Aufführung am 19.3.2019
Gürzenich-Orchester
Karina Canellakis (Leitung), Nicolas Altstaedt (Cello)
Vor wenigen Tagen bot das WDR Sinfonieorchester unter Dima Slobodeniouk ein Konzert, in welchem das Moment der Trauer im Vordergrund stand (Mozarts „Requiem“ und Jörg Widmanns „Trauermarsch“). Sicher ohne gezielte Bezugnahme und ohne kalendarischen Anlaß bot das von Karina Canellakis dirigierte Gürzenich-Orchester ein weiteres Programm mit Tristesse-Charakter, welches primär freilich unter dem Stichwort „Helden“ konzipiert war. Da hätte die Wahl des „Heldenlebens“ von Richard Strauss zunächst einmal nahegelegen. Aber eine Ego-Feier wie bei dieser Tondichtung sollte es nicht sein, sondern eine kritische Sicht auf Weltverläufe.
Richard Wagners „Götterdämmerung“ reflektiert nun freilich keine Realität, sondern einen Mythos. Den Mythos des Helden Siegfried, welcher Gott Wotan in die Knie zwingt, dann aber selber der Rachsucht eines dämonischen Weltenhassers zum Opfer fällt. Bevor Siegfried durch Hagens Speer stirbt, wird ihm seine durch einen Zaubertrank aus dem Gedächtnis gelöschte Liebe zu Brünnhilde neu bewußt. Die nachfolgende Orchester-Szene ist eine Trauer-Extase, freilich ebensowenig Trauer„marsch“ in engerem Sinne wie der von Widmann. Die Musik von Wagner wurde im Dritten Reich für politische Zwecke mißbraucht, wie auch „Les Préludes“ von Franz Liszt. Mittlerweile kann man sie jedoch „entlastet“ hören und sich einzig der musikalischen Sogwirkung hingeben.
Dies dankte man auch der dramatisch furios dahin stürmenden Interpretation durch das Gürzenich-Orchester unter Karina Canellakis. Die New Yorkerin war vor anderthalb Jahren schon einmal zu Gast bei diesem Klangkörper. Ursprünglich wollte sie Geigerin werden und machte als Orchestermusikerin eine gute Karriere, bis sie (u.a. von Simon Rattle) zum Dirigieren ermuntert wurde. Von der kommenden Saison an wird sie dem niederländischen Radio Filharmonisch Orkest vorstehen. Die schlanke Mittdreißigerin ist ein wahres Energiebündel, was in ihre Dirigiergestik deutlich einfließt. Doch selbst wenn sie dramatische Klangentladungen aus dem Orchester förmlich heraus„boxt“, wirkt das nicht als äußerliche, unangenehme Körperartistik.
Das erste Cellokonzert von Dmitrij Schostakowitsch wurde in der Philharmonie vom Gürzenich-Orchester zuletzt 2007 gespielt, mit Truls Mork als Solisten. Diesmal war es
Nicolas Altstaedt, welcher das Werk mit all seinen kapriziösen Schwierigkeiten scheinbar mühelos, mit virtuoser Grifftechnik und festem Ton bewältigte. In dem Konzert gibt es Momente wie die Rolle des Horns im ansonsten ohne Blechbläser auskommenden Orchester, was an Wagner erinnern könnte. Den Tod eines „Helden“ feiert das 1959 entstandene Werk freilich nicht, auch wenn im Finalsatz ein Lied zitiert wird, welches Stalin besonders mochte. Mit Sicherheit bedeutet das Ironie. Der Diktator hatte ja Zeit seines Lebens künstlerisches Schaffen durch vernichtende Begriffe wie „Formalismus“ und „Volksfremdheit“ geknebelt, was Schostakowitsch bereits in jungen Jahren hatte erleiden müssen, massiv bei seiner Oper „Lady Macbeth von Mzensk“. Die Angsterfahrung mag sich selbst noch im nach Stalins Tod geschriebenen Cellokonzert niedergeschlagen haben. Aber der Komponist war längst ein Meister dezenter Anspielungen geworden. Karina Canellakis und das Gürzenich-Orchester erwiesen sich als optimale Partner des Solisten.
Der Kopfsatz des Konzertes schließt mit zwei heftigen Paukenschlägen, Ludwig van Beethovens dritte Sinfonie hebt mit einem zweifachen Orchester-Tutti an. Dem muß man nun aber keine tiefere Bedeutung beimessen. Allerdings ist zu sagen, daß Napoleon Bonaparte, welchem der Komponist die Sinfonie zunächst zu widmen gedachte, in seinen Augen zuletzt zu einem fatalen „Helden“ wurde wie Stalin für Schostakowitsch. Trotzdem kann man die „Eroica“ auch ohne mühsame Assoziation anhören. Die unter Karina Cannellakis spannungsvoll aufspielenden Gürzenich-Musiker machten das den Konzertbesuchern nicht schwer.
Christoph Zimmermann 20.3.2019
Bilder (c) Philharmonie Köln