Premiere am 23.10.2011
28. Aufführung am 15.12.2021
Trotz vieler Unbilden einfach schön
So tapfer wie umsichtig hat sich die Deutsche Oper Berlin bisher durch die Corona-Misere gekämpft, hat, wenn es irgendwie durchführbar war, dem Publikum alternative Möglichkeiten des Opernerlebens angeboten. Da wurde bei annehmbaren Temperaturen das Parkdeck als Bühne wie Zuschauerraum benutzt und sogar außerhalb des Ring-Zyklus ein eigenständiges Rheingold aufgeführt, es wurde, wenn auch nicht in der vorgeschriebenen Reihenfolge, ein neuer Ring gestemmt, davon zwei vollständige Zyklen im November angeboten, und ein weiterer, dritter ist für den Januar vorgesehen. In der Tischlerei gab es Uraufführungen, eine Schneekönigin für die Kleinen, im Parkettfoyer an jedem Tag weihnachtliche Kammermusik und Rezitationen.
Es wurden Maskenpflicht auch am Platz oder eine Belegung nur von 50% der Plätze eingeführt, Abende wie The best of sei es Carmen oder Traviata oder Gioconda in teils höchstkarätiger Besetzung geplant und durchgeführt. Im Dezember stehen Verdi und Puccini in guter Besetzung auf dem Programm und theoretisch könnte das Haus voll, könnten 1800 Karten verkauft sein. Für Hänsel und Gretel am Nachmittag ist das auch fast so, die wenigen Restkarten werden bis zum Aufführungstag auch noch vergeben sein, im Don Carlo, viermal auf dem Spielplan im Dezember, sah es zunächst bedenklich aus. Eltern und Kinder lassen sich von Corona nicht von einem Theaterbesuch abschrecken, Touristen und das alte Westberliner Publikum aber können oder mag nicht kommen, und es wäre wahrscheinlich noch schlimmer , wenn 2G+ nicht Genesen oder Geimpft plus Maskenpflicht, sondern plus Testen hieße. Es scheinen auch noch größere Gruppen kurzfristig wieder abzusagen, denn bis einen Tag vor der Vorstellung sah ich mich auf einem Sitzplan noch inmitten einer Gruppe platziert, die urplötzlich verschwunden war, deren Plätze wieder verkäuflich waren.
War die Lage also am späten Nahmittag noch recht trostlos, so scheinen sich mangels anderer Vergnügungen junge Leute doch noch spät entschlossen und ganz spontan für Oper entschieden zu haben, denn am Abend war das Haus dank ihres Escheinens doch noch bis ungefähr zur Hälfte verkauft, gab es zwar zu Beginn einen kurzen, aber lauten Streit um Maskenpflicht oder nicht, aber dann konnte die Vorstellung mit einigen Minuten Verspätung beginnen- allerdings nicht wie von Verdi gedacht und vom Haus geplant, sondern „aufgrund eines hohen Infektionsgeschehens innerhalb des Chores ohne Mitwirkung“ desselben, also ohne Autodafè und den Volksaufstand nach Posas Tod.
Die Produktion von Marco Arturo Marelli mit den wuchtigen verschiebbaren Mauerteilen, die immer wieder zu einer Kreuzesform finden, erlebte ihre 28. Aufführung seit ihrer Premiere im Jahre 2011 und erwies sich wieder als eine der für das Repertoire brauchbarsten aus den letzten zehn Jahren, denn sie ist so publikums- wie sängerfreundlich.
Dem historischen Don Carlos näher stehend als dem schillerschen bzw. verdischen ist in dieser Produktion der unselige Infant, der sich schon zu Beginn an der Rampe zuckend windet und der in dem amerikanischen Tenor Robert Watson auch akustisch nicht die angenehmste Verkörperung fand mit einer eher larmoyanten als tragisch umflorten Stimme, mit Vokalverfärbungen und fern aller Italianità. Vom Leporello zum Filippo entwickelt hat sich Alex Esposito, ein ungewohnt kleiner und zierlicher Monarch mit allerdings erstaunlich groß gewordener Stimme und dem von ihm gewohnten intensiven darstellerischen Einsatz. Ein optisch idealer Rodrigo ist der Kanadier Etienne Dupuis, am Haus und vom Publikum seit langem geschätzt und auch an diesem Abend die erfreulichste Erscheinung, allerdings oft mit unnötig übertriebenem Krafteinsatz seiner schönen Stimme die Grenzen des Schöngesangs sprengend. Ganz anders die Elisabetta von Nicole Car, im realen Leben seine Gattin, die von Beginn an sehr zart, sehr vorsichtig zu Werke ging, so dass es keine Überraschung war, als sie vor dem letzten Akt als indisponiert angesagt wurde, die Rolle nur spielte, während die zu Proben für die Rosalinde bereits in Berlin weilende usbekische Sängerin Hulkar Sabirova die Partie von der Seite her sang und das so wunderbar leuchtend, so warm und rund, dass es der Rezensentin das seit Jahren erste spontane Brava entlockte.
Da kann man sich schon auf ihre Elena in Verdis Vespri Siciliani im Februar freuen. Eboli war Yulia Matochkina mit machtvollem Don fatale und, abgesehen von den nicht besonders leichtgängigen Koloraturen schöner Canzone del Velo, auch durch intensives Spiel ein Gewinn für die Aufführung. Die hübsche zarte Stimme des Tebaldo von Georgina Meville wurde leider vom Orchester zugedeckt, das ansonsten unter dem eingesprungenen Ivan Repušić nach vielem Wagner bewies, dass es auch noch Verdi kann. Imponierend durch optische Erscheinung wie imponierenden Stimmeinsatz war Albert Pesendorfer als Gran Inquisitore, als dritter Bass ( die flandrischen Deputierten blieben an diesem Abend stumm, wurden aber immerhin erschossen) konnte Byung Gil Kim als Mönch vokal reüssieren. Trotz aller Misshelligkeiten ein schöner Abend, den es noch einmal zu erleben gibt, außerdem kommt noch vor Weihnachten Un ballo in maschera. Berliner, geht in eure Oper, es lohnt sich!
Fotos Barbara Aumüller
16.12.2021 Ingrid Wanja