Besuchte Aufführung am 10.10 2021 (Premiere am 25.09.2021)
Esoterische Science-Fiction-Oper?
Viktor Ullmann ist den Opernfreunden durch seine im Konzentrationslager Theresienstadt entstandene Oper "Der Kaiser von Atlantis" bekannt, die durch Länge und Besetzung geeignet, in der Corona-Zeit öfters auf die Bühnen fand und ihre Bühnenwirksamkeit bewies. Als erst vierte Bühne und als erstes größeres Opernhaus (nach der UA in Bielefeld (1995), noch in Hof und Olmütz) wagte sich die Oper Leipzig an eine Neuproduktion, die jetzt ,nach den Corona-Lockdowns, endlich zu ihrer Premiere kam. Das Libretto stammt von Albert Steffen, der ,nach dem Tod Rudolf Steiners, zum führenden Haupt der Anthroposophie-Bewegung wurde. Das vertonte Schauspiel stammt aus dem Jahr 1928 und wurde vom Komponisten 1935 geschrieben, die Wiener Staatsoper traute sich nicht mehr an eine Uraufführung, der Rest ist Geschichte. Soviel nur, um das Werk zeitlich zu verorten.
Die Handlung: in einem totalitären Staat versucht der Herrscher den Techniker (Überwindung der Naturgesetze durch Konstruktion eines Raumschiffs), den Priester (Segnung von Brot aus Steinen) und den Künstler (Lobpreis des Tyrannen) auf seine Seite zu ziehen; letzterer wiedersteht und wird eingekerkert. Dort wird er von einem Kerkerwärter in die Lehre des "alten Meisters" initiiert und überwindet das Körperliche durch die Erfahrung von Tod und Wiedergeburt im Hungerdelirium. Der Tyrann erschießt den Techniker, der nach einem Weltraumprobeflug das furchtbare Ansinnen des Tyrannen erkennt; der Priester wird nach Verkostung des sythetischen Brotes zum Tier und wahnsinnig. Der Herrscher schwingt sich mit dem Raumschiff ins All und stürzt zu Tode. Die Menschen können wieder aufatmen. Die Musik des Bühnenweihfestspiels, so der Untertitel klingt üppig und mondän, durchaus eigen. In der Initiationsszene kommen sowohl textlich, wie musikalisch starke Parallelen zu Wagners "Parsifal" (Karfreitagszauber!) zum tragen. Das Stück passt wie angegegossen in den diesjährigen Spielplan der Leipziger Oper , der im Frühjahr in einer kompletten szenischen Aufführung von Richard Wagners Opern gipfeln wird.
Mit Balasz Kovalik hat man wohl den richtigen Künstler gefunden, der als Ungar aus der Erfahrung arbeiten kann, wie Kunst und Presse staatlich institutionalisiert werden sollen. Und so macht er genau das Richtige und inszeniert das Werk eigentlich librettogetreu, ohne ihm irgendein "Geschmäckle" in eine irgendwie geartete Ideologie zu geben, weder einer politischen, noch anderer weltanschaulichen. Schließlich gilt es ja auch den Beitrag der anthroposophischen Anschauung zur aktuellen, sogenannten "Querdenken"-Bewegung zu berücksichtigen. Kovalik lässt den Gedanken des Zuschauers nötigen freien Raum , danke schon einmal dafür. Die Handlung an sich klingt vielleicht auch nicht so spannend, doch der Regisseur weiß durch seine Bilder sehr stark die Aufmerksamkeit des Publikums zu fesseln, dabei natürlich unterstützt von der sehr starken Ausstattung von Stephan Manteuffel. Vor einem Panorama einer wirtschaftlich ausgebeuteten Landschaft (trotzdem ästhetisch sehr ansehnlich), wird der Technik des Leipziger Opernhauses viel abverlangt (großes Lob an die technische Abteilung), denn die Maschinerie läuft über Drehbühne und diverse Versenkungen, dabei auch noch gleichzeitig; was sehr zum Zitat "zum Raum wird hier die Zeit" denken lässt. Valerio Figuccios Videos und Michael Rögers Licht unterstützen auf das Beste. Die Kostüme sind in der Entstehungszeit und Heute (Chor) verankert und passend unauffällig.
Gesanglich haben wir es mit einer Männeroper zu tun, denn es gibt keine weiblichen Solisten. Thomas Mohr hat sich in der fordernden Heldentenorpartie des Herrschers in den Schlussproben verletzt und singt aus einem Rollstuhl mit einem ausgestreckt stabilisierten Bein vom Bühnenrand, allein in dieser Körperhaltung eine effektive Körperspannung zum Singen aufzubauen, Respekt! Dann gesanglich so eine adäquate Leistung hinzulegen, das beeindruckt mich zutiefst. Der Regisseur hat den szenischen Part übernommen und integriert den Tenor mit Rollstuhl auf der Bühne, auch dafür großes Lob. Der Künstler steht dem Tyrannen mit leicht lyrischerem Tenor gegenüber, Stefan Rügamer singt die Partie sehr einfühlsam, kommt aber auch in den extremeren Forderungen leicht an seine Grenzen. Auch der Priester ist ein Tenor, allesdings ein Charaktertenor, mit Dan Karlström haben wir einen der gesanglich schönen, lyrischen Art vor uns. Kay Stiefermanns Karriere verfolge ich schon seit vielen Jahren, eigentlich ein lyrischer Bariton hat er sich geschickt Bereiche des Heldenbaritons ersungen und die Geschmeidigkeit bewahrt, sein Raumfahrtbericht beeindruckt mich durch seinen liedhaft gesungenen Duktus. Zu den relativ hohen Männerstimmen bildet der balsamische Bass einen spannenden Gegenpol, der Kerkerwärter hat nahezu gurmemaneske Stellen; kleine Anmerkung: noch besser wäre es mit der sanglich Aufhellung der Vokale, so klingt es manchmal etwas mulmig. Martin Petzold mit etwas schneidendem Tenor ergänzt als Ausrufer. Der Chor der Leipziger Oper unter Alexander Stessin absolviert seinen Part einfach einwandfrei. Matthias Foremny am Pult des Gewandhausorchesters sorgt für opulenten spätromantischen Klang, nur manchmal, wenn die Solisten weiter hinten auf der Bühne plaziert sind, wäre etwas mehr Rücksichtnahmen in der Lautstärke erforderlich. Resume: Die Leipziger Oper bietet einem sehr spannenden Musiktheaterabend auf sehr hohem Niveau, und das auf jeglicher Ebene!
Martin Freitag, 19.1021
Fotos: KIRSTEN NIJHOF / Oper Leipzig