am 9. und 10.8.2016
IL TURCO IN ITALIA
Rossinis „Turco in Italia“ ist eine Oper sui generis. Obwohl als „buffa“ ausgewiesen, ist sie eigentlich ziemlich melancholisch und somit eher eine semi-seria (wobei sich das semi ausschließlich auf die Tatsache bezieht, dass sie – vordergründig gesehen – nicht tragisch endet).
Was sie aber in der gesamten Opernliteratur so einzigartig macht, ist ihr Libretto. Das handelt nämlich davon, dass der Poet ein Libretto abliefern soll, ihm aber nichts dazu einfällt. Also beobachtet er seine Umgebung, und manipuliert sie so, dass zum Schluss eine Opernhandlung herauskommt. „Il Turco in Italia“ handelt vom „Making of“ des „Turco in Italia“.
Halt! dachte sich der Regisseur Davide Livermore, gibt es da nicht einen berühmten italienischen Film, der genau auf demselben Prinzip passiert: ein Regisseur namens Guido (Marcello Mastroianni als Fellini-Double), dem nichts einfällt und der dann…8 1/2 von Fellini handelt eigentlich vom „Making of“ von „8 1/2“, und ist also letztendlich dieselbe Geschichte.
Also nahm Livermore kurzentschlossen Fellinis Klassiker als Schablone für seine Inszenierung des „Turco“, und siehe da, diese „Überlagerung“, diese „Überblendung“ ging sich – zum anfänglichen Erstaunen von Livermore selbst – hervorragend aus. Und so erlebt man dank dieser gewagt anmutenden, auf der Bühne aber perfekt funktionierenden Mischung vom Anfang bis zum Ende einen im jeden Augenblick optisch anregenden und inhaltlich unterhaltsamen Abend.
Das ginge natürlich nicht, gäbe es nicht einen total motivierten Cast, der mit voller Überzeugung mit – spielt: Erwin Schrott (Selim), Olga Peretyatko (Fiorilla), Nicola Alaimo (Geronio),René Barbera (Narciso), Pietro Spagnoli (Prosdocimo) und Cecilia Molinari (Zaida).
Bei dieser Art von Konzept muss man allerdings in gleicher Weise die Mimen, Sänger, Schauspieler und Tänzer, die die „Fellini- Figuren“ darstellen (und im Programmheft unverständlicher- und ungerechterweise ins winzige „Kleingedruckte“ auf der letzten Seite – noch nach den Sekretärinnen, Chauffeuren und Kartenverkäuferinnen – verbannt worden sind) hervorheben: Mariam Batistelli,Roberta de Bellis, Tiziana Fimiani, Elisa Galvagno, Fatima Santés Martinez, Lia Tomatis,Chiara Tessiore und Valentina Volpatto.
Denn sie alle machen ihre Sache ganz hinreißend, wunderbar und bezaubernd, egal ob als schwarze Sklavin, Sandra Milo-Double oder Domina.
Einziger Schwachpunkt war vielleicht die Filarmonica Gioacchino Rossini. das der jungen DirigentinSperanza Scapucci nicht immer die gewünschten Resulate liefern konnte.
CIRO IN BABILONIA
Ebenfalls im Filmmilieu angesiedelt war Davide Livermores zweite Inszenierung beim heurigen Rossini Opera Festival: die Wiederaufnahme seines „Ciro in Babilonia“ aus dem Jahre 2012.
Hier lässt er Rossinis frühes Meisterwerk(erst seine vierte Oper!)quasi als Stummfilm aufführen, besonders angelehnt an die historischen Kolossal-Schinken der Frühzeit ( als Turin noch das Hollywood Italiens war).
Der besondere Vorteil davon ist, dass er durch diesen Trick mittels des Pathos des Stummfilms das Opernpathos der Rossini-Zeit quasi durch die Hintertür, wenn auch mit einem ironischen Augenzwinkern, wieder einführen kann.
Das Konzept geht sich aber auch aus, weil es so gut umgesetzt ist: mit den genialen, kratzerübersäten Projektionen(D-Wok) und mit den konsequentest in schwarz-weiß gehaltenen Kostümen (Gianluca Falaschi), die mit ihren grotesken Ornamenten und absurden Kopfbedeckungen von umwerfend komischer Wirkung sind.
Königin des Abends ist natürlich die polnische Primadonna Ewa Podles mit ihren „sieben Stimmen“. Wie es die doch nicht mehr ganz junge Sängerin schafft, diese halsbrecherische Partie sowohl gesanglich als auch darstellerisch zu bewältigen, ist einzigartig und ein solches Phänomen der Natur, dass ein Kritiker bereits vorschlug, sie klonen zu lassen. Aber auch die restliche Besetzung ist von homogener Bravour: die aus Wien bestens bekannte Pretty Yende (ein großer Fortschritt gegenüber ihrer Rollenvergängerin Jessica Pratt) als Amira und der seit 20 Jahren in der Spitzenklasse singende Rossini-Champion Antonino Siragusa als der böse Baldassare. Alle zusammen werden angefeuert und unterstützt vom souveränen Jader Bignamini an der Spitze des wie immer makellosen Orchestra del Teatro Comunale di Bologna.
Die insgesamt geglückteste Produktion der diesjährigen ROF-Ausgabe, und ein wohlverdienter Triumph für das gesamte Team.
Robert Quitta, Pesaro 4.9.16
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)
Copyright: Rossini-Festival Pesaro