Aufführung am 20. August 2022
Die Kammeroper Köln führt eine der bekanntesten Operetten von Franz Lehár auf und bekommt großen Applaus vom fast ausverkauften Haus.
Der Rezensent fährt mit jeweils über 100 Freunden seit 1980 zu den Operettenaufführungen nach Wunsiedel. Die letzten zwei Jahre mussten wegen Corona ausfallen, umso glücklicher war man, dass es endlich wieder mit der geliebten Operette weitergeht. Leider ist der berühmte „Wiener Schmäh“, den die Operettenbühne Hellberg 20 Jahre lang auf die Bretter der Felsenbühne zauberte und der stets für ausverkaufte Vorstellungen sorgte, mit der Kammeroper Köln nicht mehr in dem Umfang vorhanden. Man muss sich umgewöhnen, auch wenn ich bis heute den Schritt von Wunsiedel nicht nachvollziehen kann. Gut, jetzt kommt die Kammeroper Köln mit einem Stück, welches aus meiner Sicht nicht unbedingt auf die riesige Bühne von Wunsiedel passt, aber sei´s drum, man hat sich bemüht und das Beste daraus gemacht. In vielen Passagen ist es ja fast wie ein Kammerspiel mit lediglich zwei bis vier Personen auf der Bühne, die sich sicher manchmal etwas verloren vorgekommen sein müssen. Der Zuschauerraum ist jedenfalls fast vollständig besetzt und harrt der Dinge, die da kommen und ein praktisch ausverkauftes Haus ist schon einmal eine gute Voraussetzung für eine gelungene Vorstellung.
Die Handlung ist schnell erzählt. Der chinesischer Prinz Sou-Chong ist zu Besuch in Wien und verliebt sich in Lisa, die Tochter des Grafen Lichtenfels. Diese verliebt sich auch in den fremdartigen Prinzen, obwohl ihr langjähriger Freund Graf Gustl, ihr an diesem Tag seine Heiratsabsichten erklärt. Lisa und Sou-Chong werfen alle Zweifel über Bord und Lisa folgt Sou-Chong in das ferne China. Dort müssen sich beide den gesellschaftlichen Formen stellen, die vor allem von Onkel Tschang rücksichtslos vertreten werden. Die jahrtausendalten Gesetze müssen eingehalten werden, ohne Wenn und Aber. Sou-Chong muss vier weitere Frauen heiraten, daneben hat eine weiße Frau keinen Platz. Konfrontiert damit, verliert Lisa ihre ganze Beherrschung und will nur noch eines, zurück in die Heimat. Graf Gustl ist zu Besuch gekommen und will ihr mit Hilfe von Mi, der Schwester des Prinzen, zur Flucht verhelfen. Die Flucht wird entdeckt, aber Sou-Chong gibt Lisa frei und bittet Gustl sie in ihre Heimat, ins Glück zurückzubringen. Mi und Sou-Chong bleiben allein zurück, er trocknet seiner Schwester die Tränen, da sie sich in Gustl verliebt hat und erklärt ihr: „Immer nur lächeln und immer vergnügt, ….Lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen, denn wie´s da drin aussieht, geht niemand was an.
Burkhard Solle – Esther Hilsberg
Ich gebe zu, dass ich mit etwas Bauchschmerzen nach Wunsiedel gefahren bin, nicht nur wegen der neuen Bühne, sondern vor allem wegen des angesagten Regenfiaskos. Selbst die Leitung der Kammeroper wies vor der Vorstellung darauf hin, dass bei starkem Regenfall unterbrochen werden muss. Aber der Himmel hat mit den Operettenfreunden ein Einsehen, es bleibt bis zum Schluss trocken. Die ersten Regentropfen erreichen uns beim Nachhauseweg. Also schon einmal ein gutes Zeichen.
