Aufführung am 15.3.2019
WDR Rundfunkchor und Sinfonieorchester: Dima Slobodeniou
In dem für sich genommen herrlichen „Amadeus“-Film von Milos Forman sind fast sämtliche romantisierenden Klischees zum Leben Mozarts versammelt., darunter auch die nachträglich hochgespielte Feindschaft mit Salieri, wie sie auch in der Oper „Mozart und Salieri“ von Rimsky –Korsakow Niederschlag gefunden hat. Vor allem die Entstehung des Requiems, über welcher der Komponist verstarb, war lange Zeit von Geheimnissen und Spekulationen umgeben, welche einem „Tatort“-Krimi wahrlich nicht nachstehen. Mittlerweile ist viel aufgeklärt worden. Auftraggeber für das Werk war ein Graf Walsegg, der seiner verstorbenen Frau ein musikalisches Denkmal setzen wollte, sich aber auch als vermeintlicher Urheber mit fremden Federn zu schmücken gedachte. Mit dem Tod Mozarts sah Witwe Constanze das Honorar (bereits zur Hälfte bezahlt) gefährdet. So versuchte sie, unter den Schülern ihres Mannes jemanden ausfindig zu machen, welcher das Requiem vervollständigen konnte.
Franz Xaver Süßmayr leistete diese Arbeit auf fraglos ehrenhafte Weise. Daß er, bei aller Berufung auf seine persönlichen Kontakte zu Mozart auch bezüglich des Requiems dem Meister nicht immer das Wasser reichen konnte, hat die Musikwissenschaft dann bald aufgedeckt. Als ein besonders heikler Satz erwies sich das abgebrochene „Lacrimosa“. Erst im 20. Jahrhundert tauchten handschriftliche Originale auf, welche anzeigten, daß Mozart diese Nummer mit einer Amen-Fuge zu beenden gedachte. Sie wurde von Robert D. Levin nachgeliefert. Helmuth Rilling stellte diese Fassung 1991 erstmals vor, jetzt kam sie auch bei einem WDR-Abend zur Aufführung. Die Süßmayr-Ergänzungen bilden die wesentliche Grundlage dieser Version. Levin lockert allerdings die Instrumentation auf, fügt dem Sanctus Klarinetten hinzu und ergänzt auch das „Hosanna“ im „Benedictus“ mit einer Fuge. Daß selbst diese Fassung noch nicht als der Weisheit letzter Schluß gilt, zeigt alleine die jüngste Bearbeitung von Pierre-Henri Dutron, welche René Jacobs für seine Einspielung des Requiems wählte.
Bei allen Spekulationen um eine adäquate Endgestalt des Werkes mag man mutmaßen, daß der Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen wird. Die Wahl der Levin- Fassung bei der WDR-Aufführung hatte jedenfalls viel für sich. Bei der spannungsvollen Interpretation durch Dima Slobodeniouk kamen kritische Fragen im Grunde nicht auf. Der aus Moskau gebürtige Dirigent, aktuell Chef beim Orquesta Sinfónica de Galicia und dem Lahti Symphony Orchestra sowie künstlerischer Leiter des Sibelius-Festivals, ließ Mozarts Musik mit seiner ebenso drahtigen wie flexiblen Gestik regelrecht aufblühen. Kleine Unebenheiten verursachten lediglich der Soloposaunist in „Tuba mirum“ sowie Martin Mitterrutzner bei den Höhen seines Tenorparts. Doch das sind lediglich punktuelle Einschränkungen. Christina Landshamer, Marie Henriette Reinhold und Franz-Josef Selig erwiesen sich als ebenso schönstimmige wie expressive Vokalsolisten. Auch der von Robert Blank einstudierte Chor gab den Stimmungen des Requiems beredten Ausdruck.
Der leicht düstere Charakter des Konzertes wurde bereits mit dem ersten Werk des Abends festgelegt: Jörg Widmanns „Trauermarsch“ für Klavier und Orchester. Die Betonung liegt auf dem „und“ – denn so anspruchsvoll der Solopart auch ist, stets bleibt das Klavierspiel eingebettet in den kollektiven Klang des Orchesters. Ursprünglich hatte der Komponist ein viersätziges Konzert vor Augen, blieb dann aber in der verschatteten Atmosphäre des Beginns so stark gefangen, daß er sein musikalisches Konzept verknappte. Mit zwanzig Minuten ist der jetzige Trauermarsch freilich noch immer ein umfangreiches Opus. Es entstand im Auftrag der Sinfonieorchester von Toronto und San Francisco sowie der Berliner Philharmoniker, welche 2014 unter Simon Rattle auch die Uraufführung besorgten. Der damalige Solist Yefim Bronfman hätte auch in Köln spielen sollen, wo er sich erst vor kurzem mit einem Soloabend die Ehre gab, doch war er diesmal krankheitshalber verhindert. Seinen Part übernahm die junge deutsche Pianistin Luisa Imorde, welche regelmäßig mit Jörg Widmann zusammenarbeitet und durch ihn fraglos auch in den Trauermarsch eingewiesen wurde. Auf das Werk des 41jährigen Komponisten (und Klarinettisten) scheint der latente Schmerzcharakter von Gustav Mahlers Musik Einfluß genommen zu haben. Widmann verstärkt ihn u.a. dadurch, daß er bei den Celli und Kontrabässen die tiefe Saite um einen Ton herunter stimmen läßt (Skordatur). „Dieser Ganzton macht enorm viel aus, das gesamte Orchester klingt dunkler.“ Der Trauermarsch hebt mit einem Sekund-Motiv an, schon immer ein Klangsymbol für Schmerz und Klage. Es gibt zwar vereinzelt schwelgerische Aufschwünge und melodische Beruhigung, doch das Düstere, Lastende der Musik wird nie wirklich aufgehoben. Luisa Imorde war dem pianistischen Dauereinsatz (es gibt nur einige wenige Takte Pause in ihrem Part) eindrucksvoll gewachsen. Bestechend auch die Konzentration des Orchesters, mit Widmanns Musik durch zurückliegende Konzerte und Produktionen vertraut, und die Souveränität des Dirigenten.
Christoph Zimmermann 16.3.2019