CD: „Mahler: Symphonie Nr. 1“, Tschechische Philharmonie unter Semyon Bychkov

Die beeindruckende Reise durch Gustav Mahlers musikalische Landschaften geht weiter, während die Tschechische Philharmonie unter der präzisen Leitung von Musikdirektor Semyon Bychkov ihre Interpretation des Mahler-Zyklus mit der ersten Sinfonie des Komponisten fortführt. Ein wahrhaft monumentales und fesselndes sinfonisches Debüt, das nicht nur zu den bekanntesten des Komponisten gehört, sondern auch einen reichhaltigen, vielschichtigen Klangkosmos erschafft. Mahler sagte einst: „Eine Sinfonie sollte so sein wie die Welt.“ In dieser ersten Sinfonie schuf er genau das – eine Welt, die von Tiergeräuschen, Jagdhörnern, ländlichen Tänzen, Klezmer-Kapellen und Anspielungen auf eigene Lieder und Volkslieder wie „Bruder Jakob“ durchzogen ist. Diese Elemente verschmelzen zu einem höchst subjektiven Werk, das den Grundstein für Mahlers spätere Sinfonien legte.

Endlich wird die lang erwartete Aufnahme der ersten Sinfonie von Pentatone veröffentlicht, und sie enttäuscht keineswegs. Endlich! Da ist sie, die große eruptive Kraft des überlegen gestaltenden Dirigenten, die in den voraus gegangenen Mahler Aufnahmen fehlte. Hier erlebt der Zuhörer eine überschäumende Lesart einer noch jungen Sinfonie, Mahlers Erstling! Semyon Bychkov und die Tschechische Philharmonie präsentieren hier eine Interpretation, die durch ein sorgfältiges Auge für Details und ein ausgewogenes Tempo gekennzeichnet ist. Genau wie in Bychkovs vorherigen Aufnahmen der Mahler-Sinfonien wird auch hier ein zunächst geschliffener Ansatz im Schönklang gewählt, der jedoch diesmal die bewussten Brüche und subtilen Nuancen besonders hervorhebt. Endlich! Es ist diese Art von Schönheit, die unaufdringlich aufleuchtet, wie ein ständiges Erwachen der Natur. Die Betonung der Nebenstimmen in den Streichern trägt dazu bei, diese organische Entwicklung zu unterstreichen. Der erste Satz, ein Universum für sich, wird von Bychkov meisterhaft strukturiert. In dramatischer Spannung baut sich dieser Abschnitt mit beeindruckender Präzision auf, während die Höhepunkte des Satzes mit großer Intensität herausgearbeitet werden. Die Tschechische Philharmonie zeigt hier ihre bemerkenswerte Fähigkeit zur Klanggestaltung, die den musikalischen Dialog lebendig macht.

Der zweite Satz sprüht vor Lebensfreude, und Bychkovs Zugang verleiht ihm eine fast dreidimensionale Theatralik. Die akribische Detailarbeit, die er von seinen Musikern verlangt, verleiht diesem Satz eine packende Dynamik. Das heitere Trio des Satzes wird mit verspielter Eleganz vorgetragen, während die rhythmischen Verschiebungen und die subtilen Streicherpassagen ein faszinierendes Hörerlebnis schaffen.

Mit ungewöhnlich klar artikulierten Paukenschlägen beginnt der dritte Satz, und Bychkov sorgt für eine luzide Klarheit im orchestralen Kanon. Ein besonderer Höhepunkt ist hier die Darstellung der Klezmer-Klänge, die seit Bernstein und Kubelik selten so präzise und vor allem so authentisch dargestellt wurden. Die ruhige Mitte des Satzes, mit einem Zitat des „Lindenbaums“, erzeugt eine klangliche Magie, während die Wiederholung des Kanons in einer überraschend grotesken Verzerrung erklingt.

Der vierte Satz, ein Sturm endzeitlicher Proportionen, wird von Bychkov mit einer furiosen Dynamik präsentiert. Trotz des gewaltigen Klangvolumens bleibt die Durchhörbarkeit des Orchesters immer erhalten. Die ruhigen Momente sind geschickt in den Fluss integriert und wirken keineswegs wie Unterbrechungen. Bychkovs Meisterschaft zeigt sich in der „Luftpause“ vor der gewaltigen Fortissimo-Auflösung, die mit großer Spannung aufgebaut wird. Das Finale ist ein triumphaler Abschluss dieser Aufnahme. Bychkov und die Tschechische Philharmonie erreichen hier eine beeindruckende und kulminierende Ausdrucksstärke, die den Hörer tief berührt, ja geradezu aus den Schuhen hebt. Die Aufnahme zeichnet sich durch einen sehr ausgewogenen Klang aus, der die Feinheiten des Orchesters bestens einfängt und eine weiträumige Klanglandschaft schafft.

Die Musiker der Tschechischen Philharmonie zeigen ihre tiefe Vertrautheit mit Mahlers Musik. Ausdrucksstark und charakteristisch ertönen die Holzbläser, die Blechbläser kraftvoll und dennoch nuanciert. Die Transparenz der Streicher verleiht der Interpretation Klarheit und Durchsichtigkeit. Das Schlagzeug spielt eine bedeutende Rolle und verleiht der Aufnahme zusätzliche Dynamik.

Insgesamt ist diese Neuaufnahme von Mahlers erster Sinfonie unter der Leitung von Semyon Bychkov und der Tschechischen Philharmonie eine absolut herausragende Leistung, die die Tiefe und Vielschichtigkeit von Mahlers Musik einfängt. Ein Volltreffer! Diese Gestaltung erlaubt es dem Hörer, in Mahlers umfassende Klangwelt einzutauchen. Gelungen ist zweifellos eine Referenzaufnahme dieser herrlichen Sinfonie von außergewöhnlicher Qualität, die die Aufnahmen der letzten Jahre dieses Werks an die Seite stellt. Mit einer sorgfältigen Aufnahmetechnik, die alle Orchesterdetails wunderbar zur Geltung bringt, ist diese CD ein Muss für Liebhaber von Mahlers Musik. Sehr empfehlenswert. Anhören!

Dirk Schauß, 8. September 2023


Mahler Nr. 1
Tschechische Philharmonie
Semyon Bychkov, Leitung

Pentatone,  PTC 518 7043