Uraufführung am 28. April 2019
Ungetrübtes Glück
Nur ein einziges Mal gab es Unmutsäußerungen bei der Uraufführung von Detlev Glanerts neuer Oper „Oceane“ an der Deutschen Oper Berlin, als sich nach nicht enden wollendem Beifall der Vorhang senkte, sich aber angesichts des ungebrochenen Willens des Publikums, seine Begeisterung zu bekunden, sofort wieder hob. Gleichermaßen Chor wie Orchester nebst ihren Dirigenten, Solisten wie Regisseur, Bühnenbildner und Kostümbildnerin wie, ganz besonders natürlich, Librettist und Komponist wurden gefeiert, so dass die DO nach der herzlichen Aufnahme von Zemlinskys „Der Zwerg“ erneut einen und dazu noch größeren Erfolg verbuchen konnte.
Wohl nie träumen lassen hat es sich Theodor Fontane, dass einmal eine seiner Heldinnen, die so unheldisch oder doch in einem neuen Sinn heldenhaft sind, den Weg auf die Opernbühne finden würde. Ob Corinna oder Stine, Lene oder Effi, ihr Heldentum besteht nicht im Kampf für ihre Liebe gegen Väter, Priester, die Verhältnisse, sondern im Sichschicken ins zu ihrer Zeit Unvermeidliche, im Verzicht, im Sicheinrichten in der Gesellschaft, wie sie nun einmal ist, und wenn sie, selten genug, sterben, was ein gängiges Schicksal von Opernheldinnen ist, dann siechen sie still dahin, und es wird nicht viel Aufhebens von ihrem Tod gemacht. Oceane hingegen ist eine tragische Melusinenfigur, der der Zugang zur menschlichen Gefühlswelt versperrt bleibt. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass Oceane von Parceval nie über ein zwölfseitiges Fragment hinauskam.
So wie speziell Fontane so steht generell die Gattung Roman oder Novelle einer Veroperung im Weg, da nicht der Dialog wie im Drama Singbares liefert, sondern erst aus dem Erzähltext entwickelt werden muss. Librettist Hans-Ulrich Treichel sorgt für Humorvolles, wenn gleichzeitig die Hotelbesitzerin besseren Zeiten nachtrauert, während der Verwalter den Speisezettel herunter betet, stellt dem Tenor einen wunderschönen Hymnus auf die Liebe bereit oder legt dem Bass hohle religiöse Bekenntnisse in den Mund.
Dass „Oceane“ im Fontanejahr zur Uraufführung gekommen ist, erweist sich, wenn man die Interviews mit dem Komponisten liest, als Zufall, denn eigentlich sollte das Werk bereits 2017 auf den Spielplan kommen, die DO führte jedoch zunächst drei Einakter von Aribert Reimann urauf. Detlef Glanert bedient sich eines Riesenorchesters, ordnet jeder der Figuren ihre besonderen Instrumente, ihre besonderen musikalischen Ausdrucksweisen zu, weiß für die schöne Unbekannte sphärenhafte Klänge zu komponieren, bereits mit der Vocalise des Soprans zu Beginn eine Atmosphäre des Unwirklichen zu schaffen und bedient sich der Tänze Galopp, Walzer und Polka zur Charakterisierung des Geschehens. Donald Runnicles hielt den gewaltigen Apparat nicht nur zusammen, sondern achtete auch auf die Belange der Sänger und arbeitete die Gegensätze zwischen den auch musikalisch sich unterschiedlicher Mittel bedienenden Welten heraus.
„Ein Sommerstück für Musik in zwei Akten“ ist der Untertitel der Oper. „Oh graue Stadt am Meer“ geht dem Zuschauer beim Betrachten der Bühne von Luis F.Carvalho nicht aus dem Sinn, denn Meer, Himmel, Kostüme (Dorothea Katzer) sind grau, nur die lebensgierige Kristina darf ein weißes Krägelchen und ebensolche Manschetten tragen, während Oceanes Abendkleid wie ein silbriger, schuppenbedeckter Fischleib wirkt. Ein Fest zum Abschied von der Badesaison wird in einem renovierungsbedürftigen Hotel gefeiert, auf dem Oceane die Gesellschaft durch ungezügeltes Tanzen gegen sich aufbringt, den jungen Unternehmer Martin von Dircksen bezaubert, der am nächsten Tag, dem Beispiel seines Freundes und Kristians folgend, nach einem Kuss Oceanes die Verlobung mit ihr verkündet. Als sie auf das Befragen durch die Gesellschaft hin schweigt, bringt sie nicht nur den Pastor, sondern auch alle anderen außer Martin gegen sich auf, wird bedroht und kehrt ins Meer zurück. Am Strand liegt ein Abschiedsbrief an den fassungslosen Martin. Von fern klingt es wie ein Abschiedsgesang.
Robert Carsen hat die Geschichte sehr einfühlsam, sehr sensibel, ganz ohne Mätzchen oder den Willen zur Provokation oder Eigenprofilierung in Szene gesetzt. So etwas widerfährt fast nur noch einem völlig unbekannten Werk. Man meint sogar, dass er milderte, wo Kapitalismuskritik und ähnliches angesagt gewesen war. So war im Vorfeld vom krachledernen Unternehmer Martin die Rede gewesen, wo nun auf der Bühne ein sensibler, um Verständnis bemühter Liebhaber zu erleben war.
Ein Glücksfall und wesentlich mitverantwortlich für den Erfolg war die Besetzung der Titelpartie mit Maria Bengtson, eine schöne junge Frau mit leuchtendem Sopran und gleichermaßen überzeugend in Gesang und Darstellung. Eine wunderbare Charakterstudie liefert Doris Soffel als Madame Luise, die ihrer Pariser Vergangenheit nachtrauert und dies mit vollmundigem, jung klingendem Mezzosopran. Mit einem nicht immer angenehm wirkenden Zwitschersopran gibt Nicole Haslett das, was man in der Operette für eine Soubrette gehalten hätte. Nikolai Schukoff straft als Martin schon allein mit seinem wunderschön gesungenen Hymnus die Behauptungen Lügen, es handle sich um eine unsympathische Figur. Mit einem so schönen Tenor empfiehlt man sich sogar für das italienische Fach. Einen markanten Bariton setzt Christoph Pohl für den Felgentreu ein. Den hohlen Predigerton des Pastors Baltzer trifft Albert Pesendorfer vorzüglich. Stephen Bronk ist die angemessene Besetzung für den Georg.
Gemeinhin verschwinden in unserer Zeit uraufgeführte Opern nach einer Aufführungsserie in der Versenkung. Bei „Oceane“ sollte es sich für Bühnen mit entsprechendem Orchesterapparat lohnen, das Werk nachzuspielen.
Fotos Bernd Uhlig
29. April 2019, Ingrid Wanja