Die Inszenierung stammt von Joachim Goltz und er hat versucht alles etwas aufzufrischen, auch wenn aus meiner Sicht gerade diese Operette keiner großen Auffrischung bedarf. Nicht nachvollziehbar für mich, warum die Schwester des Prinzen bereits in Wien mit dabei ist und dort auch schon mit Gustl flirtet. Der hat eigentlich erst einmal damit zu tun, die Abfuhr zu verkraften, die er gerade durch Lisa erfahren hat, ergibt also auch keinen Sinn. Immer wieder geht man mit den verschiedensten Mitteln auf Corona ein, ob mit obligatorischer Maske, mit Glasscheiben, die die Figuren auf der Bühne trennen, mit 1,5 Meter Abstand beim Tanz usw. Mit diesen Einlagen will der Regisseur die Operette entstauben. Gut, er hat einiges recht ordentlich und gut gemacht, aber diese Albernheiten haben nichts mit entstauben zu tun – und ich kann auch nichts mehr von Corona hören, jedenfalls nicht, wenn ich mich entspannen, mich von schöner Musik berauschen lassen will, was eigentlich die Aufgabe der Operette ist. Aber ich stehe wohl allein auf weiter Flur, dem Publikum gefällt es und sie honorieren es mit großem Beifall. Was ich auch nicht verstehen kann, der Regisseur schreibt im Programmheft: „Das fehlende Happy End mit dem traurigen Abschied von Lisa und dem Prinzenhaben wir allerdings in dieser Inszenierung etwas positiver gestaltet.“ Diese positive Gestaltung hat sich mir leider nicht erschlossen (und auch meinen Mitfahrern nicht). Der Schluss war das ganz normale Ende, Gustl und Lisa gehen in die Heimat und Sou-Chong und seine Schwester bleiben traurig zurück. Was soll hier positiver gestaltet worden sein?
Die Bühne und die Kostüme stammen von Jodie Fox, wobei sich auf der Riesenbühne ein drehbarer überdimensionaler Fächer befindet, der sich aufklappen und zusammenfalten lässt und der zum Dreh- und Angelpunkt der Aufführung wird. Er ermöglicht ständige Änderungen des „Bühnenraums“, oben an ihm ist eine riesige Lotosblume befestigt, die je nach Dauer und den Ereignissen, ein Blatt nach dem anderen verliert, bis zum letzten Blatt, wenn die Liebe von Lisa und Sou-Chong zerbrochen ist. Ich habe ja eingangs schon gesagt, dies passt auf eine kleine bis mittlere Theaterbühne – bei der Dimension in Wunsiedel kann man sicher darüber streiten, ob die Entscheidung für diese Operette die richtige war. Die Kostüme sind ansprechend, stimmig, farbenfroh und beleben die ganze Szenerie.
Die Kölner Symphoniker werden von Jan Michael Horstmann geleitet und er tut dies souverän. Mit ruhiger, sicherer Stabführung bringt er sein gut aufgelegtes Orchester durch alle Unbilden der Partitur. Wo es erforderlich ist, lässt er es mit richtigen Klangwogen agieren, nimmt es aber auch da zurück, wenn es die Rücksichtnahme auf die Sänger erfordert. Rasant und ohne Fehl und Tadel treten die Kölner Symphoniker auf, ebenso wie die gutaufgelegten Damen und Herren des Chors der Kammeroper Köln.
Die beiden Hauptpartien sind recht gut besetzt, obwohl bei Lisa, als auch bei Sou-Chong sich am Anfang der Operette einige Schwächen zeigen, die Stimmen sind etwas zu blass, nicht durchschlagskräftig genug, aber Gott sei Dank, ist dies nach einigen Minuten des „Einsingens“ verschwunden und beide geben danach eine ausgezeichnete Figur ab.
Da ist zum einen die geborene Kölnerin Esther Hilsberg als Lisa zu nennen. Sie besitzt einen warmen, runden und vollmundigen Sopran, lyrisch, weich, leuchtend und ausdrucksstark. Man merkt ihr an, dass sie die Partie mit Herzblut singt, dass sie sich voll mit der Lisa identifiziert und auch darstellerisch aus dem Vollen schöpft.
