Premiere am 19.12.1993
98. Vorstellung am 20.12.2021
Opernglück trotz Absagepechs
Immer guten Mutes in die Deutsche Oper Berlin gehen kann man, wenn eine der alten Inszenierungen von Götz Friedrich, bis 2000 Intendant des Hauses und sein bedeutendster Regisseur bereits davor, auf dem Spielplan steht. Da kann man sich über eine Süße wie Bitternis des Künstlerlebens in Paris deutlich machende La Bohéme, einen so zauberhaften wie tieftraurigen Eugen Onegin, geistreiche Nozze di Figaro, einen tief berührenden Rosenkavalier und eine ebenso tragische Traviata freuen und in diesen Dezembertagen über mehrere Vorstellungen von Un Ballo in Maschera.
Viel länger als die Liste der noch auf dem Spielplan stehenden Produktionen von Friedrich ist die der davon gestrichenen und durch neue Inszenierungen ersetzten, die fast durchgehend eher ein Ärgernis als ein Grund zur Freude waren und sind. Da verstören und verärgern eine nur in der Einbildung des Radames bestehende Aida mit Wurststullen schmierender Amneris und im Publikum verteiltem Chor, eine Così fan tutte mit Erdölbohrer und Entjungferung auf dem Souffleurkasten, ein Falstaff in der Gosse vor der Fensterfront eines spießigen Jetztzeithotels, schon der zweite Holländer nach einem mit gegenseitiger Abmurkserei, ein Schwindler von Lohengrin mit lächerlichen Engelsflügeln, ein von Alzheimer und Parkinson geschlagener Tristan und eine Turandot, an deren Schluss die beiden Altchen Timur und Altoum mit Plastiktüten über die Szene wanken, ehe sie von ihren Kindern ins chinesische Jenseits befördert werden. Lediglich Parsifal und Tannhäuser fanden mit den Regisseuren Stölzl und Harms würdige Nachfolger. Über den neuen Ring gibt es im Opernfreund bereits viel und kaum Gutes zu lesen. Wenig Hoffnung kann man nach bisherigen Erfahrungen mit dem Regieteam haben, dass sich noch in dieser Saison der Meistersinger annehmen und die wunderbare Produktion von Götz Friedrich ersetzen wird, die sich durchaus nicht vor dem Thema Nürnberg und die Nazis gedrückt hatte.
Nun also und hoffentlich nicht zum letzten Mal Un Ballo in Maschera fast auf den Tag genau 28 Jahre nach ihrer Premiere in einer Produktion, an der es auch aus heutiger Sicht nichts auszusetzen gibt, werden doch Feminismus mit aktiven bis aggressiven Damen bei Ulrica und Homosexualität in ihrer zartesten Form zwischen Oscar und dem König berücksichtigt, und die ersten Vorstellungen sang sogar eine schwarze Sängerin mit der Amelia von Michele Crider.
Erfreulich gut gefüllt war das Haus mit auch vielen jungen Leuten, die der Titel Ein Maskenball vielleicht auch deshalb angelockt hatte, weil in Clubs und Diskotheken das Tanzen augenblicklich verboten ist. Sollte da ein neues, junges Publikum die Oper für sich erobern, dann wäre das so ziemlich die einzige gute Seite an Corona.
Leider war die Aufführungsserie vom Absagepech für gleich drei der fünf Hauptpartien verfolgt.
Anstelle von Angela Meade, Carlos Alvarez und Meechot Marrero sangen nun Irina Churilova, Thomas Lehman und Heidi Stober. Der Hausbariton machte seine Sache sehr gut, gewann nach leichten Unsicherheiten zu Beginn immer mehr an vokalem und darstellerischem Format und konnte spätestens mit Renatos „Eri tu“ mehr noch als mit den beeindruckenden Fermaten beweisen, dass er mehr als nur ein Ersatz für den vorgesehenen Starbariton war. Eine recht unausgewogene Leistung zeigte die junge Russin, die neben wunderschönen, engelsgleichen Tönen auch eine wenig markante Mittellage und insgesamt eine Stimme alles andere als aus einem Guss präsentierte, für die die erste Arie der Amelia fast zu dramatisch schien, erst „Morrò“ ihre schönen Qualitäten offenbarte. Heidi Stober war ein wunderbar umtriebiger Oscar, der insbesondere im Hause Anckarström quirlig Silbriges verbreitete.
Dass er sich auch ohne die berühmte Gattin behaupten kann, bewies Yusif Eyvazov in der Partie des Gustavo, in der er mit extremem darstellerischem Engagement beeindruckte, mit einer schön gedeckten Höhe und unermüdlichem vokalem Einsatz. Er gab an diesem Abend wirklich alles, was auch vom Publikum honoriert wurde, aber das Timbre des Tenors ist nun einmal ein sehr undankbares und das Vermögen, Schattierungen, Nuancen auszufeilen, ein begrenztes. So blieb er der elegantesten aller Verdi-Tenor-Partien nicht nur im „È scherzo“ doch einiges schuldig. Pures Hörvergnügen bereitete Judit Kutasi als Ulrica mit kostbarem Mezzo wie aus einem Guss. Imponierend war der Auftritt von Tyler Zimmerman als Ribbing, angemessen der von Patrick Guetti als Horn, Samueol Park gab einen angemessenen Christian. Mit Jörg Schörner war einmal ein Giudice auf der Bühne, der viel mehr als nur Stimmreste anzubieten hatte. Noch einige Unstimmigkeiten gab es zwischen Bühne und Orchestergraben, wo Michelangelo Mazza seines Amtes waltete und viel Schönes bot, so eine sehr einfühlsame Begleitung zu Amelias „Morrò“. In seiner auf dem Besetzungszettel veröffentlichten Biographie steht, dass er sich dem Paar Netrebko/Eyvazov eng verbunden fühlt. Da wäre es doch schön, wenn die Diva ihre Freundschaft auch dadurch beweisen könnte, dass sie durch Anwesenheit auf unserer Bühne glänzt.
Fotos Marcus Lieberenz
21.12.2021 Ingrid Wanja