Sofia: „Parsifal“

WA am 3. April 2022

Wagners Abschiedswerk in eindrucksvoller Interpretation der Werkaussage

Vor mittlerweile schon wieder fünf Jahren fand an der Sofia Oper und Ballett die bulgarische Erstaufführung von Richard Wagner s Abschiedswerk „Parsifal“ statt. Damals wie heute stand Constantin Trinks am Pult des Orchesters der Sofia Oper. Er, der viel von Richard Trimborn lernen konnte, der wiederum bis zu seinem Tode kongenialer Partner von Prof. Plamen Kartaloff war, dem Generaldirektor der Sofia Oper und Regisseur dieser Produktion, bewies auch an diesem Abend wieder sein tiefes Verständnis von Wagners genialer Partitur. Es begann schon im Vorspiel, welches er – fast könnte man sagen, à la Hans Knappertsbusch – zu zelebrieren schien und setzte sich über den ganzen langen Abend mit einem detailverliebten, immer aber den großen Bogen im Augen behaltenden Dirigat fort. Durch die getragenen Tempi erinnerte der 1. Aufzug an die Bayreuther Dimensionen eines James Levine. Aber eines ist auch sicher: Selbst allzu getragene Tempi können dem „Parsifal“ nichts anhaben. Begründungen dafür finden sich gerade in diesem Werk zur Genüge. Man hat zu dieser Wiederaufnahme im Rahmen des Wagner/Strauss-Festivals 2022 neue Glasglocken bestellt. Und zwar handelt es sich um ein Set von vier resonanten Metallplatten, das von Matt Nolan entworfen wurde, von der Sofioter Produktion als extravagant und selten bezeichnet. Die Platten klingen durchuas interessant, aber noch zu hell, um dem dunklen Bayreuther Gralsglocken-Klang, den man dort bei der Klaviermanufaktur Steingräber persönlich anschlagen kann, nahe zu kommen. In jedem Fall stellen sie eine originelle Lösung des immer wieder als schwierig und nicht eindeutig zu fassenden Gralsglocken-Problems dar.

Die analytische und intensiv Akzente setzende musikalische Interpretation Trinks‘ passt bestens zur Ästhetik der Inszenierung von Plamen Kartaloff, der ebenfalls die Handlung in einer Wagners Intentionen und Aussage sehr nahen Art und Weise interpretiert. Von Wagnerschem Regietheater hält man in Sofia wenig bis gar nichts. Und was man dem hier entgegenzusetzen hat, kann sich auch international sehen lassen. Denn Kartaloffs Sicht des „Parsifal“ kommt von innen heraus, aus den tiefsten Tiefen dieses so vielschichten Oeuvres und seiner Thematik, mit dem Wagner einen solchen mystischen und transzendentalen Schlusspunkt unter sein geniales Schaffen setzte. Kartaloff geht es bei der Konzeption dieses „Parsifal“ vor allem um die Vermittlung emotionaler Inhalte, wobei die Kategorien Brüderlichkeit, Menschlichkeit und Nächstenliebe eine Verbindung mit göttlicher Strahlkraft und spiritueller Heilung eingehen. Das spirituelle Mysterium der „Parsifal“-Legende sowie die philosophischen Botschaften der Charaktere und ihr Verlangen nach einem „finalen Nirwana“ sollten im Mittelpunkt stehen. Das zu zeigen verlangt einen hohen Grad an Abstraktion und eine fein ausgefeilte Personenregie, was beides bereits im 1. Aufzug und durch das ganze Stück hindurch eindrucksvoll zu erleben ist. Gurnemanz und die Ritter erscheinen in von Stanka Vauda geschmackvoll gestalteten weißen Kostümen mit den typischen Mönchskapuzen und geben damit einen wirksamen Kontrast zu den eher dunklen Bühnenbildern von Sven Jonke. Das Lichtdesign von Andrej Hajdinjak ist stets auf die Bilder abgestimmt.

Bei der Gurnemanz-Erzählung, die damit keinen Moment langweilig wird, sehen wir Momente aus der Vorgeschichte an der Seite, so wie Klingsor Amfortas in seiner Liebesnacht mit Kundry den Speer entwendet und dem Gralskönig die Wunde zufügt. Auch Kundry kommt hier auch immer wieder vor, begünstigt durch die sich manchmal zu viel drehende Drehbühne. Hochemotional wirkt der von Parsifal tödlich verletzte Schwan. Er wird von einem jungen gefiederten Tänzer verkörpert, der auf der Bühne zusammenbricht und Parsifal noch einen letzten verzweifelten Blick zuwirft, sodass dieser bereits weit über sein Toren-Dasein hinaus betroffen ist. Er hört später auch, noch auf der Bühne verweilend, die Stimme aus der Höhe und damit eine Art Auftrag für seine Mission – Regieeinfälle, die einen kausalere Dramaturgie ermöglichen.

