Interview: „Gabriela Scherer“, hochgelobte Ring-Gutrune bei den Bayreuther Festspielen

© Tatyana Vlasova

Im vergangenen Jahr debütierte Gabriela Scherer erfolgreich in der Partie der Ring- Gutrune bei den Bayreuther Festspielen. Das von Presse und Publikum begeistert aufgenommene Debüt führte dazu, dass Katharina Wagner sie auch für 2025 einlud, diese Partie erneut zu singen, so dass sie damit zum zweiten Male in Folge auf dem Bayreuther Grünen Hügel zu erleben war. Scherer, die sich bereits zuvor mit Wagner-Partien wie Elsa und der Senta einen internationalen Ruf erworben hatte, will aber dennoch nicht als „Wagner-Sängerin“ bezeichnet werden. Obgleich sich ihre Stimme im Bereich der jugendlich-dramatischen Sopranrollen des Bayreuther Meisters wohlzufühlen scheint, möchte sie ungern auf einen Komponisten festgelegt werden. Das deutsche Fach, dass ihr sehr am Herzen liegt, mit Werken von Beethoven, Weber und auch – und sehr gern – Richard Strauss, möchte sie unbedingt weitersingen. Mozart sowieso, da „so gut für die Stimme“. Aber in der Zukunft darf es auch der eine oder andere Verdi sein: Die Desdemona aus OTELLO ist ihr erklärtes Wunschziel. Mit der erfolgreichen und international gefragten Sopranistin führte ich im Oktober 2025 ein ausgiebiges Gespräch. Ein Gespräch, dass auch mal gern die Grenzen der Oper verlassen hat und Einblicke in die Frau, die Mutter und die Ehefrau Gabriela Scherer miteinschloss. Deshalb wird es auch nicht so sehr um Jahreszahlen oder Fakten zu Ausbildungen und Diplomen gehen. Das alles ist sehr leicht zu googeln, wenn man ihren Namen eingibt. Bei so vielen Fakten und Daten bleibt doch eines oft auf der Strecke: Der Mensch hinter all dem. Und das möchte ich versuchen, ein wenig zu erhellen.

Der Opernfan, erste Schritte als Mezzosopran, Ehe, Kinder und Beginn der Karriere als Sopranistin

Oft saß sie im Zuschauerraum des Opernhauses ihrer Geburtsstadt Zürich. Ein Opernhaus von Weltgeltung. Dort, wo sich damals wie heute, die Großen und ganz Großen der Opernszene die sprichwörtliche Klinke in die Hand geben. Wer im Opernhaus Zürich auftritt, gehört zur internationalen Spitzenklasse. Und so kam die junge Gabriela Scherer lange vor ihrer eigenen Opernkarriere – und ihrem eigenen Opernhaus Zürich-Debüt – in indirekten Kontakt zu Sängerinnen und Sängern, die sie für ihre Gesangskunst bewunderte und bewundert. Wie eine spielfreudige Cecilia Bartoli mit ihrer herrlichen und flexiblen Mezzo Stimme, die sie u.a. als Cenerentola erlebt hat, oder, und sie dann ganz besonders, Barbara Frittoli.  Über Barbara Frittoli erzählt sie mir: „Sie hat Spuren in meinem Herzen hinterlassen. Sie ist für mich der Inbegriff einer großen Sängerpersönlichkeit. Und ihre Desdemona ist einfach absolut herrlich!“ Und wenn Frau Scherer über ihre, jetzt muss es ja Kollegin heißen, spricht, kommt ihre Begeisterung und Bewunderung für diese italienische Ausnahmesängerin sehr nachvollziehbar herüber. Hier klingt die Begeisterung der jungen Gabriela in der Stimme mit, wenn sie über die Opernabende mit der späteren österreichischen Kammersängerin Frittoli erzählt. Barbara Frittoli bezeichnet sie auf Nachfrage als ihr ganz persönliches Vorbild.

