Premiere Wien: 13. September 2016, Uraufführung bei den Bregenzer Festspielen
Die Austrotragödie in 2 Akten, eine Bearbeitung der Staatsoperette von Franz Novotny und Otto M. Zykan (1977) durch Michael Mautner und Irene Suchy (2015)
Vor (fast) 40 Jahren war alles anders. Damals – man schrieb das Jahr 1977 – war die Idee, dass österreichische Geschichte operettig und klamottig behandelt werden konnte, noch einer Erregung wert. Filmregisseur Franz Novotny, damals flotte 28 Jahre alt und noch nicht mit „Exit“ berühmt geworden, und Komponist Otto M. Zykan (1935-2006) erzeugten damals, was man heute nicht genug als „Kunstverstörung“ analysieren (und dabei verächtlich auf die damalige Zeit zurückblicken) kann. Der ORF war mutig und zeigte die 67 Minuten trotz Skandalisierung im Vorfeld. Einmal und nie wieder, was nichts ausmacht, denn heute kann man, so man will, die „Staatsoperette“ im ORF-Shop als DVD kaufen…
Worin die Notwendigkeit bestand, dieses Werk hervorzuholen, es dramaturgisch aufzumotzen (Irene Suchy tat es ohne die Unterstützung von Franz Novotny, der offenbar lieber den Film über Helmut Zilk drehte), dabei das Material des verstorbenen Zykan anzureichern (Michael Mautner bediente sich bei jeglicher Populärmusik), wird nicht ganz klar. Die Figur eines „Kommentators“ macht vollends Nachhilfestunde und Volkshochschule aus dem Gebotenen, erzählt brav (mit genauer Zuweisung, wo die Guten und die Bösen waren, wie wir es heute ja so genau wissen), was da zwischen 1918 und 1938 passierte. Diese zwei Jahrzehnte haben in ihrer Bürgerkriegs-Zerrissenheit für Österreich eine ungemein schwere Zeit dargestellt, was die Bearbeiter wohl auch mit dem neuen Untertitel „Die Austrotragödie“ klar machen wollten. Dennoch ist es ein Jux geblieben, bei dem man sich bei einigermaßen gewissenhaftem Hinsehen nicht wohl fühlen kann – wenn man auch ziemlich überzeugt ist, dass der Mangel heutiger Erregung an der völligen Gleichgültigkeit der Österreicher liegt, was ihre Vergangenheit betrifft (wenn es nicht gerade Sisi ist…).
Eingeführt wurden auch, um die Dinge simpel gegen einander zu stellen, zwei Frauen, jede an ihrem Podium, „Die Linke“, in Kluft und Sprache der aufrechten Arbeiterin, „Die Rechte“, wohl onduliert in ihrem Trachtenkostüm. Zwischen so viel Kommentar läuft dann in eindreiviertel Stunden in kabarettistisch zugespitzten Szenen „Politik“ ab, mit den führenden Gestalten der damaligen Zeit, Seipel, Starhemberg, Dollfuß, Schuschnigg, Rintelen bis zu Mussolini und Hitler. Man muss schon von der Schule her wissen, was da wirklich passiert ist, denn so deutlich es auch gemacht werden will, um das Publikum bei der Stange zu halten – reale Geschichte ist es wohl nicht, zu Lehar, Walzer, Märschen, meist erheiternden Klängen.
Regisseur Simon Meusburger, der in der Ausstattung von Nikolaus Webern die Klamotte bedient, wollte sie mit einem einfachen Trick „vertiefen“: Mit den hässlichen Klappmaulpuppen des Nikolaus Habjan, die die Hauptdarsteller vor sich hertragen. In der Einführung pries man das gewissermaßen als geniale Idee – als ob man es nicht so mittlerweile x-mal gesehen hätte (eine Saison Badora, und man ist Habjan nicht entkommen).
Aus dem Ensemble ragt Marco Di Sapia heraus – immer wieder fasziniert das perfekte Deutsch dieses Italieners, und seine Studie des Rintelen wird durch sein Steirisch noch amüsanter. Ignaz Seipel, der unbeliebte „Prälat ohne Gnade“, bekommt von Camillo dell’Antonio Schärfe, Hagen Matzeit ist Dollfuß und Hitler, Gernot Heinrich ist Starhemberg und Mussolini, Dieter Kschwendt-Michel gibt Schuschnigg, Thomas Weinhappel ergänzt. Dazu die drei permanenten Figuren – „Kommentator“ Stephan Rehm erklärt alles brav und deutlich, die „Linke“ (Laura Schneiderhan) und die „Rechte“ (Barbara Pöltl) teilen sich, wie es sich gehört, in die Sympathisch und die Unsympathische.
Dafür, dass hier eine Epoche des wahren Grauens im Alltag geschildert wird (ein geteiltes Land in Rot und Schwarz, wie wir heute ein geteiltes Land haben in Blau und die anderen), sollte mehr gelacht werden, als das Publikum es tatsächlich tat. Aber es spendete dem von Walter Kobéra mit dem amadeus ensemble-wien und dem Wiener Kammerchor souverän bestrittenen Abend viel Beifall. Um einzig zu beweisen, dass die „Staatsoperette“ heute niemanden mehr aufregt…
Renate Wagner 22.9.16
Foto (c) Neue Oper Wien