder Mephistos teilten, sieht er heute die Bühnen mit wenigen Ausnahmen des echten basso profondo beraubt, beklagt einen allgemeinen Niedergang der Oper auch bei den anderen Stimmfächern, verursacht durch eine inadäquate Gesangsausbildung, die Vermittlung falscher Gesangstechniken und beklagt ein allgemeines appiattimento vocale, noioso e fuori stile. Er selbst konnte die großen Bässe, zu denen er vor allem Nikolai Ghiaurov (mit dem er Boris studierte) und Bonaldo Giaiotti zählt, noch auf der Bühne hören, heute sind zu Vorbildern taugende Sänger nur noch mittels ihrer Aufnahmen zu erleben.

Carlo Colombara wurde 1964 in Bologna geboren und beendete, für einen Bass recht früh, seine Bühnenlaufbahn 2024 mit einem Debüt als Dulcamara in Japan. Sein Lehrer war Paride Venturi, der ihn für einen Bariton hielt, erst seine Freundin wies ihn auf seine Bassqualitäten hin, was zu einem vorübergehenden Bruch mit seinem Lehrer führte. Zwei Jahre Militärdienst, handwerkliche Arbeiten, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen, hielten ihn kaum dabei auf, 1985 in Bruneck unter Renato Palumbo als Pianist zu debütieren. Das und viel mehr erfährt der Leser abwechselnd im erzählenden Text des Mitautors und in der Ich-Form, derer sich Colombara bedient.

Als ganz junger Sänger lernt er noch die mostri sacri wie Magda Olivero, Leyla Gencer, Renata Scotto oder Fiorenza Cossotto kennen und erfährt damit freundliche Unterstützung, aber auch manches harsche Wort, so des Mezzos: „Es ist leicht , an die Scala zu kommen, aber schwer, sich dort zu behaupten“. Nun, er konnte es, machte Tourneen nach Moskau und Japan mit dem berühmten Opernhaus und konnte von sich behaupten, dass er nie Ärger mit Dirigenten, nicht einmal mit dem un caratterino besitzenden Daniel Oren, aber viel mit Regisseuren hatte. Man glaubt es ihm, auch wenn die 30er-Jahre-Kostüme für den Attila in Macerata noch relativ harmlos erscheinen.

Besonders verbunden fühlte und fühlt sich Colombara der Stadt Zürich und Nello Santi und Brasilien, wo er regelmäßig Masterclasses abhält. 16 Mal war er bereits beruflich in Tokio, und an Berlin hat er keine guten, allerdings nicht ganz der Wahrheit entsprechende Erinnerungen, wenn er die Aida, während derer der Dirigent Giuseppe Sinopoli starb, als hässlich in Erinnerung hat und behauptet, eine halbe Stunde lang habe der Dirigent keinen medizinischen Beistand erhalten. Ein erschütterndes Ereignis kann manchmal die Erinnerung trüben.

Aber auch die Met und Houston bekommen ihr Fett weg, und das wohl zu Recht, während sich der Bass in Chicago wohl fühlt, hier auch die verhassten Einladungen (stehend schlechtes Essen verzehrend) der Sponsoren eher erträgt.

Colombaras Arbeitsweise ist die des zunächst eine CD-Hörens der Partie, dann die Aneignung des Textes, zuletzt die der Musik. Sechs Monate brauchte er für den Boris, mit Renato Bruson, der sich zunächst recht distanziert zeigt, arbeitet mit ihm am Fiesco, und wie nah sich die beiden Kollegen kamen, zeigt ein lustiges Foto Bauch an Bauch.

Wichtig ist Colombara das Lob der Scotto, die ihn als guten Lehrer bezeichnete, bewundernswert findet er die Fähigkeit Pereiras beim Beschaffen von Sponsorengeldern, bedauern muss er Giacomo Giacomini, in dem sich ein extremes Lampenfieber mit davon ausgelöster Aggressivität vereinen, was der Dirigent Giuseppe Patané schmerzlich zu spüren bekommt. Als gelassen in sich ruhender Bass kann man natürlich mit nervösen Tenören viel erleben.

Das Buch ist interessant, nachdenklich, manchmal auch lustig, gewährt einen tiefen Einblick in leider vergangene Opernzeiten und lässt wünschen und hoffen, dass auch die Zeit des European Trash einmal vorüber geht und Sangeskunst vor allem anderen, was Oper ausmacht, wieder im Vordergrund steht.

Ingrid Wanja, 31. Mai 2025


In Giro per il Mondo, libero come il Canto
Carlo Colombara und Rino Alessi

Edizione Bongiovanni, Bologna, 2025
160 Seiten und eine CD
EB 2892