Philharmonie Essen 6.4.16
mit Jonas Kaufmann & der Staatskapelle Weimar
Nachdem Jonas Kaufmann in diesem Jahr alle großen Termine indisponiert abgesagt hatte, war die Freude beim Essener Publikum natürlich groß, daß der Superstar jetzt wieder einigermaßen präsent war und mit den Hitparadennummern aus Puccinis Werken das Publikum bezauberte. Daß er am Wochenende in der Wiener Staatsoper den von seinen Fans lange erwarteten Cavaradossi singt, sollte auch nach den erkennbaren Anstrengungen des gestrigen Konzerts erwartet werden können. Sagen wir es gleich rundheraus:
Der "Supertenor" gab zwar gestern alles für seine Fans, ist aber sicherlich noch nicht wieder zu 100 Prozent der Alte; wenn man überhaupt erwarten darf. Nach seinem letzten Brillierstück "Nessum dorma…", hätte es jeder verstanden, daß er diesmal nicht noch drei Zugaben singt; aber Fans sind ja leider unbarmherzig und verfügen über wenig Empathie, Wahrnehmung und Einfühlungsvermögen.
Und:
Der sympathische Künstler ist ein zu anständiger Kerl, um sein Publikum zugabenlos zu verlassen. Dabei hätten es sicherlich nicht wenige Musikfreunde durchaus verstanden; immerhin sang er keine sogenannten Kawenzmänner mehr, sondern mit zu Recht und gesund gebremstem Schaum gab er als Extras: Giacomo Puccinis „Recondita armonia", Licinio Refices „Ombra di nube“ und Ernesto di Curtis „Non ti scorda di me". Ein schöner, leichter und glücklicher Ausklang.
Dennoch sollte man sich Sorgen machen, daß er nicht ein ähnliches Schicksal wie sein einstiger ebenfalls großer Kollege Rolando Villazon erleidet. Zuviel des Guten – bei Kaufmann muß man schon sagen zuviel des Sehr Guten! – kostet Substanz und zehrt an der Stimme. Ein "weiter so" würde mich als erfahrenen langjährigen Kritiker und Beobachter bedenklich und traurig stimmen…
Nichts desto trotz war es ein wunderbarer Abend und mir gefielen die weniger bekannten Szenarien aus "Le Villi" und "Edgar" eigentlich am besten; auch brillierte die Staatskapelle Weimar, jenes urdeutsche Orchester mit großer Tradition und Spielkultur (gegründet schon 1491) unter Jochen Rieder mit einem rubatoreichen Puccini-Sound von hoher Qualität. Selten findet man in solchen sogenannten "Starabenden" Orchester, zu denen man auch ohne Weltstar gehen würde, weil sie einfach grandios aufspielen und eben keine Lückenfüller sind. Daher geht mein großes "Bravi!" an dieses wunderbare Orchester – nicht nur weil es aus meiner Heimat- und Geburtsstadt kommt ;-)). Das ist echte Orchesterkultur!
Den Weltstar in irgendeiner Form kritisieren zu wollen, wäre bejammernswürdiges Kritikastertum. Nicht umsonst gehört er zu den weltbesten und weltweit gefragtesten Tenören unserer Zeit. Daß er darüber hinaus wirklich sagenhaft gut aussieht und auch glaubwürdig und herrlich rüberkommt ist ein Glücksfall, wenn ich da so an andere Tenöre denke – ein Frauentyp, den ich mir wäre ich Film-Regisseur durchaus in der Rolle des neuen James Bond vorstellen könnte; ich glaube alle Bond-Girls wären verzückt…
Man nimmt ihm einfach die Rollenidentifikation auch ohne Kostüm und Inszenierung (wie einst bei der Callas) klaglos ab und versinkt fasziniert in seine Interpretation und Hingabe. Jonas Kaufmanns fabelhaft unprätentiöse Darbietung, wobei er jeden Funken an Emotion, die in Puccinis herzergreifender Musik liegt, aufblitzen lässt, ist einmalig. So etwas bereitet auch dem hartgesottensten Kritiker zuweilen feuchte Augen…
Ach wie himmlisch, traumverloren und schön kann doch dieser Puccini sein, wenn er so ergriffen mit Herz und Schmerz gesungen wird. Ja, wir sterben ergriffen mit ihm, ob als Cavaradossi oder Des Grieux. Und wenn er vom "Blütenreich" Abschied nimmt dann ist das schon fast tränenreicher als der Suizid der Butterfly neben ihrem kleinen Söhnchen -zumindest für viele seiner weiblichen Fans.
Oh wie herzergreifend und berückend kann doch Oper sein…
Peter Bilsing 7.4.16
Bilder (c) Philharmonie / Sven Lorenz