Der Fliegende Holländer – Rheinoper Düsseldorf © Hans-Jörg Michel

Und überhaupt ist Gabriela Scherer eine Frau, die mit Begeisterung, mit Ernsthaftigkeit, aber auch mit viel Humor über ihre Ausbildung zur Sängerin, die Anfänge ihrer Karriere, den Umweg vom Mezzo zum Sopran, der dann ab 2011 folgenden Partien im Jugendlich-dramatischen Sopranfach und später über ihre Heirat mit dem Bariton Michael Volle, ihrer Zeit als Mutter von zwei Kindern und dem daraus resultierenden vorläufigen Karriereende berichtet. Ein Karriereende, dass im Rückblick gesehen eigentlich nur eine längere, von Mutterglück erfüllte Pause war. Denn danach startete sie richtig durch. Die Rollenangebote, die sie nach der Erziehungszeit erhielt waren Mezzorollen. Aber sie hatte bereits vor den Geburten ihrer Kinder und dann später auch in der Zeit ihres Mutterurlaubes Sopranrollen einstudiert. Aber erst einmal war sie vor allem eines sehr gern: Mutter!

Anlässlich eines gemeinsamen Falstaff-Auftrittes bei den Pfingstfestspielen 2007 in Baden-Baden lernte sie ihren späteren Ehemann, den Bariton und damals schon Opernweltstar, Michael Volle kennen. Zu dieser Zeit noch als Mezzosopranistin, die sich aber immer schon in diesem Fach nie ganz wohlgefühlt hat, auf den europäischen Bühnen unterwegs. Sie, die auch schon vor ihrer Beziehung mit Michael Volle einen gut gefüllten Terminkalender hatte, fühlte sich sodann immer mehr als die „Frau vom Volle“ angesehen und missverstanden. In der Opernszene ist es durchaus keine Seltenheit, dass sich Sängerehepaare finden, aber wenn einer oder eine davon zuvor eine Weltkarriere absolviert und der andere Teil des Paares diese Klippen noch nicht genommen hat, entstehen bei anderen Menschen oft Bilder in den Köpfen, die ungerecht und manchmal auch missgünstig eingefärbt sind. Und wenn es dann bei Sängerpaaren um den Kinderwunsch geht, ist es, weil Natur der Sache, oft die Frau, die ihre eigenen Karriereplanungen und Wünsche hintenanstellt, während der Partner weiter seinen künstlerischen Verpflichtungen nachkommen kann und letztlich auch muss. Denn, er ist es dann auch, der für das Familieneinkommen sorgt. Gabriele Scherer, die ihr Mutterdasein als eine überaus glückliche Fügung bezeichnet, musste nach 5 Jahren Erziehungszeit den Wiedereinstieg in die Opernszene angehen. Sie berichtet davon, dass dieser Wiedereinstieg nicht leicht war, aber sie es zielstrebig und nun ihrer Stimme entsprechend, als Sopran anging. Und sie startete durch. Ausgestattet mit allem, was ihr das Leben bot und mit der erforderlichen Lust und Freude auf die Musik, auf neue Partien und neue Herausforderungen.

Sie ist die Frau des Baritons Michael Volle. Das ist allgemein bekannt. Aber ebenso bekannt ist es mittlerweile auch, dass Michael Volle der Mann der Sopranistin Gabriela Scherer ist. Eine Beziehung auf Augenhöhe und dem schicksalhaften Zufall, dass beide den gleichen Beruf ausüben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Beide sind viel gefragt und oft zu eigenen Engagements unterwegs. Ihre beiden Kinder, mittlerweile im Teenageralter, sind damit großgeworden, dass einer von ihnen, oder auch schon mal beide Elternteile, beruflich unterwegs waren und sind. Ohne Hilfe einer Nanny wäre es oft nicht möglich gewesen, berichtet mir Gabriela Scherer. Aber letztlich hat alles bestens funktioniert. Ein Umstand, der so viele berufstätige Paare betrifft. Auf die Frage, ob die beiden Kinder, ein Junge und ein Mädchen, in die beruflichen Fußstapfen ihrer Eltern treten wollen, sagt Frau Scherer: „Nein, singen wollen sie wohl nicht. Aber kulturell interessiert sind sie beide. Ich glaube, das geht so in Richtung Darstellung oder Schauspiel. Mal sehen, was da noch kommt„.

