So viele Besucher waren noch nie zu einem Operntreff gekommen: der Saal war mit ca. 50 Besuchern rappelvoll. Alle wollten den Tenor Mirko Roschkowski sehen, obwohl er diesmal gar nicht singen, sondern nur über seine Arbeit als freischaffender Tenor berichten sollte. Julia Kluxen-Ayissi, stellvertretende Vorsitzende der Bonner Opernfreunde, hatte den Tenor zu einem Hintergrundgespräch über seine Arbeit als freiberuflicher Sänger zu einem Operntreff eingeladen. Roschkowski hatte zwei Tage vorher in „Der singende Teufel“ von Schreker in der Hauptrolle des Künstlers und Orgelbauers Amandus Herz geglänzt. Die Bonner Opernfreunde kennen ihn seit 2009 als Tamino, Belfiore, Don Ottavio, Belmonte, Alfredo, Prinz in „Die Liebe zu den 3 Orangen“, Prinz in „Rusalka“, Gérald in „Lakmé“, Bajazet, Nemorino, Don José, Benvenuto Cellini, Baron Kronthal, Walther von der Vogelweide in „Tannhäuser“, Nicias in „Thais“ , Lohengrin und Li-Tai-Pe.
„Dass dieser Schreker-Partie zählt sicher zum Schwersten, das ich bisher gemacht habe, zumal ich parallel in den Proben für mein Debüt als Werther steckte. Es geht um die Partie des Amandus Herz im „Der singende Teufel“. Es gibt keine Einspielungen auf dem Markt, nur der Klavierauszug wurde ihm zugeschickt.
„Die wahre Größe der Rolle konnte ich zunächst kaum einschätzen, die Musik ist nie vorhersehbar und Amandus ist als Darsteller immer auf der Bühne präsent. Ich konnte erst spät anfangen, mich auf diese Produktion vorzubereiten. Im Frühjahr 2023 habe ich dann die Partie mit Jan Arvid Prée einstudiert, aber ich hatte unglaubliche Ängste, ob ich das in der Zeit schaffe. Aber mit dem Beginn der Proben hier vor Ort ist etwas passiert, was ich nie gedacht hätte. Es war von Anfang an großartig, die Atmosphäre war sehr gut, und die Probenarbeit mit der Regisseurin Julia Burbach und mit Dirk Kaftan hat unglaublich viel Spaß gemacht. Spätestens als das Orchester dazu kam hat diese Arbeit einen Sog entwickelt, dem ich mich nicht entziehen konnte. Auf CD eingespielt würde das vielleicht nicht so wirken, aber ich glaube, dass das Stück wirklich ein Theaterabend ist, der funktioniert, wenn alle Gewerke zusammenspielen: Chor, Orchester, Bühnenbild und Beleuchtung. Eigentlich ist der Amandus Herz eine Schauspielrolle mit Musik, und auch mit Tanz. Ich bin für meine Probentanzeinlagen bekannt, meist werde ich dann aber gebremst. Bei Benvenuto Cellini durfte ich ziemlich viel tanzen und auch der Choreograf Cameron McMillan hat mich als Amandus aktiv in die Szenen mit den sieben wunderbaren Tänzerinnen und Tänzern eingebaut. Das macht mir große Freude! Ich habe zwar kein Ballett gelernt, aber intensiv Gesellschafts- und Formationstanz betrieben. Es gab nur noch positive Eindrücke. Ich kann es jetzt noch gar nicht glauben, dass ich es geschafft habe und dass ich morgen schon wieder diese Partie singen werde.“
Am 21. Mai 2023 feierte Mirko Roschkowski einen sagenhaften Erfolg mit der Rolle des Amandus Herz in der Oper Bonn. Auch die Presse bescheinigte ihm eine überragende Darstellung und der Oper Bonn eine tolle Gesamtleistung. „Es wird wohl bei den sechs Vorstellungen bleiben, aber die beschwerliche Einstudierung hat sich doch gelohnt!“
„Der singende Teufel“ ist ein vielschichtiges Alterswerk Schrekers und in der Tonsprache sehr komplex, weil die Tonalität aufgehoben ist: kein Ton ist vorhersehbar. Unmittelbar vorher, am 6. Mai 2023, hatte Roschkowski noch den Éléazar in „La Juive“ gesungen, eine selten gespielte Grand Opéra, und am 7. April in Dortmund den Lohengrin, alles sehr fordernde und unterschiedliche Partien. Mirko Roschkowski ist so charismatisch, weil er sehr natürlich wirkt und sich voll mit seinen Rollen identifiziert. Auch der Amandus Herz war absolut authentisch.
Mirko Roschkowski war von 2009 bis 2013 Mitglied des Bonner Ensembles, er fing als Belmonte an und hat in den ersten 15 Jahren seiner Karriere sehr viel Mozart gesungen, insgesamt 11 verschiedene Partien: in Bonn Belmonte, Belfiore und Tamino, in der Wiener Volksoper und der Dresdner Semperoper ebenfalls Tamino, im Staatstheater Wiesbaden in einer Doppelpremiere Idomeneo und Tito und in Köln und Bonn Don Ottavio. Seine Karriere begann er als Ensemblemitglied in Bremerhaven, wo er viele erste Partien erarbeitete und in dieser Spielzeit als Gast den Werther gestaltete.
