Düsseldorf: „Eugen Onegin“, Peter Tschaikowsky

Kaum eine andere Oper scheint so sehr mit der Gefühlswelt des Komponisten verbunden zu sein wie Eugen Onegin. Fast zeitgleich mit der Entstehung dieser Oper ging der homosexuelle Tschaikowsky eine Ehe mit Antonina Miljukowa ein, auch um seine Familie vor öffentlichem Gerede zu schützen. Ausgangspunkt hierfür waren Liebesbriefe der jungen Frau an den russischen Komponisten, in denen sie ihm ihre leidenschaftliche Liebe gestand. Offenbar wollte Tschaikowsky kein Onegin sein, so dass er nach längerem Abwägen der Hochzeit zustimmte, auch wenn seine Gefühle für seine zukünftige Ehefrau weniger aus Liebe als aus einer Art Pflichtgefühl zu entspringen schienen. Er wollte nicht für ihr Unglück verantwortlich sein und es einfach „besser“ machen als die Titelfigur der Oper. Auch an anderen Stellen finden sich Parallelen zwischen der Oper und Tschaikowskys Leben, vor allem in den inneren Konflikten der Protagonisten. In diesen inneren Konflikten sieht auch Regisseur Michael Thalheimer den Kern der Oper, der seine Inszenierung wie ein Psychogramm der Hauptfiguren anlegt. Im ersten Akt konzentriert er sich auf Tatjanas Gefühlsleben, während er im zweiten Akt den Schwerpunkt auf Lenski und im dritten Akt auf Onegin legt. Dazu setzt er die Protagonisten in einen hölzernen Kasten (Bühne: Henrik Ahr), der sich durch verschiedene Holzwürfel weiter verengen oder öffnen lässt. Auf diese Weise soll wohl die innere Enge dargestellt werden, in der die einzelnen Personen gefangen sind. Das passt grundsätzlich gut zur eigentlichen Oper, denn auch der Komponist legte in seinen „lyrischen Szenen“ vor allem großen Wert auf die Gefühlswelt der drei Protagonisten. Allerdings ist es dann für einen rund drei stündigen Opernabend auch recht ermüdend, wenn sich die Rückwand immer wieder vor und zurück bewegt, ansonsten aber nur eine Pistole in der Duellszene und ein Stuhl (warum auch immer) als weitere Requisiten zum Einsatz kommen.

© Andreas Etter

Im Gegensatz zu Thalheimers Verdi-Inszenierungen Otello und Macbeth an der Deutschen Oper am Rhein, die durch ihre Konzentration auf das Wesentliche durchaus überzeugen konnten, gelingt dies bei Eugen Onegin leider nur bedingt. Auch wenn die Inszenierung durchaus ihre Reize hat, die unter anderem auch im gelungenen Spiel mit den Schatten liegen (Licht: Stefan Bolliger), ist dies zu wenig, um besonders lange im Gedächtnis zu bleiben. Erschwerend kommt hinzu, dass auch die Kostüme von Michaela Barth nun nicht wirklich originell sind. Man fragt sich unwillkürlich, warum die Mutter Larina eigentlich den ganzen Abend wie eine Ryanair-Stewardess herumlaufen muss? Eine Pause zwischen den zweiten und dritten Akt zu legen, macht dramaturgisch gesehen durchaus Sinn, denn zwischen diesen beiden Akten vergehen auch in der Oper einige Jahre. Allerdings bedeutet dies auch, dass bis zur Pause gute zwei Stunden vergehen, was unter Berücksichtigung der geringen Abwechslung auf der Bühne dann doch recht lang erscheint. Ansonsten lässt Thalheimer die Akteuere vornehmlich vorne auf der Bühne Richtung Pulikum singen, so dass auch hier wenig Interaktion stattfindet. Überspitzt ausgedrückt, hätte man hier vielleicht viel Geld sparen können und die Oper halb konzertant aufführen lassen.

© Andreas Etter

Allerdings unterstützt diese Art der Personenführung die ohnehin starke musikalische Seite des Opernabends. Ekaterina Sannikova gibt eine Tatjana auf Weltklasse-Niveau. Allein diese Besetzung entschädigt dann doch für die eine oder andere Schwäche bei der Inszenierung. Auch David Fischer konnte bei seinem Rollendebüt als Lenski das Publikum restlos begeistern, das ihm am Ende des Abends stürmischen Beifall zollte. Bogdan Baciu singt den Eugen Onegin ebenfalls sehr souverän. Erschwerend kommt für ihn hinzu, dass die Rolle durchaus unterschwellig unsympathisch angelegt ist, so dass ihm nicht viel Raum zum Glänzen bleibt. Katarzyna Kuncio (Larina), Anna Harvey (Olga), Sami Luttinen (Fürst Gremin) und Ulrike Helzel (Filipjewna) füllen ihre jeweiligen Rollen angemessen aus. Vitali Alekseenok leitet die Düsseldorfer Symphoniker gewohnt kraftvoll und mit viel Gespür für das richtige Timing durch den Abend. Auch der Chor der Deutschen Oper am Rhein zeigt sich gut einstudiert.

© Andreas Etter

Alles in allem ist Eugen Onegin ein Opernabend, der den Zuschauer etwas zwiegespalten zurücklässt und vielleicht nicht allzu lange im Gedächtnis bleibt. Er ist aber auch weit davon entfernt, als großes Ärgernis zu gelten. Da eine Aufzeichnung der Premiere ab dem 23. März 2024 für sechs Monate kostenlos auf der Plattform Opera Vision zur Verfügung stehen wird, können sich interessierte Opernfreunde sehr bequem ein eigenes Bild von diesem Opernabend machen.

Markus Lamers, 5. März 2024


Eugen Onegin
Oper von Peter Iljitsch Tschaikowsky

Oper am Rhein, Düsseldorf

Premiere: 25. Februar 2024
Besuchte Vorstellung: 3. März 2024

Inszenierung: Michael Thalheimer
Musikalische Leitung: Vitali Alekseenok
Düsseldorfer Symphoniker

Trailer

Weitere Aufführungen: 9. März / 21. März / 24. März / 1. April / 4. April / 19. April / 10. Mai

Vollständiges Streaming ab 23. März 2024 auf Opera Vision: https://operavision.eu/de/performance/eugen-onegin