Salzburg: „Salome“

WA am 25. August 2019

Neue Horizonte bei „Salome“

Festspielintendant Markus Hinterhäuser hatte die blendende Idee, Richard Strauss‘ „Salome“ des meiner Ansicht nach großartigen Regisseurs Romeo Castellucci, der mir schon mit seinem „Parsifal“ 2011 in Brüssel am Munt positiv aufgefallen war, nach ihrer Premiere 2018 noch einmal mit drei Vorstellungen anzusetzen. Als einzige Oper hatte er sie damit aus dem Vorjahr übernommen. Das war nicht nur berechtigt, sondern zahlte sich auch aus, wenn man es am Publikumszuspruch an diesem Premieren-Abend bemessen möchte sowie an der Tatsache, dass alle drei Aufführungen wieder ausverkauft waren. Ungewöhnlich viel politische Prominenz hatte sich eingefunden, darunter Ursula von der Leyen, der ehem. deutsche Bundespräsident Horst Köhler, Ursula Plassnik und Wolfgang Schüssel, was mich angesichts genau dieser Oper und der ganz speziellen Art und Weise, wie Castellucci sie deutet – denn das war ja bekannt – etwas wunderte, zumal auch noch ohne Pause…

Als absoluter Star des Abends in der Felsenreitschule strahlte wieder einmal die litauische Sopranistin Asmik Grigorian mit einer schier unermüdlichen und unverwüstlichen Stimme, die selbst noch in den letzten Momenten wie von Katapulten abgeschossen auf das Publikum niederging – mit all ihren Facetten von mädchenhafter Naivität, Ignoranz, Abenteurertum, Boshaftigkeit, Rachegefühlen und finalem Untergang – im wirklich letzten Bild, als ihr die ganze Dimension ihrer Handlungen klar zu werden schien – da weinte sie sogar! Also auch darstellerisch eine Leistung der Sonderklasse! Der Ungar Gábor Betz singt eindringlich mit exzellenter Phrasierung sowie Diktion und spielt vor allem auch wieder den Jochanaan mit seinen düsteren und maskulinen Apercus, wie schon zu Beginn an der Wand hängendem Pferdegeschirr, später einem dunklen Hengst. Ein solcher ist sicher als Metapher männlicher Potenz aufzufassen, zumindest in dieser Inszenierung, und wie Salome darauf reagiert…

John Daszak gibt wieder diesen eigenartigen, leicht verrückten und, bis es zur grausamen Realität kommt, stets von zwei Statisten geführten Herodes, der offensichtlich nicht Herr seines (Viertel-)Reiches ist und permanent Führung benötigt – eben ein Schwächling, für den Herodias ihn ohnehin hält. Das macht Anna Maria Chiuri auch vokal eindrucksvoll deutlich, die mit ausdrucksstarkem Mezzo bei jeder Gelegenheit hören und sehen lässt, was sie von ihrem zweiten Ehemann, dem Bruder ihres ersten, hält. Julian Prégardien sang einen wohlklingenden Narraboth mit hellem Tenor, immer unter Obhut des guten und besorgten Pagen von Christina Bock, bis es nicht mehr geht und er in sein Schicksal läuft… Man lässt ihn lange achtlos liegen. Die Befehle dieses Herodes‘ wie „Fort mit ihm!“ haben offenbar schon lange keine Wirkung mehr…

In den Nebenrollen sind durchwegs gute gesangliche Leistungen bei von der Regie ganz bewusst reduzierter schauspielerischer Aktivität zu konstatieren. Tilman Rönnebeck ist ein klangvoller Erster Nazarener, sein Kollege Pawel Trojak steht ihm als Zweiter kaum nach, singt aber auch fast nichts.

Sowohl Peter Kellner als auch Dashon Burton lassen gute Stimmen für den Ersten und Zweiten Soldaten hören. Burton gewann beim 61. Internationalen Musikwettbewerb der ARD München 2012 übrigens den 2. Preis. Matthäus Schmidlechner, Mathias Frey, Kristofer Lundin, Joshua Whitener und David Steffens streiten sich als Juden wirr und vokal ansprechend über ihre Religion. Thomas Bennett singt die wenigen Zeilen des Kappadoziers als Teilnehmer des YSP (Bericht in diesem Heft).

