Coburg: „Un Ballo in Maschera“

Stimmig

Besuchte Aufführung: 19.11.2013 (Gastspiel in der Stadthalle Bayreuth) Premiere in Coburg: 26.10.2013 – zweite Kritik

Dem Schicksal ausgeliefert

Sie war schon ein würdiger Beitrag des Landestheaters Coburg und seines erfolgreichen Intendanten Bodo Busse zum Verdi-Jahr 2013, die Neuproduktion von „Un ballo in maschera“, die in jeder Beziehung einen gefälligen Eindruck hinterließ. Da die Coburger Bühne derzeit aufgrund eines Wasserschadens nicht bespielbar ist, liegt der Besprechung das Bayreuther Gastspiel des Landestheaters am 19. 11. 2013 zugrunde.

Milen Bozhkov (Gustavo), Leila Pfister (Ulrica)

Verdis Oper basiert auf dem historischen Mord an dem Schwedenkönig Gustav III. am 16. 3. 1792. Auf einem in der Stockholmer Oper stattgefundenen Maskenball war der Monarch vom Grafen Anckarström tödlich verwundet worden. Auslöser der Tat war das Vorhaben Gustavs III., den schwedischen Adel seiner Privilegien zu berauben, was diesem naturgemäß gar nicht recht war. Ein Königsmord auf der Bühne stellte zu Verdis Zeit ein ausgesprochenes Sakrileg dar, weswegen die Zensur die Aufführung des Werkes dann auch in der ursprünglichen Form verbot. Dabei dürfte die Erinnerung an den im Dezember 1856 verübten Anschlag auf König Ferdinando II, der das Attentat überlebte, noch ziemlich frisch gewesen sein. Notgedrungen verlegte Verdi die Handlung in das amerikanische Boston und änderte einige der aus der Geschichte überlieferten Namen. Aus Gustav III. wurde Riccardo und aus Graf Anckarström Renato, die Grafen Ribbing und Horn nannte er Samuel und Tom. Die Namen Amelia, Ulrica und Oscar ließ er dagegen unverändert, denn sie waren ein Produkt der Phantasie des Komponisten und seines Librettisten Eugène Scribe. Darüber hinaus ist die Dramaturgie der Oper mit ihrem Gemisch aus Politik, Liebe und Eifersucht frei erfunden. Den Pagen, der mit dem homosexuell veranlagten schwedischen König eine Beziehung pflegte, hat es indes tatsächlich gegeben. Der hat aber mit dem Oscar des Verdi’schen Werkes gar nichts zu tun. Die Coburger Produktion knüpft an das geschichtliche Ereignis an und stellt demgemäß Gustav III. in den Vordergrund. Sein Mörder heißt hier als Namenskombination aus den beiden Fassungen Renato Anckarström. Die Verschwörer sind hier aber keine schwedischen Grafen, sondern heißen traditionell Samuel und Tom.

Milen Bozhkov (Gustavo), Celeste Siciliano (Amelia)

Regisseur Volker Vogel, der nach den Operetten „Maske in blau“ und „Die Csardasfürstin“ in Coburg zum ersten Mal eine Oper in Szene setzte, geht es weder um eine Rekonstruktion der Historie noch um die Nachzeichnung einer operntypischen Dreiecksgeschichte. Sein Ansatz ist vielmehr übergeordneter weltgesetzlicher Natur und thematisiert das Unterworfensein des Menschen unter das Schicksal, dem sich keiner entziehen kann und das hier in Gestalt der gänzlich unkonventionell gezeichneten, in einer umzäunten eisernen Militäranlage hausenden jungen, hübschen und sexy anmutenden Wahrsagerin Ulrica erscheint. Wenn sie im Lauf des Abends immer wieder auftritt, zeugt das von dem trefflichen Umgang des Regisseurs mit Tschechow’schen Elementen. Den Mächten des Geschickes ist jeder in allen Ären gnadenlos unterworfen. Es handelt sich um eine zeitlose Problematik von allgemeiner Gültigkeit. Dem entspricht es, dass Norbert Bellen bei seinem nur spärlich mit einem romanischen Rundbogenportal, zwei verschiebbaren Wänden, Tisch und Stuhl sowie Kronleuchter ausgestatteten Bühnenbild sowie den ansprechenden Kostümen in zeitlicher Hinsicht nicht genau Farbe bekennt. Da gibt es Elemente verschiedener Epochen, so beispielsweise aus der Entstehungszeit des Werkes und der Weimarer Republik.

