Sferisterio 1.8.20
Die projektierte szenische Realisierung der Verdioper war COVID-19 zum Opfer gefallen: allzu schwierig, die Abstandsregeln auf der Bühne einzuhalten, vor allem was den massiven Einsatz des Chors in diesem Werk betrifft. Auch wirtschaftliche Überlegungen dürften eine Rolle gespielt haben, waren doch nur 800 Zuschauer für die sonst verfügbaren rund 2000 Plätze zugelassen.
Also eine konzertante Aufführung, bei der man sich aber eine führende Hand gewünscht hätte, denn zu einer Interaktion zwischen den Sängern kam es praktisch nicht. Manrico schlendert z.B. zu seinen Auftritten, warum stürzt er zumindest im 4. Bild nicht herein? Es gab nur atmosphäreförderne Bildprojektionen (Ernesto Scarponi), etwa von Wolken, und die farbige Beleuchtung von Ludovico Gobbi.
Die Realisierung lag also fast ausschließlich auf den Schultern der musikalischen Interpreten. Am Pult des Orchestra Filarmonica Marchigiana stand der dreißigjährige Vincenzo Milletarì aus Tarent. Nach Studien in Brescia wurde er von keinem Geringeren als Riccardo Muti als einer von vier in dessen Dirigentenkurs aufgenommen. Entsprechend groß waren die Erwartungen gegenüber dem jungen Mann, doch ließ er noch allzu viele typische Anfängerfehler hören, als da sind abrupte Tempowechsel oder nervtötende Generalpausen, es fehlte die paradox klingende, doch nötige „Atemlosigkeit“ des Ablaufs, im 5. Bild wurde das Blech zu stark hervorgehoben. Auch die Gestik war mehr übertrieben ausschwingend denn Sicherheit und Stabilität vermittelnd; dabei soll ein gewisses Talent nicht geleugnet werden, nur war der Schritt zum Festival wohl etwas vorschnell . Ausgezeichnet der im Hintergrund auf Stühlen im Sicherheitsabstand sitzende CORO LIRICO MARCHIGIANO „VINCENZO BELLINI“, der durch die Übernahme der Chordirektion seitens Martino Faggiani deutlich profitiert hat.
Die Titelrolle sang Luciano Ganci mit strahlendem Tenor, von dem man sich allerdings ein wenig mehr Piani gewünscht hätte, wodurch z.B. „Ah sì, ben mio“ (bei dem auch der Triller fehlte) viel von seiner Intensität verlor. Nachdem der Sänger das offenbar jeden Manrico konditionierende „Di quella pira“ überwunden hatte, zeigte er sich im „Miserere“ verbessert und im letzten Bild auch körpersprachlich gelockerter. Seine Leonora Roberta Mantegna ließ in der Auftrittsarie noch ein Vibrato hören, das fürchten ließ, die junge Sängerin habe zu früh eine Rolle wie Aida übernommen, überzeugte aber mit einer sehr schön gesungenen zweiten Arie samt Cabaletta. Als Azucena musste Veronica Simeoni aus Martina Franca geholt werden (siehe dort), um Sonia Ganassi wegen eines Todesfalls in deren Familie zu ersetzen. Hört man diese Interpretation, wünscht man sich mehr denn je, Giuseppe Verdi hätte seine ursprüngliche Absicht, die Oper „Azucena“ zu nennen, realisiert. Als einzige vermochte die Künstlerin eine lebendige Figur auf die Bühne zu stellen, die erlebte und durchlitt, was sie sang. Die helle Farbe ihres Mezzos war dabei kein Hindernis, auch weil es ihr gelang, die Tiefe bruchlos mit der Mittellage zu verbinden. Eine große Leistung, die vom Publikum entsprechend honoriert wurde. Leider war der Luna von Massimo Cavalletti nicht einmal Mittelmaß, sondern darunter. Die Stimme saß ganz hinten im Hals, Spitzentöne wurden mühevoll herausgeschleudert, Registerwechsel war ein Fremdwort. Dazu kam ein unerträgliches Distonieren. Eine Leistung zum Vergessen. Für den Ferrando hatte Davide Giangregorio ein etwas zu leichtes Organ, doch bemühte er sich um plastischen Ausdruck. Fiammetta Tofoni war eine recht farblose Ines, dafür sang Didier Pieri einen sehr markanten Ruiz.
Da verschiedene Bürgermeister aus der Region Marche anwesend waren, wurde zu Beginn auch die italienische Hymne gespielt und vom Chor gesungen.
Eva Pleus 15.8.2020
Bilder (c) Arena sferisterio