CD: „War and Faith“ – Musik des 16. Jahrhunderts

Kann die religiöse Legitimierung kriegerischer Handlungen schön klingen? Darf man sich am Klang des Gotteslobes, des Segens von Soldaten und Waffen und des Dankes für die vermeintliche göttliche Unterstützung militärischer Unternehmungen freuen? Die Frühe Neuzeit hat sich solche Fragen nicht gestellt; es ging auch nicht um Schönheit oder Musikgenuß, sondern um die Selbstverständlichkeit, daß Gott die eigene Sache, das Niedermetzeln der Feinde inbegriffen, unterstützt, wenn man nur inbrünstig genug betet – ganz gleichgültig, ob der Gegner denselben Gott um Sieg anfleht.

Und ja, solche Musik kann glänzen, sie kann kraftvoll und triumphierend schallen und unsere Ohren, weitab vom Schlachtengetümmel des 16. Jahrhunderts, tatsächlich erfreuen. Die Verbindung von Religion und Krieg ist allerdings brandaktuell, wie sich in der Allianz des Patriarchen Kyrill mit dem Diktator Putin auf schlimmste Weise zeigt – eine neue Verhöhnung jeglicher christlicher Grundsätze. Vielleicht hat deswegen das Label ARTS die bereits 2002 erschienene CD „War and Faith – Krieg und Glaube“ wieder aufgelegt. Musik war seit jeher ein Medium, das in Krisenzeiten eingesetzt wurde, um zu motivieren, zu stärken und der eigenen Überlegenheit eine klangvolle Stimme zu geben, zumal in Verbindung mit religiösen Inhalten.

Zwei kriegerische Auseinandersetzungen im 16. Jahrhundert stehen im Hintergrund der Musikstücke auf der CD. In der Schlacht bei Marignano in der Lombardei kämpften am 13. und 14. September 1515 die Eidgenossen und das Königreich Frankreich um das Herzogtum Mailand; sie endete mit der Niederlage der Eidgenossen. 10 Jahre später kulminierte das Ringen um die Hegemonie in Europa in der Schlacht bei Pavia zwischen den Habsburgern unter Karl V. und den französischen Valois unter Franz I. am 24. Februar 1525.

Die Ensembles Il Terzo Suono, Daltrocanto, Corus Beatorum, La Fenice und Il Suonar Parlante unter der Leitung von Gian Paolo Fagotto verschaffen einen faszinierenden Eindruck von der Musik, die quasi als religiöses Rahmenprogramm dieser Schlachten in Auftrag gegeben wurde.

Giorgio Maniero widmete sich vor allem der Kirchenmusik; zwei seiner zehn Magnificat, von ihm „Magnificat der Schlachten“ genannt, sowie sein Regina Coeli sind auf der CD zu hören. Bekannter sind allerdings seine weltlichen Werke, mit denen er große Popularität erlangte und die teils sogar in Antwerpen nachgedruckt wurden. In zwei „Balli“ vertonte er den französischen Angriff in der Schlacht bei Pavia.

Clément Jannequin wurde in erster Linie durch seine Chansons berühmt, von denen „La guerre“ die Schlacht bei Marignano klanglich wiedergibt. Besonders originell ist hierin die Wiedergabe von Kampfgeräuschen wie Hornsignalen, Rufen der Soldaten und dem Lärm der Waffen.

Andrea Gabrielis Name ist auch einer breiten Hörerschaft vertraut, was an seiner Vielseitigkeit und Produktivität liegt. Allerdings wurden die meisten seiner Werke erst nach seinem Tod gedruckt und dann weit verbreitet. Auch er widmete sich der Schlacht bei Marignano bzw. deren Vorbereitung im Palast des Herzogs zu Mailand, der Ankunft auf dem Feld und dem Sieg der Franzosen.

Der franko-flämische Komponist Matthias Hermann Werrecore ist in der Musikwissenschaft zwar vor allem durch seine Motetten bekannt, aber in dieser Einspielung ist natürlich seine „Bataglia Taliana“ zu hören, die sich sowohl auf die genannte Schlacht bei Pavia als auch auf die bei Bicocca im Jahre 1522 bezieht. Dieser klanggewordene Triumph der Mailänder über die Franzosen war ungemein beliebt und wurde auch für die Laute bearbeitet.

Claudio Merulo galt zu seinen Lebzeiten als bester Organist Italiens und wird in der Musikwissenschaft vor allem als wichtigster Pionier der Toccata geführt. Die Kompositionen auf der CD entführen in die Basilika von Aquileia, betonen also den religiösen Hintergrund dieser Musik.

Gerade der Wechsel von weltlichen, durch die Schlachtklänge mitunter derben Klängen mit den spirituellen Tönen und tatsächlich in ihrer abgehobenen Sakralität geradezu transzendenten Stücken besticht auf dieser Einspielung. Diese Vielseitigkeit schlägt sich auch in der gekonnten Wiedergabe von Solisten, Chören und Orchestern sowie der Orgel nieder. Alle Stimmen fügen sich harmonisch in die Gesamtheit; die Solistinnen und Solisten treten klar und strahlend heraus, um dann jeweils wieder Teil des Ensemblegefüges zu werden. Stimmen und Orchester sind ausgewogen abgemischt, die unterschiedlichen Tempi und Atmosphären sind entsprechend der musikalischen Aussage differenziert herausgearbeitet.

Allein schon (musik-)historisch hochinteressant, ist diese CD ein beeindruckendes Hörerlebnis und öffnet das Fenster in ein bewegtes, erschüttertes 16. Jahrhundert.

Andreas Ströbl, 4. März 2023


ARTS authentic

Nr: 47691-2