Premiere am 2.10.
Wieder einmal ist auch bei dieser Eröffnung der neuen Grazer Saison vom qualitativen Unterschied zwischen Inszenierung und musikalischer Umsetzung zu berichten, obwohl es bei der an sich diskutablen Regie auch immer wieder überzeugende Einfälle gab. Regisseurin Eva-Maria Höckmayr suchte wohl die Interpretation einer balladenartigen Erzählung, wie sie von Verdi angestrebt wurde. Dies gelang ihr mit Hilfe des Videodesigns von Momme Hinrichs in den großen Tableaux sehr gut, wo Chor und bekannte Gemälde aus dem 16. und 17. Jahrhundert zu einem beeindruckenden Ganzen ineinander flossen. Hier seien vor allem die Schenkenszene und die beiden Bilder mit dem Auftritt des Melitone genannt. Umgekehrt schien die Regisseurin die mit Waffen durchgeführte Auseinandersetzung zwischen Don Alvaro und Don Carlos zu fürchten, denn diese Szenen waren eher durch beliebig erscheinende Raufhändel angedeutet.
Aus dem Programmheft war zu entnehmen, dass eine weißhaarige Erscheinung, die im ersten Bild die Einwürfe der Zofe Curra sang und dann immer wieder auftauchte, Leonora war, die ihr Leben in der Erinnerung ablaufen ließ. Leonora wird aber auch in dieser Produktion im letzten Bild durchaus textgetreu von ihrem Bruder Carlo erstochen. Deshalb hielt ich die Figur den ganzen Abend lang für Curra, was mir immer noch als logischer erscheint. Geschmackliche Ausrutscher fielen in die Kategorie „unlogisch“, wie etwa Padre Guardiano, als Angehöriger eines Franziskanerordens (!) im Bischofslook, oder die Revue-Tanzeinlage von Preziosilla mit dem Alcade am Schluss der Schenkenszene.
Preziosilla wird übrigens zu einer die Bühne beherrschenden Figur, denn sie verkörpert das im Titel des Werks beschworene Schicksal: Sie lenkt die tödliche Kugel auf Calatrava, als Don Alvaro seine Pistole von sich wirft, und ist bei den einzelnen Szenen so lange dabei bis sie sich im vorletzten Bild befriedigt im Stil einer ins Gegenteil verkehrten Friedenstaube in die Höhe verabschiedet. Die positiven Seiten dieses Regieansatzes sind ein „Evviva la guerra“ und „Rataplan“, deren heute schwer akzeptierbare kriegstreiberische Seiten weniger individuell polarisiert und damit verdaulicher erscheinen.
Die musikalische Umsetzung stand, wie erwähnt, weitaus höher als die szenische. Mit den Grazer Philharmonikern entwickelte Matteo Beltrami eine Spannung, die vom ersten bis zum letzten Takt des langen Werks anhielt. Die militärisch inspirierten Teile ließen in ihrem brillanten Schwung geradezu atemlos zurück, die großen lyrischen Phrasen hatten den nötigen langen Atem und deckten die Wurzeln zu Verdis großem Sittengemälde auf. Gleich danach muss der Chor und Extrachor der Oper Graz unter der Leitung von Bernhard Schneider genannt werden, bei dem Stimmkraft, Präzision und nicht zuletzt darstellerische Lust eine hinreißende Einheit ergaben.
Auch die Auswahl der Rollenbesetzung, teilweise mit Gästen, war sehr gelungen. Als Leonora hörte man die Rumänin Aurelia Florian, die nach kurzer Unterbrechung ihrer bis dahin erfolgreichen Karriere (etwa mit „La Rondine“ in Berlin) den Weg in dramatischere Gefilde einschlägt, was in Graz mit großem Erfolg honoriert wurde. Ihr weich strömender, samtiger Sopran erfüllte strahlend alle gesanglichen Anforderungen. Dazu kam eine überzeugende Darstellung, was ab dem 2. Bild im seltsamen Kostüm à la Cherubino (Julia Rösler) wohl nicht immer leicht war. Aldo Di Toro, Australier mit Wurzeln in den italienischen Abruzzen, gab einen Alvaro mit nie ermüdendem Höhenstrahl. (Warum er das erste Bild im Torerolook bestreiten musste, bleibt ein Geheimnis zwischen Regisseurin und Kostümbildnerin). Der Don Carlo des aus Hawaii stammenden Baritons Jordan Shanahan ließ aufhorchen, denn hier fanden sich gesundes, technisch gut eingesetztes Material mit überzeugend aristokratischem Auftreten zusammen. Ein weiterer Gast war der Finne Timo Riihonen als imposanter Padre Guardiano, dessen der großen Basstradition seines Landes folgendem Organ man eine stärker dem Schöngesang verpflichtete Technik wünschen würde. Aus dem Ensemble fand die so vielfach eingesetzte Preziosilla in dem Mezzo Mareike Jankowski eine ausgezeichnete, zwischen Frivolität und Düsternis schwankende Verkörperung, die sie mit ihrer dunklen, höhensicheren Stimme zum Erfolg führte. Der Melitone von Neven Crnic war von der Regie im Stich gelassen, sodass zwischen den Möglichkeiten des bösartig eifernden Mönchs und einer eher der Buffotradition verbundenen Variante eine, auch stimmlich, eher farblose Interpretation zustande kam. Die Comprimari Corina Koller (Curra), Ivan Orescanin (Alcade) und Mario Lerchenberger (Trabucco) ließen nichts zu wünschen übrig.
Diese Saisoneröffnung fand große Zustimmung und viel Jubel. Möge die weitere Saison so gelingen.
Eva Pleus 17.10.21