Aufführung vom 26.03.2013 (Premiere am 23.03.2013)
Der Wald in mystischen Dimensionen
Robert Carsens Inszenierung von Mozarts "Zauberflöte" verzichtet keineswegs auf mystische Momente. Der Wald in all seinen geheimnisvollen Facetten steht dabei im Mittelpunkt. Aber eben auch die Vielschichtigkeit der Geschichte des Prinzen Tamino (facettenreich: Pavol Breslik), der sich in das Bildnis von Pamina (mit strahlkräftigen Spitzentönen: Kate Royal) unsterblich verliebt und an dieser Liebe reift. Diese wichtigen psychologischen Momente arbeitet die Inszenierung stimmungsvoll heraus.
Als er sich im Auftrag der Königin der Nacht (mit sehr schlanken Koloraturen agierend: Ana Durlovski) auf den Weg macht, um Pamina aus den Fängen des angeblich bösen Sarastro (voluminös und mit Wucht: Dimitry Ivashchenko) zu befreien, gewinnt die Aufführung deutlich an Schwungkraft. Der Wald lichtet sich. Wie Monostatos (James Elliott) versucht, Pamina zu vergewaltigen – und dann von dem satirisch überzeichneten Papageno Michael Nagys überrascht wird – entbehrt hier keineswegs einer gewissen Komik.
Auf der anderen Seite besitzt diese Aufführung auch einen allzu spröden und stellenweise sogar unerotischen Charakter, was für die Verdeutlichung der Rokoko-Zeit aber wichtig wäre. Der Tod steht dabei immer wieder im Mittelpunkt. Für Robert Carsen ist Mozarts "Zauberflöte" aber zugleich eine lichtdurchflutete Oper. Der Tod zeigt dabei thematisch einen Weg, um das Menschliche der Handlung erfahrbar zu machen. Berührend ist zugleich, wie Pamina und Tamino sich gegenseitig ihrer Liebe versichern. Geheimnisvoll wirken die Prüfungen der Liebenden, wobei sich alles zwischen Särgen abspielt. Am Ende entsteigen die Protagonisten diesen Särgen und das Leben beginnt wieder ganz neu.
Allzu blass bleibt leider, mit welcher dramatischen Wucht die Königin der Nacht ihrer Tochter befiehlt, Sarastro zu töten. Recht traditionell ist die Szene zwischen Papageno und Papagena (mit schlankem Timbre: Regina Mühlemann), die recht schnell zueinanderfinden. Der Untergang der Königin der Nacht im Verlies wirkt hier allerdings allzu blass und farblos – und auch der letzte Auftritt Sarastros hätte noch glanzvoller sein können.
Die Berliner Philharmoniker musizieren unter der umsichtigen Leitung von Sir Simon Rattle allerdings aus einem Guss. Flammende Leidenschaft steht bei dieser konzentrierten Wiedergabe mit ungewöhnlichen Tempi immer wieder präzis im Mittelpunkt. Stellenweise wird schon in der Ouvertüre der Stretta-Charakter überbetont. Die Feierlichkeit der Handlung ist hier überzeugender wie das reine Spektakel. Heterogene Momente wie Opera buffa und Opera seria bringt Sir Simon Rattle deutlich in einen sinnvollen Zusammenhang. Es herrscht immer wieder die volle Spontanität des Spiels, die Trennung des Hohen vom Niedrigen weckt Assoziationen zu Richard Wagners "Parsifal". Der sphärenhafte Ton des Duetts "Bei Männern, welche Liebe fühlen" wird sehr schön getroffen. Die Vorstellung der Reihe von Abenteuern, die der Held zu bestehen hat, besitzt viel Logik und darstellerische Klarheit.
Die "Zauberflöte" ist hier ein echtes Drama, bei dem der innere Stillstand und die Elemente des Verharrens nicht zu kurz kommen. Der Schwebezustand zwischen Schikaneders Text und Mozarts Musik wird von den Berliner Philharmonikern unter der inspirierenden Leitung von Sir Simon Rattle immer wieder plastisch herausgearbeitet, aber in Robert Carsens Inszenierung nicht konsequent genug umgesetzt.
Die poetische Idee des Fugenverfahrens arbeitet Sir Simon Rattle im Allegro-Teil der Ouvertüre mit nie nachlassender Energie konsequent heraus. Die verschlungenen Wege der Stimmen in der Fuge werden als plastische Läuterungsprozesse erfahrbar, deren Intensität sich ständig verstärkt. Die Berliner Philharmoniker lassen auch das federnd leichte Staccato nicht zu kurz kommen, die Doppelschlags-Figur des Forte führt zu einem fundamentalen Quintintervall. Sir Simon Rattle entlockt Mozarts Musik ganz bewusst explosive und atemlose Momente.
Nicht immer ganz so plausibel ist dagegen das oftmals brüchige Inszenierungskonzept, das die Motive der dramaturgischen Einheit zuweilen zu wenig beleuchtet. So tritt auch die Grundidee einer Lebenswanderung nicht deutlich genug hervor. Dass die Figuren der "Zauberflöte" ihr Profil durch das Zusammenspiel und durch die Situationen (in die sie versetzt werden) erhalten, vermisst man ebenfalls. So bleibt vieles an der Oberfläche und wirkt klamaukhaft – beispielsweise die herumliegenden Skelette vor den Särgen. Im Unterschied zur Königin der Nacht geht es Sarastro aber darum, Tamino zu sich selbst finden zu lassen. Ein Aspekt, den diese nicht immer gleich überzeugende Inszenierung am besten herausarbeitet.
Die Vereinigung des "edlen Paars" findet im Zeichen eines verwandelten selbstbewussten Daseins statt. Als dämonische Intrigantin findet Ana Durlovski nicht immer zur gleichen Größe, wennglich ihre mörderischen Koloraturen dem Publikum imponieren. Sarastro wiederum zeigt hier keine herrische Härte und Grausamkeit, sondern zuweilen sogar übetriebene Nachsicht. Im Kontrast hierzu steht der gelungene Auftritt Papagenos bei "Der Vogelfänger bin ich, ja". Die unmittelbare Beziehung zwischen Tun und Empfinden erscheint hier immer wieder in allen möglichen Variationen. Und im C-Dur-Finale wird die Handlung gleichsam in eine neue Region geführt. Allerdings hätte man die Sphäre des Lichts hier noch deutlicher herausarbeiten können.
Isoliert steht bei dieser Aufführung Sarastros E-Dur-Arie "in diesen heil’gen Hallen" dar. Ein schärferer Gegensatz zwischen dem rasenden d-Moll der Königin der Nacht und Sarastros erhabenem E-Dur ist kaum denkbar. Undeutlich bleibt bei der Aufführung aber, dass man den Untergang der von der Königin und ihren Helfern repräsentierten Macht als Widerspruch zu Sarastros Racheverzicht deuten könnte. In weiteren Rollen gefallen Annick Massis, Magdalena Kozena und Nathalie Stutzmann als erste, zweite und dritte Damen, Jose van Dam als Sprecher, David Rother, Cedrik Schmitt und Joshua Augustin als erster, zweiter und dritter Knabe, Andreas Schager als erster Priester, Jonathan Lemalu als zweiter Priester sowie Benjamin Hulett und David Jerusalem als erster und zweiter Geharnischter.
Alexander Walther
Besprechungen älterer Aufführungen befinden sich ohne Bilder unten auf der Seite Baden-Baden des Archivs