Über das Regiekonzept ist anlässlich der Premniere 2017 schon das meiste an dieser Stelle gesagt worden. So soll nur noch eine Idee genannt werden, die immer wieder in diesem „Parsifal“ für Erstaunen sorgt. In der Verwandlung im 1. Aufzug wird die Gralsschale durch unten und oben gegeneinander rotierende Seile zu einem den gesamten vertikalen Bühnenraum umfassenden Phänomen inszeniert. Bei der Apotheose im 3. Aufzug werden statt der Seile genau fokussierte Laserstrahlen sichtbar, die natürlich der Gralserscheinung eine noch viel größere Aura verleihen. Und dazu die finalen Takte zu hören ist dann schon etwas ganz Besonderes! Wenn der junge Gralskönig Parsifal mit dem senkrecht erhobenen Speer unter diesen Strahlen-Dom tritt, wird die Vereinigung von Gral und Speer auf eine fesselnde und nahezu perfekte Art und Weise sichtbar.

Martin Iliev ist diesmal Parsifal und verleiht mit seinem heldisch timbrierten Tenor, der ihn bekanntlich auch zu einem sehr guten Tristan, Siegmund und Siegfried macht, mit bisweilen tragischer vokaler Note einen leidvoll Suchenden, der schließlich einen emotional mitnehmenden Schlussgesang beschert. Atanas Mladenov ist weiterhin das ganz große Talent nicht nur als Amfortas, sondern auch für andere Wagner-Rollen. Er kann das furchtbare Leiden des alten Gralskönigs mit einer Intensität spielen, die unter die Haut geht und dazu noch mit seinem facettenreichen und klangvollen Bassbariton veredeln. Angel Hristov ist sicher ein souveräner Gurnemanz, der ausreichende Bassgewalt für diese so lange Rolle mitbringt und auch die erforderliche Autorität in ihrer Darstellung. Es fehlt ihm allenfalls etwas an Wärme in der Stimme, die man, wenn man dem Dritten Knappen genau zuhört, vom „Väterchen“ auch erwarten kann. Hristov steigerte sich aber noch im 3. Aufzug beim Karfreitagsszauber. Veselin Mihaylov ist hingegen ein perfekt intonierender Klingsor mit kraftvoller Stimme und viel Ausdruck seines Bassbaritons und auch im Spiel. Seine wilden Aktivitäten zu Beginn des 2. Aufzugs sind recht eindrucksvoll und in dieser Intensität selten zu sehen. Radostina Nikolaeva ist wieder die verführerische Kundry und hat ihre Souveränität in der Rolle weiter verstärkt. Mit ihrem für eine Kundry realiv hellen Timbre fallen ihr die Höhen besonders leicht. Petar Buchkov ist der gewohnt dunkel orgelnde Titurel. Die Blumenmädchen dürfen in Sofia auch einmal sexy sein, was ja weiter westlich bei den dort rasant zunehmenden sexuellen Verkrampfungen auf der Wagner-Bühne immer mehr verpönt zu sein schein. Hier passt neben der Choreographie auch alles stimmlich Lyubov Metodieva, Ayla Dobreva, Stanislava Momekova, Yuliana Katinova, Aleksandrina Stoyanova und Angelina Mancheva sind die Schönen). Bei den Gralsrittern und Knappen gibt es vokal hingegen Licht und auch Schatten.

Eine ganz besondere Würdigung verdient der wie immer von Violeta Dimitrova einstudierte Chor der Sofia Oper, der zu seinen großen Auftritten in den Randaufzügen exzellent choreografiert und stimmlich immer stärker werdend in den Vordergrund tritt wie in einem großen Keil. Elektrik.Me schafft mit Multimedia-Technik ständig interessante Assoziationen der Ritter figurativ auf den großen Tuchbahnen im Hintergrund, sodass die Bilder stets wie in sanfter Bewegung erscheinen.

Mit dieser „Parsifal“-Produktion hat die Sofia Oper ein eindrucksvolles Zeichen dafür gesetzt, wie intensiv Wagners Musikdramen aus sich heraus wirken können, wenn man nahe an der Werkaussage bleibt, also dem Komponisten vertraut und dazu noch eine erstklassige musikalische Leistung bieten kann.

Fotos: Setoslav Nikolov

Klaus Billand/17.5.2022

www.klaus-billand.com