Premiere am 16.09.2017
Bildgewaltiges Mysterienspiel
Für die Regie, die Bühnenausstattung und die Kostüme beim neuen Hamburger “Parsifal” zeichnet der inzwischen 83-jährige Achim Freyer verantwortlich. Freyer ist Maler (wie es auch Wieland Wagner war) – und das ist in seinen symbolkräftigen, phantasievollen Bühnenbildern und auch in den kunstvollen Kostümen mit ihren Masken und weiß geschminkten Gesichtern stets zu spüren. Freyers Inszenierung bezieht ihre Stärken aus dieser bildhaften Wirkung, weniger aus der Personenführung, die hier doch oft sehr statisch ausfällt. Im 3. Akt etwa passiert fast nichts, außer dass Parsifal und Gurnemanz in endlosen Wiederholungen die Arme zum Symbol des Kreuzes ausbreiten. Quälend oft passiert das und wirkt letztlich ermüdend.
Die Bühnbilder zeigen ein spiralenartiges Gebilde, das durch Spiegel zur Unendlichkeit geweitet wird. In Projektionen sind Zahlen, Buchstaben und geometrische Symbole zu sehen, wie man sie aus der Welt der Freimaurer kennt, aber auch ein Zitat des Schlingensief-Hasen sowie ein Sternenhimmel. Die Assoziationen zur “Zauberflöte” liegen nahe. Die Gralswelt, wie sie hier gezeigt wird, könnte auch für das Reich Sarastros stehen, der hier aber Gurnemanz heißt. Die Bühne ist überwiegend dunkel gehalten, sodaß die Ortung der in mehreren Ebenen postierten Sänger mitunter zum Suchspiel wird. Dennoch – dieser 1. Akt hat eine mystisch-szenische Geschlossenheit, die in ihrer rituellen Strenge und ihrer monochromen Farbgebung fast an eine Art Gottesdienst denken läßt, der mit Elementen eines Hexensabatts angereichert ist. Verstärkt wird der Eindruck noch dadurch, dass zu Beginn der Zuschauerraum ganz langsam und in fast unmerklichen Schritten verdunkelt und am Ende wieder erhellt wird. Die Zuschauer werden zum Bestandteil der “Gemeinde”. Freyer hat hier archaische Mysterien gekonnt in seine Bilderwelt übersetzt.
Ganz anders kommt der 2. Akt daher. Klingsor und sein Double zaubern mit pyrotechnischen Effekten. In seinem buten Kostüm mit der überdimensionalen Krawatte könnte er einem Zirkus entsprungen sein, zu dessen Personal auch der Harlekin Parsifal gehört. Bei den Blumenmädchen mit ihren Pappbusen in jeder Größe wird auf drastische Symbolik gesetzt. Bunte Luftballons schweben überall auf der Bühne. Der durch eine Neonröhre angedeutete Speer wirkt eher komisch. Kundry entwickelt nur stimmlich ihren Verführungszauber, optisch bleibbt sie die zottelige Urteufelin. Die Personenregie beschränkt sich, bis auf wenige Augenblicke, wieder auf beziehungsloses Herumstehen und direktes Singen ins Publikum.
Im 3. Akt fallen Schneeflocken, alles scheint in Kälte und Verfall erstarrt. Im Hintergrund ist zeitweilig eine bewegte Wasseroberfläche sichtbar. Die Wunden von Amfortas haben sich geschlossen. Der Spiegel senkt sich herab und der neue Gralskönig Parsifal schultert ihn wie Atlas das Himmelsgewölbe. Alles steht wieder auf Anfang. Es ist eine Inszenierung, die trotz bezwingender Details insgesamt doch zwiespätige Eindrücke hinterläßt.
Eindeutig positiv fällt die musikalische Seite aus. Kent Nagano und das Philharmonische Orchster Hamburg musizieren mit teilweise sehr zügigen Tempi. Die Verwandlungsmusiken im 1. und 3. Akt gelingen mit geradezu überwältigender Wucht. Die Orchesterfarben im Klingsor-Akt kommen sinnfällig zur Geltung. Großartig ist die Leistung des von Eberhard Friedrich einstudierten Chors, der mit satter Klangfülle überzeugt.
In der Titelrolle führt Andreas Schager seinen kraftvollen Heldentenor substanzreich und höhensicher durch die Partie. Vielleicht klang sein Ausbruch „Amfortas! Die Wunde!“ im letzten Monat in Bayreuth noch intensiver, aber insgesamt bietet er eine überzeugende Leistung. Das gilt auch für den souveränen Kwangchul Youn als Gurnemanz, der mit sattem Bass die Riesenaufgabe bewältigt und dessen Stimme nur in der Höhe etwas an Substanz verliert. Claudia Mahnke ist eine geheimnisvolle Kundry mit wandlungsreicher und durchschlagender Stimme, die selbst in der Verführungsszene noch ihre eigene Zerrissenheit durchscheinen lässt. Wolfgang Koch singt den Amfortas mit rundem Bariton fast zu nobel. Die Expressivität und das Schmerzvolle der Rolle hätte noch mehr ausgereizt werden können. Den Klingsor gibt Vladimir Baykov mit abgefeimter Dämonie. Der Titurel ist in der Gestaltung von Tigran Martirossian mehr als eine Nebenrolle.
Wolfgang Denker, 18.09.2017
Fotos von Hans Jörg Michel