Berlin: „Messa da Requiem“, Staatsballett Berlin (Zweite Besprechung)

Bereits um die halbe Welt bis ins australische Adelaide gereist ist die 216 für das Zürcher Opernhaus entstandene Ballettproduktion mit der Musik des Verdi-Requiems, darüber hinaus war sie in vielen europäischen Städten zu erleben und wurde 2019 wieder in ihren Ursprungsort zurückgeholt, wo sie auch im kommenden Jahr wieder zu erleben sein wird. 2018 wurde die Produktion im deutschen Fernsehen gezeigt, und es gibt davon auch eine DVD. Nun also ist sie in Berlin mit der Premiere in der Deutschen Oper mit dem Ensemble des Staatsballetts Berlin zu sehen und gibt, da vom langjährigen Zürcher Ballettdirektor Christian Spuck kreiert, der ab der kommenden Saison für das Berliner Staatsballett verantwortlich sein wird, schon einmal Anlass zur Vorfreude auf die kommenden Spielzeiten.

© Serghei Gherciu

Nicht zum ersten Mal wurde das Verdi-Requiem auf der Bühne der Deutschen Oper bebildert, Achim Freyers Vision, sein eindrucksvoller Totentanz, eigentlich mehr ein Defilee phantasievoller Gestalten ist noch in guter Erinnerung, und es ist noch nicht lange her, dass er wieder in den Spielplan aufgenommen wurde. Einen ganz anderen Ansatz findet Christan Spuck, der sich von Christian Schmidt eine aus einem granitfarbenen Riesenkasten bestehende Bühne hat bauen lassen, deren Decke sich am Schluss wie ein Sargdeckel herabsenkt und alles und alle zu verschlucken scheint. In Schwarz, Weiß und Grau in allen Schattierungen sind auch die Gewänder gehalten, nur ganz selten sieht man Ockerfarbenes, so im Sanctus, der Boden scheint mit Asche bedeckt, der die Kostüme von Emma Ryott beschmutzt. Nicht Frack und Abendkleid, sondern dunkler Alltagsanzug und Kleines Schwarzes werden von den Mitgliedern des  Rundfunkchors Berlin getragen, der in das Bühnengeschehen integriert ist, weniger die Gesangssolisten, von denen allerdings der Mezzosopran mit den männlichen Mitgliedern des corps de ballet ein wunderschönes Ballett der Arme wie sich windende Schlangen bietet. Nicht selten wird den Sängern die Rampe überlassen, und die Tänzer müssen sich mit dem Bühnenhintergrund begnügen.

© Serghei Gherciu

Der Vorhang öffnet sich, und zu einigen Minuten des Schweigens steht ein fast nacktes Menschlein auf der Riesenbühne, die Verletzbarkeit des Sterblichen verkörpernd. Ein wildes Rennen der Chormassen kündet von Panik, im Verlauf des Abends werden die Tänzer versuchen, dem Tod zu entkommen, indem sie an den Wänden empor zu klettern versuchen. Besonders in den pas de deux entwickelt die Choreographie viel Phantasie, lässt an den Tod und das Mädchen denken, an den verzweifelten Versuch, einen geliebten Menschen nicht loszulassen, an Grablegung und Verlust. Von unübertrefflicher Anmut und Grazie ist Polina Semionova im Requiem, im Rex tremendae, im Sanctus und im Libera me. So ausdrucksstark wie akrobatisch erregen David Soares, Grégoire Duchevet und Timothy Dutson beglücktes Erstaunen. Das gesamte Ensemble ist in diese Produktion integriert und ist durchweg zu bewundern.

© Serghei Gherciu

Leider steht die akustische Seite der optischen um einiges nach. Das betrifft nicht den wunderbaren Rundfunkchor Berlin und dessen künstlerischen Leiter Gijs Leenaars und auch nicht das Orchester der Deutschen Oper, das seinen Verdi kennt und auch unter Nicholas Carter angemessen zu spielen weiß. Dem russischen Sopran Olesya Golovneva fehlt es nicht an Durchschlagskraft für das Libera me, aber generell an Rundung und Wärme. Beides findet sich eher im Mezzosopran von Annika Schlicht, der von einheitlicher Färbung in allen Registern ist. Über ein gesundes, kraftvolles Material verfügt der Tenor Andrei Danilov, weniger über das Vermögen zur Differenzierung, so wünschte man sich ein sensibleres Hostias, und auch das Ingemisco leidet unter dem Verzicht auf eine angemessene Agogik. Lawson Anderson ließ die balsamische samtene Schwärze eines italienischen basso profondo vermissen. So werden alle diejenigen, die vor allem wegen des Balletts gekommen waren, hoch zufrieden, diejenigen, denen es in erster Linie um den musikalischen Genuss ging, nur partiell auf ihre Kosten gekommen sein. An die Zürcher Besetzung mit einer Krassimira Stoyanova an der Spitze darf man da gar nicht denken.

Ingrid Wanja, 15. April 2023


Messa da Requiem

Giuseppe Verdi

Staatsballett Berlin

Premiere am 14. April 2023

Choreographie: Christian Spuck

Bühne: Christian Schmidt

Kostüme: Emma Ryott

Chorleitung: Gijs Leenaars

Musikalische Leitung: Nicholas Carter