Der Opernstar, die Frau in der Oper, Ziele und Wünsche und Bayreuther Weihen

So emotional und innerlich erfüllt Gabriela Scherer von ihrem Leben als Mutter und Ehefrau spricht, so reflektiert, aber nicht weniger gefühlsbetont, ist sie in ihren Ausführungen, wenn es um ihre beruflich-künstlerischen Aufgaben, Ziele und Wünsche geht. Sie ist dabei selbstkritisch und wie die meisten Künstlerinnen und Künstler, manchmal nie so ganz zufrieden mit sich und ihrer Leistung. Aber auch das ist eine charakterliche Eigenschaft von Gabriela Scherer, die sie so glaubhaft und sympathisch macht.

Professionell wie sie alles angeht, antwortet sie auch auf die Frage nach beruflichen Zielen und weiteren Partien ihres Fachs. Bei Richard Wagner sind es besonders die beiden Rollen der Senta aus dem Fliegenden Holländer und Elsa aus dem („mein geliebter…“) Lohengrin. In beiden Partien hat sie schon große Erfolge feiern dürfen. Sei es als Senta (Hausdebüt) an der Hamburger Staatsoper oder der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf oder als Elsa in Leipzig. Besonders liegt ihr die Senta am Herzen, die sie mit dem jungen Dirigenten Tarmo Peltokoski in diesem Jahr in Luxemburg aufgeführt hat. „Das war eine sehr besondere Zusammenarbeit mit Tarmo „, erzählt sie. „Natürlich kann ich die Ballade der Senta auch mit großer, voller Stimme singen, aber er wollte es gerade auf eine besondere, zurückgenommene, Weise. Ich denke sehr gern an dieses Konzert in Luxemburg zurückIch fühlte mich bei ihm wie auf Händen getragen.“ Weitere große Erfolge dieser Jahre sind u.a. das Hausdebüt an der Staatsoper Berlin mit der Ariadne und der Donna Elvira, ihre erste Chrysothemis (Elektra) an der Semperoper, das Debüt als Leonore in Fidelio in Lissabon, die Arabella in Düsseldorf, die Pamina aus der Zauberflöte und die Freia im Rheingold in der Elbphilharmonie unter Thomas Hengelbrock. Im italienischen Fach die Elisabetta (Don Carlo) in Leipzig und die Tosca in Dortmund. 2027 folgt dann auch noch ihre erste Wagner-Elisabeth.

Auch wenn der Schwerpunkt der Schweizer Sopranistin augenscheinlich auf Wagnerpartien liegt, möchte sie nicht allein darauf festgelegt werden. Verdi ist es, der ihr auch am sängerischen Herzen liegt. Und hier besonders ihre Traumpartie der Desdemona aus Otello. „Ich liebe diese Partie und will sie unbedingt singen. Überhaupt bin ich der Meinung, dass Verdi der Stimme sehr gut tut.“ Der Wunsch wird sicher in Erfüllung gehen. Da bin ich überzeugt. Gefragt zu der anspruchsvollen Partie der Leonore aus Fidelio, die sie ab dem 3. Mai 2026 fünfmal in Zürich singen wird, sagt sie mir: „Ich singe diese Partie sehr gern. Und dazu mit viel Freude. Wichtig für mich ist, meine Stimme schlank zu führen. Ich freue mich sehr auf Zürich„.

Zuvor aber gibt sie noch ein Verdi-Debüt: Im November 2025 singt sie erstmals die Alice Ford in FALSTAFF an der Staatsoper Berlin. Als Falstaff wird ihr Mann Michael Volle gastieren. In Berlin kommt es dann also zu einem der eher seltenen gemeinsamen Auftritte des Sängerehepaares.

