am 9.7.2016 Wiederaufnahme
Die Produktion PAUL-EMILE FOURNY’s war schon 2011 in Savonlinna zu sehen, und die erneute Wiederbegegnung räumte meine damaligen Zweifel nicht aus, ob dieses Stück wirklich für die Burg Olavinlinna geeignet sei. Die wenigen Versatzstücke des „Bühnenbilds“ (POPPI RANCHETTI)ermöglichten den für diese Oper raschen Szenenwechsel; die im traditionellen Stil gehaltenen Kostüme (GIOVANNA FIORENTINI) passten in den Rahmen einer im Grunde konventionellen Inszenierung, wenn nicht einige wenige „Ideen“ des Regisseurs sich von einer 1:1-Bebilderung abhoben. So war nicht zu erklären, warum Leporello sich am Anfang seiner Hosen entledigen musste und diese erst zum Auftritt Giovannis wieder anzog, während das minutenlange hilflose Herumgezappel der Diener des Titelhelden im Finale I einfach nur albern wirkte. Verschenkt wurde auch wieder die Friedhofsszene, bei der es keine Statue des Komturs gab und dessen Stimme nur aus dem Off ertönte.
Der größte Unterschied zu 2011 ergab sich in der Besetzung. Hatte die damalige Intendanz auf Internationalität (nur 2 Finnen) gesetzt, so kehrte der jetzige künstlerische Leiter Jorma Silvasti mit Ausnahme der schwedischen Donna Anna zu einheimischen Sängern zurück, ob zum Vorteil des musikalischen Standards dienend, möchte ich einmal dahingestellt sein lassend. Natürlich lässt der übliche „Savonlinna roar“, mit der alle Leistungen falls differenzierungslos akklamiert werden, keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Qualität zu, doch zumindest nach meiner Meinung hoben sich drei Leistungen positiv aus dem Rahmen einer insgesamt durchschnittlichen bis problematischen Besetzung ab. Nach ihrer Königin der Nacht an der Finnischen Nationaloper erbrachte die jungeTUULI TAKALA mit ihrer Zerlina wieder eine Probe ihrer außergewöhnlich schönen, gerade für dieses Fach hervorragend geeigneten Stimme. Auch wenn sie sich der Schwierigkeiten der Königin der Nacht imponierend entledigt hatte, kommen hier, im lyrischen Bereich, ihre Stärken am überzeugendsten zur Geltung. Wenn man einen TUOMAS KATAJALA zur Verfügung hat, kann sich der Zuhörer beruhigt zurücklehnen und einen stilistisch hochklassigen, an Oratorien geschulten Don Ottavio von internationalem Format genießen. In seinem Fall bedauerlich, dass Katajala der „Dalla sua pace“-Arie verlustig ging, da man die Prager Version des Werks gewählt hatte. Mit seinen fast 70 Jahren war JAAKKO RYHÄNEN immer noch ein imponierender Komtur, wobei ich mir nicht darüber im Klaren bin, ob das Volumen seiner Stimme in der Schlussszene nicht doch durch künstliche Verstärkung zustande gekommen war.
Mit Takala, Katajala und Ryhänen sind die vokalen Positiva rasch ausgezählt. Durch die Absage des ursprünglich als Leporello vorgesehenen Mariinsky-Basses Pavel Shmulevich kam TAPANI PLATHAN, der als Masetto angesetzt war, in den Genuss, zum Diener Giovannis aufzusteigen, eine Aufgabe, der er sich mit trockenem, nicht im Ohr haftenbleibendem Timbre entledigte, ebenso wenig, wie auch JUSSI MERIKANTO’s Masetto bei aller sauberen Exekution der Notenwerte nicht zum Zuhören zwang. Schwierigkeiten bereitet mir eine Bewertung der schwedischen, an der Königlich Dänischen Oper engagierten Donna Anna GISELA STILLE’s, die dort ein breites Feld an Partien abdeckt, von Musetta bis hin zu Lulu und Salome. Gewiss eine hervorragende Stimmgestalterin, die mit den vokalen Anforderungen ihrer Partie keinerlei Probleme hatte, doch kam mir ihre Stimme zu anonym timbriert vor, um einen nachhaltigeren Eindruck zu erzielen. Wenigstens sang sie mit einer Stimme, was man leider von HELENA JUNTUNEN’s Donna Elvira nicht sagen kann, die sich der Aufgabe, eine hysterische Alte auch mit vokalen Mitteln zu gestalten, mit drei verschiedenen Stimmen und recht ordinär künstlich herunter gedrückter Bruststimme entledigte, wobei ihrer Höhenschärfen peinigend evident wurden. Hier war die Prager Fassung bei gestrichener „Mi tradi“-Arie für die Ohren empfindlicherer Zuhörer nur von Vorteil.
Und der Titelheld WALTTERI TORIKKA? Ûber ihn hatte ich vor zwei Jahren anlässlich eines Gedenkkonzerts für den großen Martti Talvela in Juva geschrieben, „dass Torikka nicht nur Besitzer einer gut durchgebildeten Stimme ist, sondern darüber hinaus eine charismatische Persönlichkeit ist, die Stimme, Ausdruck und Darstellung zu untrennbaren Ganzen vereint“. Den letzten Teil meiner damaligen Meinung würde ich auch heute noch unterschreiben, denn er ist wirklich ein überzeugender Darsteller, aber ob er auch ein guter Sänger ist, möchte ich nach dem gestrigen Giovanni mit Fragezeichen versehen. Zweifellos ein Bassbariton, damit im Prinzip für Giovanni gut geeignet, traten seine stimmlichen Mängel überdeutlich zu Tage. In manchen Szenen war sein Material erschreckend kleinvolumig, dazu von gaumiger Tonproduktion. Sein Ständchen glich einem Offenbarungseid; dahingesäuselt, zeigte es sein Unvermögen zu einem gut durchgestützten piano. Für den fast 32jährigen Torikka, der durch seinen Sieg bei dem TV-Wettbewerb „Tähdet“ (=Sterne) große Popularität errungen hat, ist es noch ein weiter Weg, ein guter Opernsänger zu werden. Ob ihm die Intendanz Savonlinnas einen Gefallen getan hat, ihn als Don Giovanni herauszustellen, möchte ich bezweifeln, wenn auch diese Ansetzung sicherlich dem Kartenverkauf nützlich war.
Für „Staubis“ wie den Rezensenten, für den Wilhelm Furtwänglers romantisch-dramatische Interpretation dieses Werks (Film der Salzburger Festspiele) unauslöschliche Eindrücke hinterlassen hat, ist es schwierig, JOHN STORGÅRD’s Werksicht unvoreingenommen gerecht zu werden, doch ergibt sich natürlich die Frage, ob eine solche Interpretation wie unter Furtwängler, Mitropoulos oder auch Böhm heute noch möglich wäre oder sogar akzeptiert werden würde. Zu sehr hat sich der Geschmack in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Somit sei also festgehalten, dass Storgårds stromlinienförmiger Ansatz, dem heutigen Zeitgeschmack folgend, in sich vollkommen logisch aufgebaut und zudem sängerfreundlich war. Dass ich mich nach mehr Dramatik sehnte, ist offensichtlich mein Problem!
Sune Manninen 10.7.16
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