Die Inszenierung Castelluccis, der ja auch für Bühne, Kostüme und Licht verantwortlich zeichnet, mit einer ebenso ungewohnten wie interessanten Choreografie von Cindy van Acker und dramaturgischer Unterstützung von Piersandra Di Matteo, besticht einmal mehr durch ihre ungeheure Bildersprache und die Art und Weise, wie sich die Figuren auf der Riesenbühne der Felsenreitschule bewegen, die wie der Thron und andere Herrscher-Apercus ganz in Gold gefasst ist, um die allerdings nur vordergründige und oberflächliche Macht des Herodischen Viertel-Reiches mit dem kostbarsten und begehrtesten Metall zu versinnbildlichen. Man denkt unwillkürlich an den Trump-Tower… Die so charakteristischen Galerien der Felsenreitschule sind zudem total verschlossen, sodass sich eine einzige riesige Steinfläche ergibt, die den Akteuren die Luft abzuschneiden scheint und aus dem es kein Entrinnen gibt, es sei denn der Tod – ganz dem Drama entsprechend. „TE SAXA LOQUUNTUR“ schreibt Castellucci auf den Bühnenvorhang, was so viel heißt wie „Von dir sprechen die Steine.“ Diese Inschrift wurde vom Salzburger Neutor übernommen.

Dass Blut fließen wird, zeigen schon von Beginn an die Gesichter der Akteure – bis auf jenes von Herodias, das grün ist – denn sie sind zur unteren Hälfte blutrot bemalt. Auch bei Salome ist Blut zu sehen, als roter Fleck auf der Hinterseite ihres weißen Prinzessinnengewandes. Genau dort also, wo eine unbemerkte – weil noch unbekannte – Menstruation sich optisch ihren Weg bahnt. Das ist sicher ein Ergebnis ihrer just zum Zeitpunkt des Aufeinandertreffens mit Jochanaan – und wohl genau deswegen – beginnenden Sexualität… Denn das Erlebnis des finsteren, schwarz angemalten Propheten mit schwarzem Bärenfell aus einem furchteinflößenden dunklen Loch im Goldboden des Tempelgartens und seiner archetypischen Bewegungen, von zwei Statisten hinter ihm sonderbar entfremdet, müssen einen unglaublichen Eindruck auf das Mädchen machen, als das Asmik Grigorian hier erscheint. Bedrohlich auch der dunkle kreisrunde Schatten, der mit seinem Ausstieg aus der Zisterne auf der Felswand erscheint und immer größer und bedrohlicher wird – bis die ganze Wand verdunkelt ist – wie bei einer Sonnenfinsternis. Noch nie habe ich den Ausstieg des Jochanaan aus der Zisterne so intensiv, spannend und bedrohlich erlebt. Ein Meisterstück der Regie!!

Immer wieder verstört Castellucci durch scheinbar überflüssige Nebenpersonen bzw. Nebenschauplätze, die offenbar zu seinem Duktus gehören, das wirklich Wesentliche noch stärker hervorzuheben bzw. die absolute Sinnleere solchen Handelns am hedonistischen Hof des Herodes aufzuzeigen – ganz auf Linie mit dem irren Verhalten des Tetrarchen.

