Dresden, Ballett: „Dornröschen“, Peter Tschaikowsky

Opulente szenische Pracht und tänzerische Bravour bietet das Semperoper Ballett bei der Wiederaufnahme von Tschaikowskys Klassiker Dornröschen. 2007 war die Produktion in der Choreografie von Aaron S. Watkin nach dem Original von Marius Petipa herausgekommen. Für die jetzige Neueinstudierung hatte der Künstlerische Leiter der Compagnie Marcelo Gomes einige Szenen neugestaltet, vor allem das Finale des 2. Aktes Im verwunschenen Wald. Der Choreograf lässt diese Szene nach der Traumvision des Prinzen Florimond mit Aurora und der Fliederfee mit einem weiteren Pas de deux des jungen Paares enden, diesmal als realistische Variante, die Gomes „Duett des Erwachens“ nennt. Denn der Prinz findet Aurora tatsächlich im Wald auf einer Baumwurzel schlafend, wo er sie wach küsst. Dieser Schauplatz ist ein recht seltsamer Einfall, aber das neu geschaffene Tanz Duo in perfekter klassischer Manier fügt sich blendend in den Gesamtstil des Werkes ein. Als musikalische Folie diente Gomes jene verträumt-lyrische Adagio, welche Rudolf Nurejew einst für sein neu geschaffenes Solo des Prinzen, das dessen romantischen Sehnsüchte ausdrückt, genutzt hatte.

© Jubal Battisti

Kanako Fujimoto in der Titelpartie und Julian Amir Lacey als Prinz sorgen hier für tänzerisch beglückende Momente und zeigen auch die Zuneigung und erwachende Liebe der jungen Menschen berührend. Die japanische Erste Solistin des Ensembles hatte schon im 1. Akt mit ihrem lebhaft-flinken Auftritt, einer anmutig-graziösen Variation und den sicheren Balancen im Rosen-Adagio für Aufsehen gesorgt. Ihre vier schmucken Kavaliere Anicet Marandel, Johannes Goldbach,Francisco Sebastiao und Vincenzo Mola sind nicht nur optisch attraktiv, sondern auch tänzerisch hochmotiviert. Die ersten Drei können als Kavaliere im virtuosen „Juwelendivertissement“ des letzten Aktes ihre Leistung noch toppen. Gomes verzichtet beim Hochzeitsfest auf den Auftritt der beiden Katzen und der Märchenfiguren, aber natürlich nicht auf den Pas de deux des Blauen Vogels mit der Prinzessin Florine. Hier gelingen dem Amerikaner Skyler Maxey-Wert und der Kanadierin Swanice Luong eine spektakuläre Interpretation. Seine hohen Sprünge und die stupend biegsame Körperlichkeit dürften den Halbsolisten der Compagnie bald aufsteigen lassen. Wie zumeist setzt das Protagonisten Paar in strahlendem Weiß am Ende das tänzerische Glanzlicht mit dem Grand pas de deux. Mit aristokratischer Eleganz und seltener Perfektion zelebrieren sie die anspruchsvollen Teile dieser Nummer, musikalisch von der Apotheose gekrönt, dem auch szenisch entsprochen wird, wenn der Prinz und die Prinzessin mit langen blauen Schleppen dekoriert werden. Überhaupt ist die Pracht der Ausstattung schier unbeschreiblich und sorgt neben dem tänzerischen Niveau  beim Publikum für ein unvergessliches Aufführungserlebnis. Arne Walther hat bei seinen Bühnenbildern das Dresdner Schloss Albrechtsberg einbezogen. Dessen spätklassizistischer Kronensaal mit Säulen, Lüstern sowie Decken- und Lunetten-Malereien wurde in seiner Kostbarkeit bewundernswert wiedergegeben. Ähnlich überwältigend sind die Fülle und luxuriöse Pracht der historisierenden Kostüme von Erik Västhed im barocken Stil.

© Jubal Battisti

Schließlich trägt auch die musikalische Seite zur Einzigartigkeit dieses Abends bei, denn die Sächsische Staatskapelle Dresden musiziert unter Benjamin Pope Tschaikowskyswunderbare Musik mit Delikatesse und Klangkultur, schafft aber auch die gebührenden Kontraste zwischen Zartheit und Gewalt. Letztere spiegeln sich markant in den Figuren der Fliederfee (Courtney Richardson mit hoheitsvoller Allüre) und der Fee Carabosse (Zarina Stahnke höhnisch triumphierend) wider. Die Szenen der beiden Tänzerinnen komplettieren eindrucksvoll den Dresdner Ausnahme-Abend. Das Publikum  würdigte ihn angemessen mit anhaltendem Jubel.

Bernd Hoppe, 15. Februar 2024


Dornröschen
Peter Tschaikowsky

Semperoper Ballett, Dresden

Uraufführung am 28. Juni 2007
74. Vorstellung am 11. Februar 2024

Choreografie: Aaron S. Watkin/Marius Petipa/
Marcelo Gomes
Musikalische Leitung: Benjamin Pope

Sächsische Staatskapelle Dresden