Film: „Mary, Marianna, Maria“, The Unsung Greek Years of Callas

Am 2. Dezember vergangenen Jahres wäre Maria Callas hundert Jahre alt geworden. Nicht ihr Geburtsland, die USA, sondern ihr Herkunftsland, in das ihre Familie, allerdings ohne den Vater, 1937 zurückkehrte, Griechenland, hielt aus diesem Anlass beachtliche Ehrungen für sie bereit. So wurde die Zweieuromünze mit ihrem Konterfei versehen, wurde das Zimmer des Dekorateurs George Grandpierre, in dem sie ihre letzten Jahre in Paris verbrachte, in einem eigens für sie eingerichteten Museum in Athen nachgestellt. „Voller Stolz und Liebe“ widmet man sich ihrem Andenken, wozu auch ein Film gehört, der im Rahmen des Festivals griechischer Filme im Berliner Kino Babylon gezeigt wurde. Dieser widmet sich nicht der Diva mit internationaler Karriere, nicht der Geliebten, ebenso wie sie berühmte Männer wie Onassis und Giuseppe Di Stefano, der erstaunlichen Verwandlung vom dicklichen hässlichen Entlein zum strahlenden Schwan mit Hilfe oder doch nicht eines Bandwurms, der von den Medien gepflegten Feindschaft mit Renata Tebaldi, sondern der Jahre 1938 bis 1945 und der späteren Rückkehr nach Griechenland.

Es geht auch nicht um den noch seiner Uraufführung entgegensehenden Film von Pablo Larrain mit Angelina Jolie in der Hauptrolle oder mit dem ebenfalls noch nicht fertigen Film von Niki Caro mit Noomi Rapace als Maria, sondern um ein besonders für die Griechen heikles Kapitel, die Besetzung durch italienische und deutsche Truppen in den frühen Vierzigern. Die französische Sopranistin Germaine Lubin wurde wegen ihrer Auftritte vor deutschen Soldaten in Paris und in Bayreuth nach dem Krieg inhaftiert und musste Frankreich für einige Jahre verlassen, obwohl es viele Zeugen für ihre Hilfe für von den Nazis Verfolgte gab. Kirsten Flagstad sang nicht einmal in Nazideutschland und erlitt trotzdem Verfolgung im Nachkriegsnorwegen. Maria Callas, damals noch Gesangsstudentin und Schülerin von Elvira de Hidalgo, so wie übrigens auch der Mezzosopran Arda Mandikan, die gemeinsam mit Maria Callas ihr Debut und das mit nur fünfzehn Jahren im Athen erlebte. Sie war wie Maria ein Teenager, als diese vor deutschen und italienischen Offizieren als Tosca, Marta in Tiefland oder Fidelio-Leonore auftrat. Mandikan wird im Verlauf des knapp zweistündigen Films immer wieder Zeugnis ablegen vom Schicksal der Callas und mit ihr die Rückkehr nach Griechenland, als Adalgisa 1960 im Freilichttheater von Epidaurus, erleben, wenn die inzwischen zum Weltstar gewordene Maria die öffentliche Meinung von totaler Ablehnung zu ebenso totaler Anbetung umwandeln kann.

Der Film von Vasilis Louras und Michalis Asthenidis mit englischen Untertiteln zu griechischem Dialog oder umgekehrt geht chronologisch vor und lässt viele Zeitzeugen oder zumindest deren Nachkommen oder Schüler zu Wort kommen, so auch den Sohn des deutschen Dirigenten, der den Fidelio in Athen dirigierte und den die Callas nach dem Krieg besuchte, die Freude darüber ausdrückend, dass er trotz der Kriegsereignisse noch am Leben war. Die Flucht nach Amerika war einmal den instabilen Verhältnissen in Griechenland mit kommunistischen Aufständen, der Feinseligkeit von Ensemblemitgliedern und der Zurückstufung in der Sängerhierarchie geschuldet, die Rückkehr wohl noch mehr als dem griechischen Herzen, das sie in ihrer Brust schlagen hörte, der Liebe zu Onassis zu verdanken. Einem sommerlichen Aufenthalt hat der Film eines seiner wertvollsten Zeugnisse zu verdanken, ein improvisiertes „Voi lo sapete, o mamma“ der Santuzza nur mit Klavierbegleitung, neben den nicht zu bezweifelnden Qualitäten der Stimme auch die Binsenwahrheit bestätigend, dass man sich vor dem Singen einsingen sollte. Noch interessanter und wegen seiner hohen Qualität sehr berührend ist ein bisher unveröffentlichtes „Son giunta“ der Forza-Leonora, das die Callas kurz vor ihrem Tod in ihrer Pariser Wohnung repetierte. Da klingt die Stimme, und das meint auch der Kommentator, besser, d.h. frischer als bei ihren späten Auftritten mit Di Stefano.

Der Film ist faktenreich, seinem Sujet zugeneigt, aber ihm nicht unkritisch gegenüber, und er zeichnet ein farbiges, vielseitiges und Interesse am Sujet wachhaltendes oder erweckendes Bild seiner Protagonistin. Er ist im Rahmen von The Greek Film Festival in Berlin im Babylon in Berlin-Mitte am 22. März noch einmal zu sehen.

Ingrid Wanja, 21. März 2024