So wird bereits der Boden gereinigt, obwohl noch gar kein Blut darauf geflossen ist, zumal die sicher gewaltsam ins Jenseits Beförderten sorgsam verpackt in Plastiksäcken entsorgt werden. Oder eine Gruppe von Vermessern der Felsenreitschule, also des Tempelgartens, tritt ein und macht ihre Sache kaum halb, wobei man ohnehin nicht weiß, warum. Zwei Boxer stellen sich auf, kämpfen aber gar nicht und gehen unverrichteter Dinge wieder ab. Die Musiker einer kleinen Kapelle rühren keinen Finger (Gott sei Dank!) und verschwinden wieder, zusammen mit den nicht genutzten Stehlampen, die aus dem Film „Arsen und Spitzenhäubchen“ aus dem Jahre 1944 stammen könnten…

In anderen Momenten wiederum sehen wir Szenen, in denen außer den Protagonisten niemand auf der Bühne ist. So erleben wir Salomes Tanz, der gar keiner ist, weil er m.E. schon viel früher stattgefunden hat, ohne jede Person auf der Bühne. Die Prinzessin ist in einem embryonalen Zustand der Nacktheit auf dem goldenen Thron wie ein Geschenk für den ohnehin wohl impotenten Herodes auf einem Quader mit der Inschrift „SAXA“ (Felsen) drapiert. Kaum schaut er während der wunderbaren Tanzmusik hin, die man so einmal in ihrer vollen Pracht und einzigartigen Facettenreichtum erleben kann, ohne von Schleierwürfen abgelenkt zu werden. Gegen Ende dieser Musik kommt vom Schnürboden ein quadratischer Stein herunter, in dem Salome schließlich verschwindet – sie wird (für Herodes) zu Stein.

Bei immerhin schon einigen erlebten „Salome“-Inszenierungen erschien mir noch nie so schlüssig und nachhaltig klar, wie sehr ihre Abweisung durch Jochanaan das grausame Ende der Oper bestimmt. Das geht hier wie ein Pfeil durch das Geschehen, auch wenn Salome gar nicht agiert, sondern in einer Ecke kauert – und das ganz unabhängig von all den Nebenpersonen und -schauplätzen. Castellucci hat dies auf der sexuellen Ebene meines Erachtens noch damit akzentuiert, dass er Salome zur ja recht langen Abgangs-Musik des Propheten in die Zisterne einen völlig beinfreien erotischen „Tanz“ im Liegen vollführen lässt. Dieser endet ganz offensichtlich mit einem Orgasmus, aus dessen Erschöpfung sie erst erwacht, als Herodes mit seiner Entourage samt Hoffotograf polternd auf die Bühne kommt. DAS war für mich Salomes Tanz! Ein Tanz für Jochanaan! Zuvor hat sie sich den Pferdesattel übergezogen, der ihr von einem der Helfer des Jochanan entgegen geworfen wurde und unter dem sie nun relativ eindeutige Bewegungen vollführt – auch das wohl eine Form ihres sexuellen Angebots an Jochanaan. Denn vorher sind sie sich einen kurzen Moment ganz nahe gekommen, in dem er sie sogar leicht umarmte, um sie dann sofort wieder von sich zu stoßen – eine nachdenkenswerte und völlig offene Szene, mit der uns der Regisseur in gewisse Zweifel bringt.

Über diese „Salome“ lässt sich unendlich lange und interessant diskutieren. Ist es nicht genau das, was das Musiktheater leisten kann und soll, wenn es nur GUT gemacht ist?! Und was es wiederum interessant macht? Ich warte auf den „Ring des Nibelungen“ von Romeo Castellucci, eigentlich schon seit 2011…

Franz Welser-Möst zeigte am Pult der Wiener Philharmoniker seine und deren ganze Kompetenz beim Entziffern der genialen Partitur von Richard Strauss. Er verstand insbesondere die ruhigeren Phasen und kontemplativen Momente fein ausmusizieren zu lassen und konnte dann bei den dramatischen Szenen noch stärker auftrumpfen. Nie aber wurde es pathetisch oder gar zu laut – oft klang es geradezu kammermusikalisch. Das genau liegt ja auch in der Musik der „Salome“, die mitten im Verismo eine ganz neue Stilrichtung vorgab. Musikalisch war es also ebenfalls ein großer Abend! Wenn er auch nur eine Stunde und fünfzig Minuten dauerte, so kam er mir aufgrund seiner Spannung und Detailliertheit wie vier Stunden vor… Musiktheater at its best!


Klaus Billand / 2.9.2019

Bilder (c) Ruth Waltz