DVD: „Hoffmanns Erzählungen“, Salzburger Festspiele

Hoffmann am Film-Set
Verquastes Regisseurinnen-Theater von den Salzburger Festspielen 2024, jetzt als DVD

„Hoffmanns Erzählungen“ oder im französischen Original: „Les contes d’Hoffmann“ – das ist Jacques Offenbachs letztes großes, bei seinem Tod 1880 unvollendet hinterlassenes Werk für die Musiktheaterbühne. Basierend auf einem Schauspiel von Jules Barbier und Michel Carré, lässt diese, laut Untertitel „Phantastische Oper“ Leben und Schaffen des romantischen Dichters und Komponisten E. T. A. Hoffmann ineinander verschwimmen. Hoffmann selbst torkelt als Hauptfigur aktweise durch seine Erzählungen wie „Der Sandmann“, „Rat Krespel“ und „Die Abenteuer der Sylvester-Nacht“. Zusammengehalten wird das Ganze durch eine Rahmenhandlung, die Hoffmann als begnadeten Künstler und Erzähler seiner amourösen Erfahrungen zeigt, aber auch als Alkoholiker, der am Leben scheitert.

Als letzte Opernpremiere des letztjährigen Festspielsommers ging das Werk im Salzburger Großen Festspielhaus über die Bühne, nachdem es seit 2003 nicht mehr auf dem Festspielprogramm stand. Die Regisseurin Mariame Clément debütierte damit an der Salzach, am Pult stand Mark Minkowski. Jetzt ist die Produktion als Livemitschnitt aus dem Großen Festspielhau 2024) auf 2 DVDs erschienen (Videoregie Michael Beyer).

Marc Minkowski, Spezialist historisch-informierter Aufführungspraxis, gehört zweifellos zu den kompetentesten Offenbach-Dirigenten der Gegenwart. Seine Lesarten der Offenbachiaden, also der satirischen, politischen „Operas Buffes“, inzwischen auch auf CD und DVD dokumentiert, sind funkensprühende, temperamentvolle, was die Instrumentation und den Offenbachstil angeht mitreißende Solitäre unter den Offenbach-Interpretationen. Umso enttäuschter ist man über seinen Salzburger „Hoffmann“.

Nun existieren bei kaum einer anderen Oper so viele unterschiedliche Fassungen, was an der komplexen Entstehungsgeschichte, der unübersichtliche Weitergabe und Verwendung des unvollendeten Notentextes nach dem Tod des Komponisten liegt. Ganz zu schweigen von den selbstherrlichen Bearbeitungen vieler Regisseure, Dirigenten und Impresarios. Michael Kaye und Jean-Christophe Keck haben inzwischen die Ergebnisse der Offenbach-Forschung und alle neuaufgefundenen Materialien zusammengefügt und ediert, es ist die Basis für jede heutige Produktion der Oper.

Minkowski dirigiert eine eigene, recht lange Fassung mit orchestrierten Rezitativen. Man darf sicher sein: Hier hätte Offenbach beherzt gekürzt und redigiert. Bei Minkowski dauert die fünfaktige Fassung mehr als drei Stunden (reine Musikzeit).

Schlimmer noch, wo sonst bei ihm die Funken sprühen, herrscht hier Funkstille, Schwerfälligkeit, ernstes Pathos und Langatmigkeit vor. Ein sich dahinschleppendes Dirigat, das den brillanten, scharf artikulierenden Wiener Philharmoniker keine adäquaten Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Wo sonst bei Minkowski Esprit, Augenzwinkern, Tempo und Charme ein musikalisches Offenbach-Feuerwerk abbrennen, das die Zuhörer bezaubert, wirkt die Salzburger Aufführung dagegen zäh und beinahe uninspiriert. Dass sie sich hinzieht, liegt allerdings auch an der befremdend „heutigen“ Inszenierung der gefragten Nachwuchsregisseurin Mariame Clément.

Cléments Einstand bei den Salzburger Festspielen ist nicht anders als ein Scheitern zu bezeichnen, wenn auch auf hohem Niveau, denn sie beherrscht das Regiehandwerk durchaus und weiß szenisch zu organisieren. In einem Interview bekannte sie vor der Premiere: „Neben der Rahmenhandlung gibt es sozusagen drei Stücke im Stück – man hat quasi vier Opern an einem Abend.“ Und sie ergänzte: „Die Herausforderung besteht darin, dass es einerseits viele Höhepunkte gibt, die Erzählweise andererseits aber sehr verschachtelt ist.“ Schön und gut. Aber ihre Konzeption erschöpft sich darin, die drei Frauenbilder (und die vier Opern) mit einer Rahmenhandlung (Dreharbeiten für drei Filme) zusammenzufügen. Wobei Hoffmann gleichzeitig Regisseur, Drehbuch-Autor und Mitspieler ist.