Celeste Siciliano (Amelia), Leila Pfister (Ulrica)

Die eher spärliche Ausstattung leistet einer exakten Figurenkonstellation Vorschub. Nichts lenkt von den Beziehungen der Handlungsträger untereinander ab. Vogels Regie bewegt sich insgesamt in konventionellen Bahnen, und auch die Führung der Personen hätte an manchen Stellen etwas stringenter ausfallen können. Aber was die Erzeugung von einfühlsamen Stimmungen in Form von Licht- und Schattenspielen angeht, ist er ein Meister seines Fachs. Solche gibt es in seiner Inszenierung reichlich. Sie verleihen der Produktion eine ganz eigene Ästhetik. So macht es beispielsweise einen tiefen Eindruck, wenn die Schatten der Stützpfeiler der transparenten Gardinen, durch die die Umrisse der einzelnen Personen oft schemenhaft durchschimmern, Gitterstäbe bilden. Diese eindrucksvolle visuelle Impression ist indes weniger real, sondern vielmehr symbolisch zu begreifen. Sie intendiert den Blick in die tiefsten Gründe der menschlichen Seele und macht deutlich, dass die Bestimmung des Menschen ein Gefängnis ist, aus dem kein Entkommen möglich ist. Alles ist vorbestimmt. Das offenbart sich am Ende mit unbarmherziger Konsequenz, wenn Ulrica als das Schicksal in Person hinter dem sterbenden König erscheint. Dieser geistige Überbau, den Vogel seiner Inszenierung angedeihen ließ, war durchaus überzeugend und insgesamt ansprechend umgesetzt.

Eine gute Leistung ist GMD Roland Kluttig am Pult zu bescheinigen. Sich über die Vielschichtigkeit der Partitur sehr im Klaren, präsentierte er sie in großer Differenziertheit und mit einer Vielzahl an Nuancen. Nicht allein auf Klangschönheit kam es ihm und dem versiert und intensiv aufspielenden Philharmonischen Orchester Landestheater Coburg an, sondern mehr noch auf eine deutliche Unterstreichung der verschiedenen Stile, von denen Verdis Musik geprägt ist. Das ist dem Dirigenten und den Musikern ausgezeichnet gelungen.

Auf hohem Niveau bewegten sich auch die sängerischen Leistungen. Wieder einmal wurde offenkundig, über was für ein hochkarätiges Sängerensemble das Landestheater Coburg doch verfügt. Da könnten so manche andere, auch größere Häuser neidisch werden. Das begann bereits bei Milen Bozhkov, der als Gustavo III. auf der ganzen Linie überzeugte. Schon von seinem einfühlsamen Spiel her, aber auch mit seinem schön italienisch focussierten, frischen und höhensicheren Tenor zog er jeder Facette seiner Partie, für die seine Stimme gut geeignet ist. Ihm zur Seite stand die wohlbeleibte, über einen ausgesprochen guten, fülligen und emotional angehauchten jugendlich-dramatischen Sopran verfügende Celeste Siciliano als Amelia. Ihre Arie im zweiten Akt sowie das anschließende Duett mit Gustavo gerieten zu Höhepunkten der Aufführung. Dem Liebespaar in Nichts nach stand Michael Bachtadze, der als Anckarström sowohl durch seine packende Darstellung als auch durch einen bestens sitzenden, elegant geführten Bariton nachhaltig zu gefallen wusste. An das hohe Niveau ihrer Kollegen vermochte Sofia Kallio in der Partie des Marlene Dietrich nachempfunden Oscar in jeder Beziehung anzuknüpfen. Schon darstellerisch wurde sie dem munter herumtänzelnden Pagen, der gerne auch mal dem Richter frech die Zunge herausstreckt, ihn wie ein Hündchen an der Leine führt und schließlich auf seinem Rücken Platz nimmt, voll gerecht. Gesanglich verlieh sie ihm bei aller Spritzigkeit und Lockerheit ihres Vortrages sowie einer bis zu den eklatanten Spitzentönen der Rolle reichenden hervorragenden Koloraturgewandtheit ihres herrlich dunkel timbrierten, bestens italienisch gestützten Soprans eine sehr lyrische, gefühlvolle Note. Gut vermochte auch Leila Pfister zu gefallen, die sich den Ansatzpunkt der Regie trefflich zu Eigen gemacht hat. Sie legte die Ulrica fernab von allen Klischees an und gab dieser durch ihr durchsichtiges beiges Abendkleid, das oftmals ihre nackten Beine durchschimmern ließ, einen sehr erotischen Anstrich. Auch vokal war die Wahrsagerin bei ihrem voll und bis zu der ausgeprägten Tiefe hin rund und ausdrucksstark klingenden Mezzosopran in besten Händen. Gefällig präsentierte sich der solide verankerte Bariton von Martin Trepl als Silvano. Von den beiden Verschwören gefiel der sonor und profund singende Michael Lion (Tom) besser als Rainer Scheerer (Samuel), dessen Bass manchmal ziemlich im Hals saß. Mit weit besserem Stimmmaterial als man es bei dieser Mini-Partie sonst gewohnt ist, stattete Marino Polanco den Diener Amelias aus. Sehr dünn sang Jan Korah den Richter. Wieder einmal eine imposante Leistung erbrachte der von Lorenzo da Rio einstudierte Chor.

Ludwig Steinbach, 22. 11. 2013 Die Bilder stammen von Andrea Kremper.