Und im Sommer 2026 ist es dann soweit: Die Bayreuther Festspiele rufen erneut! Gabriela Scherer wird dort die Partie der Irene in Wagners früher Oper RIENZI singen. Zum ersten Mal kommt diese Oper von Wagner auf den Spielplan. Und die erste Bayreuther Irene wird Gabriela Scherer sein. Das wird auf ständig in den Bayreuther Annalen verewigt sein. Am Sonntag, 26. Juli 2026 findet die Bayreuther Rienzi-Premiere statt. In der Titelpartie wird Andreas Schager debütieren. Nathalie Stutzmann hat die musikalische Leitung und Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka führen Regie. Dass die Festspielleitung Frau Scherer für diese Partie ausgesucht hat, zeugt von ihrer großen sängerischen Qualität und Bedeutung, die sie mittlerweile als Sängerin von großen Wagnerpartien erlangt hat.

Viele neue spannende Aufgaben und bereits vieles, was sie schon auf den Bühnen der Welt dargestellt und gesungen hat. Mit namhaften DirigentInnen und RegisseurInnen hat die Schweizer Sopranistin zusammengearbeitet. Apropos Regie. Wie halten Sie es eigentlich mit der Regie Frau Scherer? Immer zufrieden und einverstanden? „Ich arbeite sehr gern mit der Regie zusammen. Ich habe auch kein Problem mit modernen, in die Gegenwart versetzten, Inszenierungen. Wichtig ist mir aber, dass mir das Regiekonzept glaubhaft und nachvollziehbar rübergebracht wird. Und dann bin ich sehr gern Teil dieser Inszenierung.“ Wir sprachen auch darüber, dass die Rolle der Frau, also die Sängerin, in der Opern- und Theaterszene nicht immer frei von Problemen und verschrobener Ansichten ist. „Ja, das ist durchaus ein heikles Thema„, sagt mir Frau Scherer, „nicht jede Sängerin hat die Idealmaße, die anderen so vorschweben. Gerade wenn man als Frau Kinder geboren hat, verändert sich oftmals die Figur. Ich werde dann immer wütend, wenn ich die Modelle für die Kostüme sehe, die eigentlich nur einer dürren Frau passen.“ Wir waren uns über diesen Punkt in vielem einig. Wie ein männlicher Kollege körperlich gebaut ist, wird sehr selten thematisiert. Ist eine Sängerin dagegen weiblicher oder auch fülliger, kann man auch noch heutzutage abfällige Bemerkungen, sogar in Rezensionen, lesen. Da hat sich leider immer noch nicht genug getan. Eigentlich so schade und so sinnlos, dass darüber immer noch gesprochen und geschrieben werden muss. Sie sollen singen, sollen ihre Rollen darstellen. Modeln gehört allerdings nicht dazu. Dafür gibt es andere Bühnen.

Der Weg ist das Ziel

Frau Scherers Terminkalender ist voll. Mit ihr zu telefonieren, gelingt nur nach vorheriger Absprache und zeitlicher Planung. Zielstrebig, klug und bewusst geht sie ihre Weltkarriere an. Die Rollenauswahl, die sie trifft, ist immer sehr überlegt. Voreilige Angebote, wie große Wagnersopranpartien, sagt sie ab. Sie sagt aber nicht, dass diese Partien nicht ein künstlerisches Ziel sind. Aber sie sagte ja auch, dass sie nicht nur als „Wagnersängerin“ gelten möchte. Obgleich sie eine der besten ist. Sicher aber die beste Schweizerin in diesem Fach. Sie bleibt bei allem realistisch, aber lässt Träume und Ziele jederzeit zu. Und sie bleibt Mensch. Bei allem, was sie sagt.

Danke, liebe Gabriela Scherer.

KünstlerInnen-Portrait von Detlef Obens  © DAS OPERNMAGAZIN