Konzertante Premiere am 24.6.2019
Festlicher Saisonabschluss
Was dem Deutschen sein „Faust“ ist (Oder etwa inzwischen nur „war“?), gilt dem Engländer sein „Hamlet“, und mit Misstrauen wurden in beiden Ländern die Kompositionen französischer Musiker auf heiliges Schrifttum beider Nationen beäugt. Gounods Oper ging lange nur als „Margarete“ durch, auch Massenets „Werther“ oder Thomas‘ „Mignon“ fanden kaum Gnade vor den Ohren der Literaturfreunde, und ein Hamlet, der am Ende gekrönt und von einem Jubelchor als neuer König gefeiert wurde, hätte alle negativen Erwartungen eines englischen Publikums übertroffen. Aus diesem Grund wurde von Ambroise Thomas für die Londoner Erstaufführung der Schluss in ein shakespearegemäßeres Ende umgestaltet. Der Anglist wird auch berühmte Zitate wie „Sein oder Nichtsein“ oder „Geh in ein Kloster, Ophelia“ nicht vermissen, wohl aber über das regelmäßige Wiedererscheinen des Geistes erstaunt sein oder sich über die Bedeutung der Rolle, die bei Thomas Ophelia einnimmt, wundern. Die wiederum ist für das Werk ein Glücksfall, denn immer wieder haben berühmte Diven sich die Oper gewünscht, in der sie alle ihre Fähigkeiten aufs schönste zur Geltung bringen können, die einer italienischen Lucia genauso gut anstehen wie einer französischen Dinorah.
So entspricht wohl auch die konzertante Aufführung von „Hamlet“ an der Deutschen Oper dem Wunsch der deutschen Starsängerin Diana Damrau nach dieser dankbaren Rolle, die sie bei der Premiere am 24.6. optisch wie vokal aufs Schönste ausfüllte. Von immer noch mädchenhafter Erscheinung, das blonde Haar romantisch frisiert, im Kostüm nicht Glanz und Glimmer, sondern sanft Fließendes bevorzugend und im zweiten Teil die blauen Wasserfarben der Ballade zitierend, war sie auch dadurch, dass sie nicht nur ihre Rolle spielte, sondern in Gestik und Mimik auf ihre Kollegen reagierte, eine Ausnahmeerscheinung. Wie immer bei der Sängerin entzückten das sanfte Modellieren des Tons, die vokale Anmut, die feinen Schwelltöne, störten nur vereinzelte harte Höhen ein wenig. Pure vokale Schönheit jedoch war das gemeinsame Musizieren mit dem Damenchor kurz vor dem fatalen Sprung ins Wasser.
Ein gleichwertiger Partner war der Sängerin der französische Bariton Florian Sempey, der gleichermaßen mit nimmermüder Stimmpracht im Trinklied, dramatischer Strahlkraft in den Auseinandersetzungen mit Mutter Gertrude, Zärtlichkeit im „Ophélie“, dazu einer an den Großen Kurfürsten erinnernden Optik nicht der bleiche Zögerling Shakespeares, sondern ein praller Opernheld bester Diktion war. Damrau-Gatte Nicolas Testé begann recht rau als König Claudius, gewann aber zusehends an vokalem Format. Eine großartige Gertrude sang Eve-Maud Hubeaux, eine elegante Erscheinung mit ebensolchem, wenn nötig aber auch raumgreifendem Singen, mit einer dunkel lodernden Mezzostimme. Enttäuschend war der Aufritt von Philippe Talbot als Laërte, der besonders bei seinem zweiten Erscheinen zu keiner Gesangslinie fand. Andrew Harris sang so entsagungsvoll wie eindrücklich die monotone Partie des Geistes, bei den kleineren Partie gelang es besonders Philipp Jekal mit schönem Bariton als „Grabräuber“, wie das Programmheft anstelle des Totengräbers meinte, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Yves Abel arbeitete die wunderbaren Orchesterfarben wirkungsvoll heraus, betonte die gewollten Brüche, das Stürzen der Vokallinie, das dem oft erhobenen Vorwurf der Süßlichkeit der Partitur widerspricht, machte deutlich, was für eindrucksvolle Musik Thomas gerade auch für das Orchester einschließlich Saxophon geschrieben hat. Wie so viele andere war auch diese konzertante Aufführung nicht nur ein Plädoyer für das Werk selbst, sondern, mit so ausdrucksstarken Sängern auch für den Verzicht auf eine eventuell werkentstellende Regie.
Im September kann man vergleichen zwischen einer konzertanten Adriana Lecouvreur mit Anna Netrebko und einer von Frank Castorf inszenierten „La Forza del Destino“.
Fotos Bettina Stöß
25.6.2019 Ingrid Wanja