Buchkritik: „Fritz Kreisler – Ein Kosmopolit im Exil“, Gerold Grubger (Hg.)

Mehr als ein begleitender Katalog

Dass Hitler Schäferhunde und Die lustige Witwe liebte, wusste man, dass zu seinen Vorlieben auch das Geigenspiel von Fritz Kreisler gehörte, erfährt man gleich an zwei Stellen aus dem von Gerold Gruber herausgegebenen Band Fritz Kreisler– im Ein Kosmopolit im Exil und könnte darauf verzichten, wenn nicht in dem als Katalog zur Ausstellung des Exilarte Zentrums der mdw erschienenen Schriftstück darüber hinaus viele interessante Beiträge Erhellendes zu Leben und Werk des Österreichers, später Amerikaners zu finden wären. Vom Wunderkind zum „König der Geiger“ lautet der zweite Untertitel des Werks, das zugleich chronologisch und thematisch gegliedert ist, d.h. das Leben der Vorfahren in Galizien, Kindheit und Jugend Kreislers in Wien, seine Verwundung im 1. Weltkrieg, Exil in den USA, Rückkehr nach Europa, seine Berliner Jahre an Kurfürstendamm und in der Grunewalder Bismarck-Allee, seine Flucht nach Frankreich und dann in die USA, wo er nach einem schweren Verkehrsunfall sich nie mehr richtig erholen kann, umfasst. Daneben gibt es Beiträge oder Abschnitte wie den Bericht über den angeblichen, von den Nazis dazu gemachten Skandal um die angeblich nur bearbeiteten Kompositionen alter Meister, die in Wirklichkeit Note für Note von Kreisler selbst stammten, um die Tatsache, dass er ein Probespiel für die Aufnahme in die späteren Wiener Philharmoniker wegen mangelnden Spielens vom Blatt und mangelnden Sinns für Rhythmus nicht bestand, aber gefeierter Solist eben dieses Orchesters wurde, über die Besonderheiten von Kreislers Spiel, das besondere Vibrato und die spezielle Phrasierung, die ihm die Attribute „Charme“ und „Raffinesse“ einbrachten sowie den Ausspruch von Bruno Walter:“Er spielte nicht nur Violine, er wurde zur Violine.“. Davon berichtet Eric Wen in seinem in englischer Sprache verfassten Beitrag. Allerdings wurden auch Kreislers „feste Bogenhaltung“ und die „geringe Nutzung der Bogenlänge“ bemerkt, wie Gerald Gruber in seinem Artikel feststellt. Wiener Rubato und Portamenti bleiben nicht unerwähnt.

Vergessen ist heute, dass Kreisler, der letzte komponierende Geiger, nicht nur der Komponist von Liebesleid und Liebesfreud und Schön Rosmarin ist, sondern auch zweier Operetten, wovon Sissy im Theater an der Wien erfolgreich uraufgeführt wurde, zu Rhapsody umgearbeitet aber am Broadway ein Flop war. Darüber schreibt Ulrike Anton in ihrem Beitrag Fritz Kreisler im Exil: New York, 1939-1945. Die zweite Operette, Apfelblüten, hatte hingegen 1919 in New York als Apple Blossoms durchaus Erfolg.

Nicht genug loben kann man die reiche Bebilderung mit Fotos von Ausstellungsstücken, darunter ein Hetzartikel über die angeblichen Klassischen Manuskripte, Fotos handschriftlicher Partituren und Kadenzen, Familienfotos, Konzertprogramme, ja auch eine Gästeliste eines Dinners zu Ehren Kreislers in New York mit Lotte Lehmann als Sitznachbarin, während Lilli Lehmann Nachbarin in der Berliner Bismarck-Allee war, dort Heinrich Schlusnus zum Zuträger für die Nazis gewirkt haben soll.

Der Frage, inwieweit Kreisler ein jüdischer Komponist war, geht Matthias Schmidt nach, und er und andere Verfasser weisen darauf hin, dass er, mit einer bekennenden amerikanischen Antisemitin verheiratet, sich trotz Verfolgung nicht wieder dem jüdischen Glauben annäherte, sondern sogar samt Gattin in den USA zum Katholizismus übertrat. Ob die Gewährung der Bezeichnung „Halbjude“ der Vorliebe Hitlers für sein Spiel geschuldet war, bleibt natürlich auch im Dunkeln, auf keinen Fall erfüllte sich die Hoffnung der Gattin, Kreisler könne zum „Ehrenarier“ erklärt werden.

Dem Aufsatz von Amy Biancolli, Beloved Fritz-the Fame of Kreisler verdankt der Leser die Einsicht, Kreisler habe sich zu seiner Zeit zugleich des Ruhmes eines Klassik- wie eines Popstars erfreut. John Maltese befasst sich mit Kreislers Konzertprorammen, Alfred Dümling mit dem Schicksal der Grundewaldvilla, vor der eine Hakenkreuzflagge zu entsprechenden Anlässen gehisst worden sein soll und die bei der Wiedergutmachung keine Rolle mehr spielte, weil sie zerbombt worden war.

Kreisler und seinem sozialen Engagement, das nach dem Krieg auch deutschen Notleidenden galt, widmet sich Nabuko Nakamura. Rührend ist, dass der Geiger sich sogar um Stoffproben und CARE Pakete persönlich kümmerte. Abschließend listen Ulrike Anton und Michael Haas noch auf, wie viele Geigenvirtuosen der Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt waren, es gibt eine sehr ausführliche Zeitleiste und einen Bildnachweis. Die Ausstellung, mit der dieser Band verbunden ist, gibt es in digitaler Form unter www.exilarte.org zu besichtigen, und das Buch macht Lust darauf.    

Ingrid Wanja, 8. Oktober 2023 


Fritz Kreisler – Ein Kosmopolit im Exil. Vom Wunderkind zum „König der Geiger“
Ausstellung des Exilarte Zentrum der mdw
Herausgeber Gerold Gruber

Böhlau Verlag 2022
125 Seiten

ISBN 978 3 205 21853 1