Manchmal ist es ja so, dass man die Inszenierung einer Oper beim ersten Ansehen nicht ganz so toll findet, man lange darüber nachdenkt, versucht zu entschlüsseln, irgendwie nicht damit klarkommt und sich das Ganze ein zweites Mal antut – und es dann besser findet. Mir erging es z.B. so bei Baumgartens Giovanni in Zürich. Aber leider nicht so beim zweiten Besuch von Tatjana Gürbacas Inszenierung der Lucia di Lammermoor. Noch immer finde ich das Ganze zu hässlich, mit zu vielen (wahrscheinlich) bedeutungsschwangeren Hinweisen versetzt, zu wenig klar erzählt (wenn man schon eine Art “Vorgeschichte” in die Handlung einfließen lässt).
Ja, es ist eine “hässliche” Geschichte, wie hier eine Frau ausgenutzt und missbraucht wird. Ja, man soll diese Hässlichkeit auch zeigen dürfen. Aber wild zusammengewürfelte Kostüme, Uhren, die durchdrehen oder auch mal ganz fehlen, identische Räume (ok, mal etwas verschimmelter und ohne Uhr) mit einem Bett, das zum Grab wird auf der Drehbühne, machen die Handlungsweisen der Protagonisten leider nicht zugänglicher. So sehr ich Arbeiten von Frau Gürbaca zu schätzen gelernt habe, bei der Produktion wurde ich auch beim zweiten Ansehen nicht warm.
Die Besetzung dieser Wiederaufnahme hingegen lässt keine Wünsche offen: Nina Minasyan sang eine berührende Titelfigur, schöne, strahlende Acuti, wunderbare Koloraturen, ohne ins Zirzensische abzudriften. Piotr Buszewski entlockte seinem angenehm hell timbrierten Tenor herrliche Phrasen voll jugendlicher Innigkeit und Emphase. Boris Pinkhasovich sang einen fiesen, verzweifelten Enrico, ohne jedoch zu chargieren, punktete mit seinem wunderbar warm strömenden Kavaliersbariton. Maxim Kuzmin-Karavaev verlieh dem Pater Raimondo mit seinem gerundet fließenden Bass Gewicht. Daniel Kluge war ein intelligent gestaltender Wüstling Normanno. Raúl Gutiérrez hätte man gerne noch länger zugehört, leider wurde er von Lucia noch in der Hochzeitsnacht auf bestialische Art mittels Kehlen Schnitt auf offener Bühne ins Jenseits befördert.
Ann-Kathrin Niemczyk ergänzte das Ensemble der Protagonisten aufs Vortrefflichste und half mit, das berühmte Sextett im zweiten Akt zum Showstopper zu machen. Leonardo Sini leitete die Philharmonia Zürich mit großem Feingefühl für Dynamik und Balance, so dass niemand auf der Bühne zu forcieren brauchte (im Gegensatz zur Premiere 2021, die noch zur Corona-Zeit stattgefunden hatte und ziemlich schnell wegen der Lautstärke des Tenors und des Baritons aus den Fugen geriet. Der Chor der Oper Zürich agierte diesmal auf der Bühne und sang hervorragend. Musikalisch war das eine gelungene Aufführung, szenisch gab’s einige gelungene Ansätze neben viel Rätselhaftem.
Kaspar Sannemann, 31. Oktober 2024
Lucia di Lammermoor
Gaetano Donizetti
Oper Zürich
26. Oktober 2024
Regie: Tatjana Gürbacas
Musikalische Leitung: Leonardo Sini
Philharmonia Zürich