Auf die Frage, welche Partien ihm am liebsten sind, antwortete er: „Ich liebe Berlioz schon sehr, insbesondere „Die Trojaner“ sind mir ans Herz gewachsen. Ich liebe auch „Katja Kabanova“, aber der Lohengrin war immer das größte Ziel. ‚Sie werden Lohengrin singen,‘ war die Prognose meiner Lehrerin Edda Moser, und das sollte dann auch einer der Meilensteine meiner Karriere 2018/19 in Bonn werden. Ich habe ihn dann in Chemnitz und Dortmund gesungen und in der nächsten Spielzeit kommt eine Neuproduktion in Wiesbaden. Premiere ist am 16.9.2023. Da kann ich die Rolle vertiefen und weiter durchdringen.“
Mirko Roschkowski ist seit 2013 freischaffender Künstler. „Die Agentin hat die schwierige Aufgabe dafür zu sorgen, dass ich jeden Monat was zu tun habe. Das schafft sie schon seit 2007. Sie arbeitet mit vielen Häusern zusammen: Berlin, Bremerhaven, Dortmund, Volksoper Wien, Leipzig, Bonn, Wiesbaden, Köln, Karlsruhe… Die Agentin baut den Plan mit mir zusammen, natürlich spricht sie das vorher mit mir ab. Wenn ich dann an eins der vertrauten Häuser komme, entsteht das Gefühl nach Hause zu kommen, wenn ich wieder dieselben Menschen hinter der Bühne treffe.“
So schön der Alfredo in der Inszenierung der „La Traviata“ in Bonn war: „Ich habe ihn mit Miriam Clark und mit Sigrun Palmadottir gesungen, aber die Italiener liegen mir nicht so. Meine Stimme, die ja recht hell timbriert ist, entspricht mehr dem französischen Fach und inzwischen auch dem deutschen.“ Er verriet, dass ein Rollendebut als Stolzing in Wagners „Meistersingern von Nürnberg“ für die Spielzeit 2024/2025 in Bonn geplant ist.
In Leipzig hat er den Gounod-Faust gesungen, in der Volksoper Wien den Hoffmann „was ja fast schon eine Operette ist,“ wie er augenzwinkernd bemerkte. Demnächst wird er im Aalto-Theater Essen eine Faust-Oper singen, aber nicht von Berlioz, nicht von Gounod, nicht von Boito, sondern von der französischen Komponistin Louise Bertin, die den „Fausto“ in italienischer Sprache schon vor den anderen 1831 vertonte. Auch das wird eine Wiederentdeckung. Premiere ist am 27. Januar 2024.
Als freischaffender Künstler trägt man das volle Risiko: in der Zeit der Corona-Pandemie war das schon sehr beklemmend. In Dortmund hat er eine „Geisterpremiere“ von „Die Stumme von Portici“ in einer Inszenierung von Konwitschny vor 25 Journalisten gesungen, danach brach alles weg, unter anderem eine Tournee nach Japan und China mit Dirk Kaftan und dem Beethoven-Orchester und das Rollendebut als Florestan.
„Es war eine harte Zeit, denn man wusste ja gar nicht, wie lange das dauert, und ich habe erst noch unter Hochdruck weiter gelernt und vorbereitet. Da waren die Kollegen im Ensemble schon besser abgesichert, aber mein Mann hat ja als Arzt weitergearbeitet, da ging das schon. Für Paare, wo beide freischaffende Künstler sind, war es ein riesiges Problem.“
Einer der Gründe, warum Roschkowski freischaffender Künstler wurde, ist der, dass das Stammhaus immer Vorrecht hat. „Wenn man im Stammhaus eine kleine Rolle singen soll, geht das vor. Wenn man frei von einem Spielplan mit Hilfe einer Agentur seine Karriere aufbauen kann, ist das schon eine große Hilfe.“ So hat er 2007, als er noch in Düsseldorf engagiert war, in Bayreuth vorgesungen. Man hätte ihn dort als Knappen im Parsifal engagiert, aber er hatte vertragliche Verpflichtungen in Düsseldorf, und es hat zeitlich nicht gepasst. Nun hat man ihn in diesem Jahr erneut für ein Vorsingen in Bayreuth eingeladen.
Er hat seine Karriere sehr klug geplant und nicht, wie so viele, zu viel zu früh gesungen. Vor dem Stolzing am 6. Oktober 2024 kommt in Bonn noch die Wiederaufnahme von „Li-Tai-Pe“ von Franckenstein in der Spielzeit 2023/24.
Ursula Hartlapp-Lindemeyer 5. Juni 2023
Besonderer Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN
Mirko Roschkowski
bei den Bonner Opernfreunden.
1. Juni 2023