Einer Filmcrew im Studio schildert der zum Alkoholiker verkommene Hoffmann in Rückblenden seine Filmerlebnisse, die Suche nach der idealen Frau und sein Scheitern. An diesem ambitionierten Regieansatz scheitert die Regie, nicht an der Riesenbühne im Großen Festspielhaus, die ist immer mit reichlich Personal bevölkert: Statisten, Filmleuten, Sängern, Choristen (präzise einstudiert die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor unter Leitung von Alan Woodbridge) und Catering-Personal. Der Chor und die vielen quer durch den Fundus und die Zeiten kostümierten Statisten ergehen sich diversen kleinen Aktionen und Nebenhandlungen

Dazu gibt es immer wieder hässliche, graue Mauersegmente wie aus Beton, die sich in jedem Akt schrittweise in einen speziellen Ort verwandeln, aber immer erkennbar verschiebbare Kulissen bleiben. Dabei geraten die Film-im-Film-Dreharbeiten im aufwendig gestalteten Filmset von Ausstatterin Julia Hansen geradezuverwirrend.

Das künstlerische Leiden Hoffmanns wird so nicht wirklich greifbar. Als existentielles Problem landet es dann im Durcheinander eines delirierenden Säufers. Von den der Frauengestalten zu schweigen. Die vokal recht unterschiedlichen Anforderungen, die die vier Frauenrollen stellen, haben oft zur Aufteilung der Partien auf mehrere Sängerinnen geführt. Ich befürworte das. Kathryn Lewek wagt sich aber an alle vier, ganz wie es Offenbachs ursprünglichem Konzept entspricht. Die US-Koloratursopranistin ist mit den vier Frauenrollen aber wohl doch etwas überfordert.

Die junge Olympia ist ein Automat, der brillanten Koloraturen zwitschert; die seelenvoll singende, aber kranke Antonia stirbt an ihrem Gesang; die Kurtisane Giulietta missbraucht Hoffmann für ihre Zwecke – und die Operndiva Stella will am Ende keinen Trunkenbold als Liebhaber. Es sind drei unglückliche, tragisch endende Liebesgeschichten eines vom Unglück verfolgten Künstlers, der sich von dunklen Mächten bedroht fühlt. Diese manifestieren sich in den wechselnden Widersachern Lindorf, Coppelius, Doktor Miracle und Dapertutto. Christian van Horn singt die Bösewichter (am Ende mit Hörnern und Schwanz) solide und anständig, aber keineswegs sensationell. Da hat man schon andere Kaliber von Bässen oder Baritonsängern gehört. Kate Lindsey als Muse und Nicklausse singt dagegen äußerst kultiviert und elegant, hat es aber schwer, sich gegen die Regie zu behaupten, wobei die Regie es eigentlich allen Sängern schwermacht. Marc Mauillon als Andrès, Cochenille Frantz und Pitichinaccio überzeugt mit seinem beweglich Buffotenor und quecksilbrigem Spiel.

Als Hoffmann tritt in Salzburg Benjamin Bernheim in die Fußstapfen von Plácido Domingo und Neil Shicoff, die 1980-82 bzw. 2003 in dieser Partie in Salzburg sangen. Der 39-jährige französische Tenor, der schon mehrfach in Salzburg unter Minkowski gesungen hat, scheint mir als Hoffmann etwas zu leichtfüßig, auch zu weinerlich. Man glaubt ihm seine künstlerische Mission und die Tragik seiner Figur nicht wirklich.

Am Anfang ist er ein Betrunkener, der wie ein Penner neben seinem Einkaufswagen liegt. Dann ist er der Solist des (keineswegs mitreißenden) Klein-Zack-Liedes und hat beim Olympia-Dreh und über weite Strecken auch beim historisierenden Antonia-Film das Zepter in der Hand. Backstage dann sozusagen die Kulissenrückseite mit der wunderbaren, einzigartigen finalen Künstlerapotheose „Lächle heiter über deinen Schmerz! / Die Muse lindert deinen Kummer! / Denn groß ist man durch Liebe, doch größer noch durch Leid!“ Die Worte wirken wie aufgesetzt. Zumal, wenn in der gesamten Aufführung zeitgeistige Kinkerlitzchen und unsinnige Regiegags (Bierkästen statt Weinfässer beim Chor der Weingeister), aber auch Currywurst, Handybenutzung und andere alltägliche Banalitäten, viel Gehopse und Getänzele, Wäschekorbgefummele, pyrotechnische Effekte ( wie zum Beispiel ein explodierender und feuersprühender Büstenhalter bei Olympia ) und last but least ein Einkaufswagen mit leeren Pullen, den Hoffmann vor sich her schiebt (geradezu ein Leitmotiv der Inszenierung), das Sagen haben.

Willkürliches Regisseurinnen-Theater, so scheint’s. Es gibt auch anderes, seriöses Regisseurinnen-Theater! Nein, diese Produktion ist ärgerlich und verquast.

Dieter David Scholz, 15. August 2025


Jacques Offenbach: Les Contes d’Hoffmann

Regie: Mariame Clément
Dirigent: Marc Minkowski
Wiener Philharmoniker

Unitel, 2 CDs, 811808, Videoregie: Michael Beyer