Tyler Steele – Ben Ossen
Als Prinz Sou-Chong betritt der in Lemgo/Lippe geborene Tenor Burkhard Solle die Bretter, die die Welt bedeuten. Er ist Konzertmeister und Violinist, hat dann daneben eine Stimmausbildung durchlaufen und ist nun tenoral unterwegs. Und dies macht er sehr gut. Sein klarer, hoher, durchdringender, metallischer Tenor, ist auch zu zurückhaltenden Feinheiten fähig und so zelebriert er richtig die beiden Tenorschlager „Immer nur lächeln“ und „Dein ist mein ganzes Herz“, was ihm großen Beifall einbringt. In den Duetten, wie „Bei einem Tee á deux“ oder „Wer hat die Liebe uns ins Herz gesenkt“ sind beide gut aufeinander eingestellt und bringen die Operettenschlager gefühlvoll, durchschlagend, stimmschön und vor allem auch sehr textdeutlich zu Gehör. Das Publikum dankt es beiden mit großem starken Applaus, der manchmal fast kein Ende nehmen will und auch zeigt, wie sehr das Publikum, aber auch die Künstler, in den zurückliegenden zwei Jahren förmlich ausgehungert waren. Ausgehungert nach dem Zauber der Musik, nicht aus der Konserve zu Hause, sondern live in dem herrlichen Rund der Felsenbühne Wunsiedel und ausgehungert danach, endlich wieder vor Publikum auftreten zu können und den wohlverdienten Applaus, das Brot des Künstlers, dafür in reichem Maße zu bekommen.
Die Schwester des Prinzen, Mi, wird von Hannah Rühl dargestellt. Sie besitzt einen sehr stimmschönen, klaren, vollmundigen und kräftigen Sopran, den sie gekonnt einsetzt. Ihr Spiel ist lebendig, quirlig, sie strotzt geradezu voller Energie, wirbelt über die Bühne, als wenn sie nie etwas anderes gemacht hat. Sie reißt ihren Partner, wenn man es so ausdrücken will, regelrecht mit. Und dies ist der US-Amerikaner Tyler Steele (der übrigens auch hervorragend für die Choreografie zeichnet). Er setzt seinen schönen, klaren, festen und anschmiegsamen Buffo mehr als rollendeckend ein. Vom spielerischen ist er forsch, fröhlich und unbeschwert, bringt zusammen mit Hannah Rühl richtig Schwung und Leben in die Aufführung. Es macht richtig Spaß den beiden zuzusehen, wie sie allein und gemeinsam über die Bühne wirbeln.
Tyler Steele – Esther Hilsberg – Hannah Rühl – Burkhard Solle
Die Rolle, möglichst für viel Heiterkeit zu sorgen, hat der in Aachen geborene lyrische Tenor Ben Ossen als Eunuch übernommen. Und er gibt seinem Gaul reichlich Zucker. Es ist eine reine Sprechrolle, die er weidlich ausnutzt und für teilweise tosenden Applaus sorgt, aber er zeigt auch, dass er stimmlich gut drauf ist. Auf die Melodie von „Meine Lieben, deine Liebe, die sind beide gleich“ bringt er – na was wohl – ja, einen Abriss der lange andauernden zurückliegenden Zeit, ohne Auftritte ohne Publikum. Er will damit zum Ausdruck bringen, dass er, gemeinsam mit dem Publikum hofft, dass nun endlich die "stille Zeit" vorbei ist und vor allem vorbei bleibt und die Kultur und die Kunst wieder den ihr gebührenden Stellenwert erhält. Und da kann man ihm mit vollem Herzen nur zustimmen.
In der Rolle des Grafen Lichtenfels und gleichzeitig in der Rolle des sittenstrengen Onkel Tschang, steht Hans-Arthur Falkenrath auf der Bühne. Der in Remscheid geborene Bass gibt die beiden Rollen souverän, distinguiert und den beiden Rollen vollumfänglich entsprechend positiv.
Schlussapplaus – Hannah Rühl – Esther Hilsberg – Burkhard Solle – Tyler Steele
Insgesamt ein Nachmittag, bei dem das Positive eindeutig überwiegt hat, eine gesanglich und orchestrale tolle Vorstellung, die Freude gemacht hat. Für mich war die Wahl des Stückes für die riesige Felsenbühne etwas grenzwertig, aber man hat das Beste aus den Möglichkeiten gemacht. Insgesamt ein Nachmittag, der hoffen lässt, dass es auch im nächsten Jahr möglichst ohne große Pandemieeinschränkungen – denn davon haben wir alle langsam die Nase voll – weitergehen wird. Meine Freunde haben sich auf der Heimfahrt fast alle nur positiv geäußert.
Manfred Drescher, 22.08.2022
(c) Der Opernfreund – Eigenaufnahmen MD