Bei dem Label Naxos ist ein Mitschnitt von Carl Nielsens (1865 – 1931) bereits im Jahre 1906 aus der Taufe gehobener komischer Oper Maskarade auf DVD erschienen. Hierbei haben wir es mit einer echten Rarität zu tun. Im Heimatland des Komponisten Carl Nielsen Dänemark genießt das Werk regelrecht Kultstatus; es gilt dort als Nationaloper. Nielsens Oper geht auf ein 1724 entstandenes Stück des dänischen Nationaldichters Ludvig Holberg zurück. In Dänemark ist diese Oper sehr bekannt – nicht zuletzt wohl deshalb, weil sie sich schon lange auf dem Spielplan des Königlichen Opernhauses in Kopenhagen befindet. In Deutschland kennt man das Stück weniger. Aufführungen in Bregenz, Mönchengladbach und der Oper Frankfurt am Main haben daran nicht allzu viel zu ändern vermocht. Schade, denn das Werk hat durchaus seine Meriten. Ein etwas höherer Bekanntheitsgrad ist ihm durchaus zu wünschen. Der Klangteppich ist von großer Eleganz, wirkt leicht und geschmeidig und beinhaltet zudem große Komik. Der dem Stück immanente Witz ist ständig zu spüren. Und wenn sich die Oper, wie hier, in so bewährten Händen wie die von Titus Engel befindet, ist das Hörvergnügen umso größer. Zusammen mit dem bestens disponierten Frankfurter Opern- und Museumsorchester stellt der Dirigent die verschiedenen musikalischen Stile einfühlsam gegenüber. Darüber hinaus wartet er mit einer durchweg spritzigen und witzigen Wiedergabe von Nielsens Musik auf, was den Zuhörer ganz in seinen Bann zieht.
Zugrunde liegt der vorliegenden DVD eine Produktion der Oper Frankfurt am Main (unsere Premierenkritik). Gefilmt wurden Aufführungen vom 2. und 3. Dezember 2021. Gesungen wird in deutscher Sprache. Die deutsche Textfassung des von Vilhelm Andersen stammenden Librettos besorgte Martin G. Berger. Indes hätte man die Oper lieber in ihrer dänischen Originalsprache belassen sollen. Bergers Intention, eine gekonnt komische Übersetzung zu schaffen, ging nach hinten los. Die von ihm kreierte deutsche Version des dänischen Originaltextes wirkt manchmal ziemlich oberflächlich, banal, platt und teilweise sogar ein wenig blöd. Das musste wirklich nicht sein. Hier haben wir es mit einem nicht unerheblichen Manko zu tun. Auch aus stilistischen Gründen hätte man das Werk lieber in der Originalsprache gehört.
Ein paar Worte zum Inhalt: Auf einer Maskerade hat sich Leander, der Sohn des Kopenhagener Bürgers Jeronimus, in eine Unbekannte verliebt. Jeronimus hat etwas gegen diese Liebe, da er den Sohn mit der Tochter seines Geschäftsfreundes Leonard verheiraten will. Die Maskeraden, die Leander und sein Diener Henrik nachts besuchen, sind für ihn Teufelswerk. Seine Frau Magdelone hingegen hat gegen die Liebe ihres Sohnes zu der Unbekannten nichts einzuwenden. Nun, man kann leicht erraten, dass es sich bei dieser schönen Unbekannten, die Leander liebt, um keine andere als Leonora, die Tochter Leonards handelt. Und Henrik hat es auf ihre Begleiterin Pernile abgesehen, die seinem Werben ebenfalls nicht abgeneigt ist. Auf der Maskerade, bei der laut Inhaltsangabe im Booklet falsche und angenommene Identitäten aufeinanderprallen und sich die Paare finden und wieder verlieren, wird das Rätsel schließlich gelöst. Als die Masken fallen, offenbaren sich die wahren Identitäten. Bereits zuvor hatten sich Leander und Leonora ihre wahren Namen genannt. Am Ende steht eitel Sonnenschein. Die Liebenden haben sich gefunden und entsprechen damit sogar dem Wunsch Jeronimus‘.
Für die Inszenierung ist Tobias Kratzer verantwortlich, das Bühnenbild und die Kostüme stammen von Rainer Sellmaier. Wenn sich der Vorhang öffnet, sieht man Leander und Henrik in weißer Unterwäsche auf Matten liegen – ein Bild, das ganz am Ende wiederkehrt, nur dass da auch Leonora dabei ist. Sie wie auch das übrige Ensemble und der Chor tragen hier ebenfalls nur Unterwäsche. Die spärlich ausgestattete Bühne wird von drei dunkelgrauen Wänden voller Türen eingenommen. Diese Türen werden während der Maskerade zu Spiegeltüren. Gekonnt hält Kratzer hier den beteiligten Personen den sprichwörtlichen Spiegel vor. Bei dieser Szene senkt sich auch die Übertitelungsanlage herab. Text und Szenenanweisungen werden auf diese Weise zum Bestandteil der Inszenierung. Kratzers Personenregie ist wie immer flüssig und abwechslungsreich. Dennoch ist zu konstatieren, dass er dieses Mal etwas hinter seinen sonstigen genialen Leistungen zurückbleibt. Er wählt zwar jetzt wieder eine durchaus moderne Erzählweise und erteilt jeglichem Ausstattungspomp eine deutliche Absage, stülpt dem Ganzen aber keinen werkfremden Stempel auf. Mit leichter Hand erzählt er die Geschichte, ohne sie zu verfremden, und bleibt dabei entgegen seiner sonstigen Gewohnheit ganz nah am Stück. Diese Vorgehensweise kennt man so von ihm noch nicht. Dennoch kann man seine Inszenierung durchaus als gelungen ansehen, woran auch den von Choreograph Kinsun Chan betreuten, prächtigen Tänzern ein gehöriger Teil zukommt.
Nun zu den gesanglichen Leistungen: An erster Stelle ist hier Michael Porter zu nennen, der mit prächtig fokussiertem, elegantem und sauber dahinfliessendem lyrischem Tenor einen erstklassigen Leander singt. Monika Buczkowska verleiht mit voll und rund klingendem, emotional eingefärbtem Sopran der Leonora ein überzeugendes vokales Profil. Nichts auszusetzen gibt es ebenfalls an dem üppigen Sopran von Barbara Zechmeister in der Rolle der Pernile. Eine darstellerisch köstliche Magdelone ist Susan Bullock, die mit solide sitzendem Sopran auch stimmlich einen ordentlichen Eindruck hinterlässt. Nicht zu gefallen vermögen Liviu Holender und Alfred Reiter als Henrik und Jeronimus. Beide Stimmen sind flach und entbehren gänzlich der nötigen Körperstütze. Dünnstimmig präsentiert sich auch Michael McCown in der Rolle des Leonard. Auf der Habenseite der DVD stehen ferner Samuel Levine (Arv), Bozidar Smiljanic (Nachtwächter, Meister der Maskerade) und Danylo Matviienko (Maskenverkäufer), die allesamt ihre kleinen Partien mit profundem Stimmklang versehen. Solide klingt der von Tilman Michael einstudierte Chor der Oper Frankfurt.
Ludwig Steinbach, 20. März 2024
Maskarade
Carl Nielsen
Oper Frankfurt am Main
Inszenierung: Tobias Kratzer
Musikalische Leitung: Titus Engel
Naxos
Best. Nr.: 2.110762
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