am 16. Dezember 2017
featuring: Rudolf Buchbinder (Klavier)
Begegnung mit einem aufregenden Dirigenten
Eigentlich hätte Alan Gilbert dieses Konzert des WDR Sinfonieorchesters dirigieren sollen, doch verhinderte eine Krankheit sein Köln-Debüt. Viele Jahre wirkte er als Leiter der New Yorker Philharmoniker (bei denen seine Eltern als Geiger tätig waren bzw. noch sind). Ab 2019 wird er in Hamburg Chef der NDR Elbphilharmonie, bei der er bereits gastierte, als sie noch den Namen NDR Sinfonieorchester trug. Gerne hätte man diesen Alan Gilbert also auch in Köln erlebt. Aber Cristian Macelaru war mitnichten bloßer Ersatz, im Gegenteil. Seine Anwesenheit in Köln – kurz zuvor leitete er Gustav Mahlers „Titan“-Sinfonie bei „WDR Happy Hour“ – erwies sich zudem logistisch als überaus hilfreich. Erstmals hatte man ihn beim WSO im Februar erleben können.
Macelaru, gebürtiger Rumäne, ist ausgebildeter Geiger (es gibt aus dem Jahr 1992 eine Youtube-Aufnahme des damals noch sehr adoleszenten Künstlers), wirkte als Konzertmeister beim Miami Symphony Orchestra, wurde dann Mitglied des Houston Symphony Orchestra. Später ließ er sich als Dirigent ausbilden, wobei ein Einspringen für Pierre Boulez in Chicago 2012 als sein Durchbruch bezeichnet werden kann. Inzwischen hat Macelaru mit vielen renommierten Klangkörpern gearbeitet. Sein Engagement für zeitgenössische Musik wird durch die Leitung des Cabrillo Festivals nachdrücklich unterstrichen. Bemerkenswert ist auch sein Engagement für den künstlerischen Nachwuchs. Bei seinem aktuellen Kölner Auftritt übernahm er das für Gilbert vorgesehene Programm. Dessen klassisch-romantische Note fand am zweiten Abend der beiden angesetzten Konzerte enormen Anklang, besonders die finale Widergabe von Peter Tschaikowskys vierter Sinfonie wurde vom Publikum enthusiastisch bejubelt.
Begonnen hatte der Abend mit „Der verzauberte See“ von Antolij Ljadow, Mitglied des berühmten „mächtigen Häufleins“. Dieses stand dem als westlich dekadent angesehenen Tschaikowsky nicht eben wohlwollend gegenüber, während dieser wiederum über die „russischen Fünf“ die Nase rümpfte. Mit Ljadow ergab sich dann aber doch eine persönliche, fast freundschaftlich zu nennende Beziehung. Kompositorisch unterscheiden sich beide freilich.
Tschaikowsky badete stets ausladend in seinen (vor allem schmerzlichen) Gefühlen, Ljadow beschränkte sich auf miniaturhafte Werke wie etwa den „Verzauberten See“. Das achtminütige Werk ist eine klanglich dem französischen Impressionismus nahestehende Tondichtung. Der Titel signalisiert sanfte Wellengeräusche in nächtlichem Dunkel. Die Musik beginnt mit einem Klangteppich der tiefen Streicher, durchsetzt von einzelnen Tönen der Harfe. Erstaunlicherweise kommt auch die große Trommel mit Pianissimo-Schlägen farbprägend zum Einsatz. Cristian Macelaru ließ die Musik hier dämmern, dort leuchten, das Orchester verwirklichte den sanften Schimmer der Komposition vorbildlich.
Zum meditativen Charakter von Ljadows Musik passte besonders gut der Mittelsatz von Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert KV 466. Die Musik dieser Romance gehört selbst bei dem eigentlich immer göttlichen Mozart zu den besonderen Eingebungen. Und hier fand der Pianist Rudolf Buchbinder zu einem eminent luziden Spiel, während die Rahmensätze stilistisch zwar einwandfrei gerieten, einer letzten Magie aber doch entbehrten. Etwas vom Perlenglanz des zugegebenen Schubert-Impromptus wäre wünschenswert gewesen. Aber Mozart ist für alle möglichen interpretatorischen Ansätze ohne weiteres offen. Erst eine gute Woche zuvor war Lars Vogt bei einem Benefizkonzert des Gürzenich-Orchesters das Konzert entschieden maskuliner angegangen.
Den Abschluss des Abends bildete wie schon erwähnt Tschaikowskys vierte Sinfonie, deren massive Dramatik über den Gestus von Beethovens „Schicksals“-Sinfonie um ein Wesentliches hinaus geht. Cristian Macelaru, dem bei seinem Berlin-Debüt 2015 von einer lokalen Zeitung beeindruckende „Unerschütterlichkeit“ attestiert wurde, war auch dem virtuosen WSO ein heroischer Führer durch die hochexpressive Musik des Werkes. Bestechend, wie er den Forterausch vieler Passagen mit sensiblen Deutungen im Bereich von Dynamik und Agogik kontrastierte und damit eine aufregende Musikdramaturgie schuf. Diese war nicht auf äußerliche Wirkungen aus, sondern Ergebnis einer außerordentlich planvollen und sinnstiftenden Gestaltung. Im rasanten Finalsatz entfachte Macelaru dann freilich so etwas wie einen Vesuvausbruch und sorgte damit beim Publikum für eine fast schon hysterische Beifallseuphorie.
Pressebilder liegen leider nicht vor.
Christoph Zimmermann 17.12.2017
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