Sergej Prokofjew
Romeo und Julia – Auszüge aus den Sinfonischen Suiten op. 64a und b
Sergej Prokofjew
Sinfonie Nr. 3 c-moll op. 44 (1928)
Symphonischer Gipfel
Im Rahmen seiner sehr seltenen Gastspiele in Deutschland präsentierte sich das Chicago Symphony Orchestra mit seinem langjährigen Chef-Dirigenten Riccardo Muti in der Kölner Philharmonie. Auf dem Programm standen ausschließlich Werke von Sergej Prokofjew.
Im Jahr 1938 feierte dessen Ballett „Romeo und Julia“ seine Ur-Aufführung in Brünn, nachdem es wenige Jahre zuvor vom Moskauer Bolschoi-Theater in Auftrag gegeben wurde. Seither ist dieses Meisterwerk ein Klassiker im Repertoire vieler Ballett-Kompanien geworden. Bis 1946 erstellte Prokofjew drei Suiten für Orchester. Seither sind diese Werke auch in symphonischen Konzerten häufig anzutreffen. Ungemein farbenreich ist die Instrumentierung und die melodische Vielfalt, die sich bis zur Atonalität hin bewegt und doch immer wieder den Weg zur Kantabilität zurückfindet.
Ein äußerst effektvoller Einstieg also für den italienischen Maestro und sein Elite-Orchester. Das Publikum konnte staunen und sich an der spieltechnischen Perfektion des Orchesters geradezu berauschen. Alle Orchestergruppen musizierten mit einer atemberaubenden Virtuosität. Riccardo Muti ließ in den gewaltigen Klangballungen sein Orchester völlig entfesselt ausmusizieren und doch blieb dabei alles im dynamischen Lot.
Die Tempi wirkten immer harmonisch aus dem Duktus der Partitur entwickelt. Auffallend und bestechend war die überragende Transparenz im kollektiven Orchesterklang. Selbst im größten rhythmischen Getümmel fächerte Muti mit seinem großartigen Orchester alle Orchesterstimmen auf, so dass Haupt- und Nebenstimmen in der polyphonen Anlage der Partitur stets klar wahrgenommen werden konnten.
Das Chicago Symphony Orchestra vereint großartige Virtuosen in den eigenen Orchesterreihen. Wunderbare Soli in den Holzbläser konnten sich auf einen vollendet tönenden Streicherklangkörper verlassen. Hier zeigte immer wieder der famose Konzertmeiser sein hinreißendes Können. Legendär von jeher bei diesem Orchester die exquisite Klangqualität der Blechbläser, angeführt von deren superben Solo-Trompetern, die auch in extremster Lage blitzsauber intonierten. Und wie vielschichtig ein Schlagzeug-Ensemble klingen kann, zeigten die Damen und Herren des Chicago Symphony Orchestras an ihren verschiedenen Schlagwerk-Instrumenten. Große und völlig berechtigte Begeisterung für diese perfekte Darbietung von „Romeo und Julia“.
Nach der Pause präsentierte Riccardo Muti eine seiner Lieblings-Symphonien. 1928 komponierte Prokofjev seine dritte c-moll Symphonie, die Motive aus seiner Oper „Der feurige Engel“ verarbeitete. Es ist eine kühne Komposition, gerade einmal etwas mehr als eine halbe Stunde dauernd, die in harschen, sehr düsteren Farben daher kommt. Stalin war seinerzeit von dieser Musik entsetzt und forderte vom Komponisten eine „Kurskorrektur“, die sodann die Tonalität und Melodie in den Mittelpunkt stellen sollten. Prokofjev folgte und sicherte sich damit sein Überleben.
Muti wies am Ende des Konzertes in einer kurzen Ansprache an das Publikum auf die musikhistorische Bedeutung dieser Komposition hin, weil es noch den „unbearbeiteten, originalen“ Prokofjev zeigt.
Die Symphonie fordert das Orchester in seinen rhythmischen Exzessen und dissonanten Ballungen extrem. Lediglich im Andante des zweiten Satzes entsteht eine kurze Phase der Ruhe, da die Musik sich plötzlich in eine klerikale Tonsprache verändert. Berückende Soli der Violine verleihen dem Werk besondere Farbtupfer. Es folgt ein rasantes Allegro Agitato für die beiden Schluss-Teile. Hier bietet Prokofjev nochmals alle Klangballungen und bedrohlichen Farben auf, ehe das Werk geradezu infernalisch endet.
Es war Riccardo Muti immer anzumerken, wie sehr ihm dieses Werk am Herzen lag. Hoch wachsam steuerte er mit größter Genauigkeit seine Musiker durch die horrend schwere Partitur. Das Orchester konnte jederzeit frei ausmusizieren und doch war Muti immer seinen Musikern voraus, so dass diese sich jederzeit auf seine perfekte Zeichengebungen verlassen konnten.
Das Chicago Symphony Orchestra mobilisierte in der Ausführung dieser Symphonie außergewöhnliche Reserven, wie sie schwerlich anderswo in dieser Perfektion anzutreffen sind. Alle Orchestergruppen musizierten auch hier auf höchstem Niveau, ohne auch nur im Ansatz einen Hauch der tatsächlichen Schwierigkeiten zu vermitteln. Was für eine beeindruckende Leistungsschau! Ein symphonischer Gipfel der Königsklasse! Und Riccardo Muti agierte in diesem unvergesslichen Konzert als ein wahrer Maestro, der völlig alterslos mit viel Temperament und Aura, Musik zu einer außergewöhlichen Erfahrung werden ließ.
Das Kölner Publikum zeigte in seiner Begeisterung keinerlei Zurückhaltung und jubelte lautstark mit stehenden Ovationen.
Muti bedankte sich mit einer humorvollen und sehr persönlichen Ansprache. Versehen mit Neujahrswünschen präsentierten das Chicago Symphony Orchestra und er ein seltenes Orchesterwerk von Alexander Scriabin als Zugabe.
Ein großartiger, unvergesslicher Auftakt in das Konzertjahr 2020!
Dirk Schauß, 9. Januar 2020