Vorstellung am 2. 12. 18
Seltener Puccini an der Oper Leipzig
Nur sieben Aufführungen erlebte Cusch Jungs Inszenierung von Puccinis La fanciulla del West an der Oper Leipzig. Nach der Premiere am 29. 9. fand die letzte Vorstellung am 2. 12. 18 statt und bestätigte noch einmal das hohe Niveau dieser Produktion. Ulf Schirmer breitet die Musik mit dem Gewandhausorchester spannungsvoll aus und lässt sie groß und farbenreich aufrauschen, kann aber eine orchestrale Dominanz nicht immer verhindern. Das bringt die Sänger mehrfach in Verlegenheit. Vor allem Meagan Miller als Minnie mit blonder Haarpracht im Jeanskleid (Ausstattung: Karin Fritz) beginnt recht verhalten, spart die Kraft für die später folgenden großen Aufschwünge, die dann aber sehr effektvoll ertönen. Hinreißend ihr Duett mit Dick Johnson im 2. Akt, als der Gaston Rivero mit höhensicherem, prunkendem Tenor einen glänzenden Eindruck hinterlässt. Beide entfalten in ihrem Zwiegesang fulminante Kraft und starke Sinnlichkeit. Leider wird die Sopranistin von der Regie bei Minnies letztem triumphierendem Aufschrei nach dem Sieg im Pokerspiel um die Wirkung dieser Szene gebracht, weil sie samt ihrer Holzhütte zu weit in den Hintergrund der Bühne fährt. Auch bei ihrem finalen Auftritt in einer Lagerhalle mit hängendem Kranhaken in der Mitte ist sie ungünstig aufgestellt. Bei aller Kraft kann sich die Stimme aus dieser Position und bei dem enorm exzessiven Orchesterklang nicht genügend durchsetzen. Vorher hat Rivero bei dem einzigen Hit des Werkes, „Ella mi creda“ mit seinem virilen Gesang noch einen Glanzpunkt gesetzt. Sein Tenor besitzt gleichermaßen die heldische Attacke wie emotionale Träne. Neu besetzt gegenüber der Premiere ist der Jack Rance mit Anooshah Golesorkhi, dessen robuster Bariton von bedrohlicher Wirkung die Figur plastisch umreißt.
Die Herren des Chores der Oper Leipzig (Einstudierung: Alexander Stessin/Thomas Eitler-de Lint) singen klangvoll und differenziert, finden vor allem im letzten Akt zu machtvollen Ausbrüchen. Die Regie hat sie dankenswerterweise als Individuen gezeichnet, vor allem im 1. Akt, der irritierend in der Kaue eines Bergwerkes beginnt, wo Arbeiter mit Schutzhelmen oder halbnackt mit Badetüchern nach der Schicht Karten spielen und trinken. Aber die Aktionen zwischen den Personen werden bestimmt von psychologischer Glaubwürdigkeit und laufen ohne peinliche Kitschmomente ab. Starker Beifall am Ende und der Wunsch nach einer Wiederaufnahme der Inszenierung in der nächsten Spielzeit.
Bernd Hoppe 8.12.2018
Bilder siehe weiter unten Erstbesprechungen!
Das Ensemble des Leipziger Balletts gedachte am 1. 12. seines ehemaligen Chefchoreografen Uwe Scholz, der am 31. 12. dieses Jahres seinen 60. Geburtstag gefeiert hätte. Allzu früh – mit nur 45 Jahren – war er im November 2004 verstorben. Der Intendant der Oper Leipzig, Udo Zimmermann, hatte ihn 1991 von Zürich in die Messestadt berufen, wo er die Compagnie in kürzester Zeit auf ein internationales Niveau hob. Noch heute befinden sich seine Schöpfungen in deren Repertoire, werden von Ballettdirektor Mario Schröder, Scholz’ Nachfolger, als das künstlerische Erbe seines Vorgängers bewahrt. Er fand in seiner Gedenkrede, die von Fotos illustriert wurde, dann auch sehr persönliche, berührende Worte, die den großen Künstler und Menschen in Erinnerung brachten und ihn würdigten.
