Nachdem Regisseurin Tatjana Gürbaca im März 2022 eine Katja Kabanova an der Deutschen Oper am Rhein herausgebracht hatte und jetzt Jenůfa folgte, keimten beim Publikum und Kritik schon die Hoffnung auf, es würde einen neuen Janáček-Zyklus geben. Schließlich ist die Deutsche Oper am Rhein das deutsche Theater mit der größten Janáček-Expertise, spielte schon 1977 unter Intendant Grischa Barfuss einen sechsteiligen und unter Tobias Richter 2009 einen fünfteiligen Janáček-Zyklus.
Für solch eine Aufgabe müssten aber mit Das schlaue Füchslein, Die Sache Makropulos und Aus einem Totenhaus noch mindestens drei weitere Janáček-Opern produziert werden, vielleicht sogar Die Ausflüge des Herren Broucek. Intendant Christoph Meyer ist aber nur noch drei weitere Spielzeiten bis 2027 im Amt, und für die nächste Saison ist aber keine weitere Janáček-Produktion und auch keine Wiederaufnahme der beiden bisherigen Produktionen angekündigt. Deshalb kann man die Hoffnung auf einen ganzen Zyklus schon jetzt begraben.
Dabei bietet Tatjana Gürbaca, die sonst eher durch fragwürdige Produktionen wie Simon Boccanegra und Der Freischütz in Essen, Der fliegende Holländer in Berlin, Die tote Stadt in Köln oder Arabella in Düsseldorf auffällt, eine starke und glaubwürdige Personenführung. Das ist umso beeindruckender, als dass Bühnenbildner Henrik Ahr, der fast zeitgleich auch die Eugen Onegin-Produktion von Michael Thalheimer ausstattet, zu beiden Inszenierungen austauschbare Holzbastelaufgaben zum Thema „beengte Dorfgesellschaft, aus der man nicht ausbrechen kann“ abgeliefert hat.
Ist es bei Eugen Onegin ein rechteckiger Holzkasten mit verschiebbarer Stufenlandschaft, so stellt Ahr bei Jenůfa ein Holzhaus mit großer Treppe, das Chorsaalatmosphäre atmet, auf die Bühne. Während man Thalheimer herumstehende Opernsänger bei der Arbeit erlebt, bringt Tatjana Gürbaca authentische Figuren auf die Bühne, in die man sich gut hineinversetzen kann und mit denen man mitfühlt. Besonders das Verhältnisse von Jenůfa zu ihrer Stiefmutter, der Küsterin, wird eindrücklich herausgearbeitet. Gürbaca gelingt es auch, dass alle Figuren und der Opernchor permanent in ihren Rollen bleiben, auch wenn sie gerade nicht singen.
Am Pult der Duisburger Philharmoniker steht Rheinopern-GMD Axel Kober, der sein Amt zum Ende der Spielzeit aufgeben wird. Seinen Posten als GMD der Duisburger Philharmoniker führt er aber noch eine Saison weiter. Janáčeks vertrackte Musik bekommt bei Kober einen romantischen Gestus, fließt ganz natürlich dahin, als sei es für die Duisburger Philharmoniker die natürlichste Sache der Welt. Kober trifft den Tonfall der Musik momentgenau, scheut auch nicht das komödiantische Potenzial einiger Szenen, lässt das Orchester aber auch zu tragischer Größe aufspielen und gönnt sich und den Zuhörern im Finale auch noch den großen Klangzauber.
Überraschend ist, dass die Rheinoper, die über ein 50-köpfiges Ensemble verfügt, für fünf Hauptrollen Gäste engagieren muss. Bei der letzten Jenůfa von 1998 wurde lediglich Sopranistin Anne Bolstad in der Titelrolle als Gast-Solistin engagiert. Aus dem Ensemble singt Jussi Myllys den selbstverliebten Stewa mit leichtem und frischem Tenor, Sami Luttinen ist ein knorriger Dorfrichter. Zuverlässig gestaltet Günes Gürle den Altgesell. Lavinia Dames hat als Karolka nur einen kurzen, aber einprägsamen Auftritt als Karolka.
Bei den Gästen ragt Mezzospranistin Rosie Aldridge als Küsterin heraus. Sie singt mit energischer und durchsetzungsfähiger Stimme. Besonders im 2. Akt, wenn sie plant, Jenůfas uneheliche Kind umzubringen und dies in die Tat umsetzt, kann sie sängerisch und darstellerisch groß auftrumpfen. In der Titelrolle ist Jacquelyn Wagner zu erleben. Als Arabella, Desdemona und Alcina hat sie in Düsseldorf starke Rollenporträts abgeliefert. Die Jenůfa singt sie zuverlässig, kann in Janáčeks kurzen Phrasen ihre Stimme aber nicht in der gewohnten Weise zur Geltung bringen.
Als jugendlichen Hitzkopf mit schneidend-kraftvollem Tenor singt Giorgio Sturua den Laca. Die kleineren Rollen der alten Burya und der Frau des Dorfrichters werden Stefanie Schaefer und Katharina von Bülow verkörpert.
Insgesamt präsentiert die Deutsche Oper am Rhein mit dieser Jenůfa eine sehens- und hörenswerte Produktion, die allerdings nur vor halbvollem Saal gespielt wird. Die Zuschauer, die den Weg ins Theater gefunden, sind aber begeistert.
Rudolf Hermes, 23. April 2024
Jenůfa
Leoš Janáček
Deutsche Oper am Rhein, Duisburg
Premiere: 14. April 2024
Besuchte Vorstellung: 20. April 2024
Inszenierung: Tatjana Gürbaca
Musikalische Leitung: Axel Kober
Duisburger Philharmoniker