Ingolstadt: „La bellezza ravveduta nel trionfo del tempo e del disinganno“, Georg Friedrich Händel

© Theater Ingolstadt / Ludwig Olah

Das Stadttheater Ingolstadt kommt von Zeit zu Zeit in Koproduktion mit dem am Theater in Residenz lebenden Georgischen Kammerorchester mit unkonventionellen, aber bisweilen recht interessanten Projekten heraus. Diesmal hatte sich Regisseur Knut Weber einen Abend mit zwei Stücken ausgedacht unter dem Titel „Spuren und Geister“.  

Der 1. Teil war ein sog. „requiemmanifesto of extinction“ von Thomas Köck, in dem Mira Fajfer, Paula Gendrisch, Despina Rhaue, Sebastian Kremkow und Sarah Schulze-Tenberge als Spezies in einer Art Erinnerungsstrom am Publikum vorbeiziehen – Tiere, die durch exzessive Bejagung oder Zerstörung ihres Lebensraums durch den Menschen im Laufe der Zeit ausgelöscht wurden. Die sicher allzu fragwürdige These dazu lautet, und selbst die Annahme der total extinction ist schon mehr als fragwürdig: „Das alles passiert nur, weil wir uns mit dem Kapitalismus einer Wirtschaftsform unterworfen haben, die einzig den gewaltvollen „Fortschritt“ kennt“, und man stellt die Frage: „Können wir durch ein neues Zeitverständnis vom Zerstörungskurs abkommen?“. Es ist ein Wut- und Aufschrei über das Verschwinden der Arten.

Der österreichische Autor Thomas Köck, geboren 1986 in Steyr, schrieb das Stück im Jahre 2021. Er ist bekannt für seine politisch-poetische Textflächen. Sein „requiemmanifesto“ soll vieles zugleich sein: Trauerrede und Nachruf, Erinnerung an die Geister aus der Vergangenheit und Zukunft, aber auch Appell an die Menschheit, ihren Kurs zu ändern. Der Text der Schauspieler und Schauspielerinnen changiert zwischen Hoffnung und Apokalypse. Meines Erachtens verharrt das ganze Stück aber zu sehr in einem einseitigen apokalyptischen Narrativ ohne jede Berücksichtigung von Fortschritten, die im Hinblick auf die Erhaltung von Tierarten seit Jahrzehnten auch gemacht wurden und werden, wie auch in vielen anderen relevanten Bereichen des menschlichen Zusammenseins. Keinesfalls ist der Idee der total extinction etwas abzugewinnen. Hervorzuheben sind die phantasievollen Kostüme der Tiere und die bisweilen phantastische Gestaltung der Bühne durch Susanne Hiller mit einem ebenso interessanten Lichtdesign und Videoeinspielungen von Stefano di Buduo. Die gute Choreografie wurde von David Williams gestaltet. Für die musikalische Untermalung sorgte Malte Preuß.

© Theater Ingolstadt / Ludwig Olah

Im 2. Teil spielte das Georgische Kammerorchester das Händelsche Oratorium „La Bellezza ravveduta nel trionfo del Tempo e del Disinganno“, HWV 46a, mit dem Libretto von Benedetto Pamphili aus dem Jahre 1707, welches mit Cecilia Bartoli bei den Salzburger Festspielen 2022 einen großen Erfolg feiern konnte. Durchwegs zu loben sind für ihre guten Stimmen und darstellerischen Leistungen, mit einem Extra-Lob für die sehr gute Sopranistin Marianna Herzig als Bellezza, Elif Aytekin als Piacere, Ludwig Obst als Tempo und Joël Vuik als Disinganno. Was bei Köck direkt angesprochen wird, verhandeln hier also vier allegorische Figuren als Opernsänger, aber in den Kostümen von Tieren.

So vereint „Spuren und Geister“ zwei Werke, die trotz aller Unterschiede beide eine Auseinandersetzung mit den Fragen um die „richtige Lebensführung“ sind, um Antworten zu finden, die zunehmend überlebenswichtig sind und werden. Das äußert sich im Händel-Oratorium mit in der Tat blendenden Arien, wo die Bellezza, also die Schönheit, sich schließlich wünschen lässt, zwei Herzen in ihrer Brust zu haben, um sich zwischen Vergnügen und Vernunft nicht entscheiden zu müssen, dem Dualismus auszuweichen. In einer immer intensiver und emotionaler werdenden Darstellung gibt Marianna Herzig der Schönheit auch stimmlich intensiv klangvollen Ausdruck, und das in einem froschgrünen Vogelkostüm mit roter Haube. So gerät allein schon wegen der musikalischen Interpretation, aber auch aufgrund der lyrischen Qualitäten der Protagonisten der 2. Teil zum eindrucksvolleren des Abends. Am Pult des Georgischen Kammerorchesters steht Ariel Zuckermann, Chefdirigent des Israel Chamber Orchestra und seit Anfang 2021 künstlerischer Leiter des Georgischen Kammerorchesters Ingolstadt. Er führt die Sänger sicher durch das Oratorium und entlockt der Musik Händels schönste Facetten.                       

Klaus Billand, 10. Dezember 2023


La bellezza ravveduta nel trionfo del tempo e del disinganno
Georg Friedrich Händel

Stadttheater Ingolstadt

Besuchte Vorstellung: 27. Oktober 2023

Regie: Knut Weber
Dirigat: Ariel Zuckermann
Georgisches Kammerorchester