Das Programm brachte Ausschnitte aus einigen seiner bedeutendsten Stücke – beginnend mit dem 1. Satz aus Beethovens Symphonie Nr. 7, A-Dur, die 1991 beim Stuttgarter Ballett ihre Uraufführung erlebte und in Leipzig erstmals 1993 gezeigt wurde. Sie ist ein Signature Piece des Choreografen, weil sie seine einzigartige Musikalität herausstellt. In dieser ganz auf das neoklassische Vokabular gerichteten Arbeit sitzt der Tanz perfekt auf der Musik – Klang und Bewegung werden zur Einheit. Tempo und Vitalität bestimmen den Ablauf, wie man es am Ende des Abends – beim 3. und 4. Satz – noch einmal erleben konnte. Dem mitreißenden Wirbel folgten langer, stürmischer Applaus und Standing Ovations.
Es war eine glänzende Idee der Organisatoren, Gäste einiger Compagnien einzuladen, die in Scholz’ Entwicklung als Tänzer und Choreograf wichtige Etappen darstellten. Vom Ballett Zürich kamen Katja Wünsche und Yannick Bittencourt mit dem 3. Satz aus der Sonate für Violoncello und Klavier c-Moll, op. 19 von Rachmaninow, die Scholz 1987 für die Zürcher Ballett-Tage kreiert hatte. Die lyrisch getragene Musik ist in einem empfindsamen Pas de deux umgesetzt und beide Solisten erwiesen sich dafür als ideale Interpreten. Erfreulich, dass es an diesem Abend keine Tonbandeinspielungen gab. Daniel Pfister am Cello und Wolfgang Manz am Klavier musizierten mit sensiblem Gespür für die melancholische Stimmung dieser Komposition. Das Gewandhausorchester Leipzig unter Felix Bender erwies sich in den verschiedenen musikalischen Stilen als souveräner Begleiter.
Mozarts Messe c-Moll KV 427 war gleichfalls ein unvergesslicher Moment in Scholz’ Leipziger Zeit. Er schuf sie für seine Compagnie, wo sie unter dem Titel Die Große Messe 1998 uraufgeführt wurde. Bianca Tognocchi sang das „Et Incarnatus“ mit klarem Sopran, Fang-Yi Liu war die Tanzsolistin mit zarter, zerbrechlicher Gebärde. Virtuosität im Doppel erlebte man bei einer weiteren Schöpfung auf Musik von Rachmaninow, der Suite für 2 Klaviere, Nr. 2 C-Dur op. 17, von Wolfgang Manz und Alden Glatt bravourös gespielt, von Yan Leiva und Lou Thabart tänzerisch mitreißend umgesetzt im Wechsel von Annäherung und Entfernung, von Irritation und Gemeinsamkeit. Den ersten Teil des Programms beendete eine 1986 für Les Balletts de Monte-Carlo geschaffene Arbeit – Jeunehomme auf Mozarts Klavierkonzert Es-Dur KV 271. Als Gäste vom Staatsballett Berlin zeigten Polina Semionova und Alejandro Virelles den langsamen Mittelsatz in wunderbarer Harmonie und tänzerischer Vollendung. Semionova ist nun zu einer großen Darstellerin gereift – majestätisch ihre Haltung, stark ihr Ausdruck, enorm die innere Spannung. Ihr Partner bestach vor allem durch exzellente, riskant scheinende, doch perfekt beherrschte Hebungen. Trennung und Wiederfinden eines Paares wurden in dieser Darbietung zum Ereignis und vom Publikum gebührend bejubelt.
Der zweite Teil begann mit einem für Vladimir Malakhov kreierten Solo (Notations I – IV auf Musik von Boulez), das der russische Tänzer erstmals 1996 beim Stuttgarter Ballett vorgestellt hatte. Hier tanzte als Gast dieses Ensembles Adhonay Soares mit bravourösen Pirouetten und agiler Körperlichkeit. 1992 wurde in Leipzig Pax Questuosa nach dem gleichnamigen Stück von Udo Zimmermann uraufgeführt. Daraus tanzten Laura Costa Chaud, Juliano Toscano und Luke Francis den Pas de trois „Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen“, der beeindruckende Körperskulpturen baut. Von Scholz’ bedeutenden Handlungsballetten war leider nichts zu sehen – kein Tschaikowsky-Klassiker, nichts aus der wundervollen Choreografie zu Stendhals Rot und Schwarz. Aber solch eine Gala erlaubt eben immer, nur einen Teil des künstlerischen Schaffens vorzustellen. Und dieses ist nach wie vor von unverminderter Bedeutung und ungebrochener Wahrhaftigkeit.
Bernd Hoppe 6.12.2018