Öffentliche Generalprobe am 12. September 2021
„Es wird leidenschaftlich geliebt, gemordet und phantastisch gesungen“
Unter dem Motto „Mit Lust zur Macht“ übertitelt das Opernhaus Zürich mit diesen Worten seine Präsentation zur Wiederaufnahme der Opera musicale von Claudio Monteverdi „L’incoronazione di Poppea“ – und sie hätte keinen stimmigeren Titel finden können. Denn was man in über drei Stunden in der Inszenierung des Katalanen Calixto Bieito aus dem Jahre 2018 erlebt, das ist an – auf der Opernbühne für heutige Verhältnisse noch akzeptabler – Offenheit und Direktheit, auch in erotischer Hinsicht, kaum zu überbieten. Und steht dennoch vollkommen in der Werkaussage dieser Barockoper über die grausame Regentschaft des römischen Kaisers Nero. Der kam ja gerade erst bei den Bregenzer Festspielen mit der Oper „Nerone“ von Arrigo Boito zu interessanten Ehren. Zum äußerst publikumsfreundlichen Auftakt zur neuen Saison 2021/22 hatte Intendant Andreas Homoki das Publikum zur Matinee in die öffentliche Generalprobe der Wiederaufnahme eingeladen, die unter der musikalischen Leitung von Ottavio Dantone sam Pult des Orchestra La Scintilla stand. Es kam in großer Zahl.
Bieito hat die Handlung in eine Bilderwelt übersetzt, die uns aus TV-Soaps und Krimis geläufig ist, wobei er aber stets am Stück und seiner Handlung bleibt – das ist seine große Kunst bei aller Modernität und Zutaten des Regietheters, was man besser als „Regisseurs-Theater“ bezeichnen sollte, wie ich neulich irgendwo las. Und so zeigt er auch die wohl weit- und weiterhin gültige Relevanz von Macht, Gewalt, Verrat, Liebe und Eifersucht sowie Mord im Rahmen einer hedonistischen Gesellschaft zur Zeit Neros. Um die viele betreffende Bedeutung der Thematik noch zu erhöhen, hat Rebecca Ringst ein Bühnenbild entworfen, welches sich wie ein Ring und das mittig sitzende Orchester zieht, mit einer Zuschauertribüne auch auf der Bühne. An den Proszeniumslogen sind viele und auch große Screens befestigt, auf denen die Handlung optisch mal kommentiert, mal aufgeladen oder gar ins Extreme übersteigert wird. So sieht man minutenlang, wie Seneca nach dem Aufschneiden der Pulsadern mit einer Rasierklinge, die durch eine seitliche Kameraeinstellung vorher auch noch klar gezeigt wurde, langsam im blutdurchtränkten Wasser der Badewanne erstirbt. Noch drastischer konnte man das wohl kaum zeigen und daraufhin gleich den totalen Kontrast mit dem „Freudenfest“ Neros angesichts des Todes des Weisen.
Leidenschaftliche Liebesbeweise sind zwischen Nero und Poppea zu sehen, er meist mit nacktem Oberkörper, sie in erotischen Outfits, kontrastierend mit der dekadenten Abstrusität der Verkleidung Ottones in eine Frau, um Poppea zu ermorden. Allzu brutal, aber eben konsistent im Sinne der Inszenierung, die folgende blutige Misshandlung von Drusilla aufgrund ihrer Mittäterschaft. Immer aber ist ein Mindestmaß an visueller, modisch ansprechender Ästhetik gewährt, wofür der Kostümbildner Ingo Krügler verantwortlich zeichnet. Dankenswerterweise verzichtet er auf die immer wieder abstoßende bis alberne Darstellung weißer Schiesser-Unterwäsche als Poststereotype des Regisseurs-Theaters, zumal bei Richard Wagner. Allein die drei über allem stehenden Allegorien Fortuna, das Schicksal, Virtù, die Tugend, und Amor, die Liebe setzen sich vom grausamen Geschehen durch schlichte weiße Nachthemden ab, aus denen sie die meiste Zeit aus irgendeiner Bühnenecke beobachten, was passiert und so die mit ihnen verbundenen Qualitäten ständig in Erinnerung halten. Jake Arditi singt den Amor mit einem guten Countertenor, Sandra Hamaoui eine klangschöne Fortuna und Hamida Kristoffersen eine ebenfalls ansprechende Virtù.
Wie gesagt, sängerisch ist das gesamte Ensemble umfassend in hohen Tönen zu loben, und niemand hat in dieser Generalprobe, die ja öffentlich war, markiert. Das war eine vokalen Leistung in italienisch wie aus einem Guss und machte mit dem einfühlsamen Dirigat von Ottavio Dantone und dem mit Barockmusik besonders vertrauten Orchestra La Scintilla zu einem auch musikalisch bewegenden Gesamterlebnis. Julie Fuchs spielte und sang eine laszive und alle erotischen Register ziehende Poppea, mit feiner Stimmführung und bester Diktion. David Hansen präsentierte als Nerone einen Countertenor der Extraklasse, bei mühelos klangvollen Höhen auch zu einer auch virilen Tiefe fähig – und das alles mit ausgezeichneter darstellerischer Gestaltungskraft. Emily d’Angelo konnte mit einem klaren, prägnanten und zu bester Attacke fähigen Sopran begeistern, ebenfalls bei einer starken Interpretation der gescheiterten Kaiserin. Herrlich ihr Abschiedslied von Rom, gerade erst bewegend interpretiert von Joyce DiDonato bei den Salzburger Festspielen.
Delphine Galou gab einen glaubwürdigen Ottone, von seiner anfänglichen Verzweiflung bis zu seiner fatalen Entwürdigung nach dem skurrilen Mordkomplott. Deanna Breiwick sang und isolierte die Drusilla zunächst Musetta-haft mit einem ebenfalls wohlklingenden Sopran. Später konnte sie auch die tragische Gefallene mit viel Überzeugungskraft mimen. Miklos Sebestyén verkörperte einen mahnenden, dann nachdenklichen und schließlich berührend vom Leben Abschied nehmenden Seneca mit einem zu dieser Rolle fast kontemplativ anmutenden samtenen Bass – eine großartige Darstellung dieser so wichtigen Figur im Stück. Auch die kleineren Rollen waren stimmlich sehr gut besetzt, wie Manuel Nuñez Camelino als Nutrice, Emiliano Gonzalez Toro als Arnalta, Bozena Bulnicka als Valetto sowie Tomas Erlank, Andrew Moore und Andrei Skliarenko in Nebenrollen.
Am Schluss erscheinen Nero und Poppea in vollem Ornat als gekrönte Häupter in einem Rausch an goldenen Farben und Luftballons. Eindrucksvoll gelingt dabei das finale Liebesduett „Pur ti miro“ – „Dich nur sehen“, ein letzter musikalischer Höhepunkt einer ungewöhnlichen, aber überzeugenden Interpretation einer der Frühopern der Geschichte.
Fotos: Monika Rittershaus
Klaus Billand/13.9.2021