Zu einem großen Erfolg geriet die Wiederaufnahme von Wagners Rheingold an der Staatsoper Stuttgart. Die Inszenierung lag in den Händen von Stephan Kimmig. Das Bühnenbild besorgte Katja Haß und für die Kostüme zeichnete Anja Rabes verantwortlich. Was der Regisseur und sein Team hier auf die Bühne brachten, war in hohem Maße ansprechend. Gefällig war schon die Idee, das Geschehen in einem Zirkusambiente anzusiedeln. Am Anfang wird ein Passus aus Wagners Revolutionsschriften auf den Hintergrund projiziert. Dieser lautet: Zerstören will ich die bestehende Ordnung der Dinge…Wesentliche Bedeutung erhält hier der Begriff Zerstören. Dem entspricht der Regisseur, wenn er der eigentlichen Handlung eine Katastrophe vorangehen lässt. Dass es eine Revolution gewesen ist, die den Zirkus demoliert hat, ist zumindest möglich. In ständiges Dunkel gehüllt, konfrontiert er die Zuschauer mit einem ausgemachten Alptraum. Hier handelt es sich gleichsam um eine Art von Nachtzirkus, in dem sich allerlei Spukgestalten tummeln und in dem Brüche verständlich werden. Wotan fungiert als egomaner Direktor dieses zerstörten Zirkusbetriebes. Indes ist er seiner früheren Größe verlustig gegangen und hat nicht mehr viel zu sagen. Er verliert sich in Rollenspielen, die ihn gefangen halten. Einen Speer versagt ihm Kimmig, dafür hat er noch beide Augen. Seine in gleicher Weise dem Zirkus entstammende Familie weist auch dunkle Seiten auf.
Gekonnt stellt der Regisseur eine ambivalente Zeichnung der einzelnen Charaktere zur Schau. Die Götter frönen in diesem Nachtzirkus ausgemachter Langeweile. Zum Zeitvertreib sehen sie zwei Artistinnen bei ihren Darbietungen zu. Hochprozentigen Genüssen scheinen sie dabei nicht abgeneigt zu sein. Donner und Froh geben sich sportlichen Betätigungen hin. Sie bewegen sich in Kettcars fort und rudern gerne. Fasolt und Fafner, die in gelben Gabelstaplern auf die Bühne fahren, werden von Kimmig als Bauriesen interpretiert. Sie sind die Inhaber einer Baufirma. Freia fühlt sich enorm zu Fasolt hingezogen und leidet offensichtlich an dem Stockholm-Syndrom. Das wird besonders dann deutlich, wenn sie sich liebevoll an ihren Entführer anschmiegt. Nachdem Fafner seinen Bruder mit einem Messer ins Jenseits befördert hat, reagiert sie betroffen. Resigniert lässt Wotan seine Hosen runter. Ein vorzüglicher Regieeinfall ist es, dass Fasolt augenscheinlich nur scheintot ist. Am Ende darf er sich wieder erheben und sich dann mit Freia langsam im Takt wiegen. Den gänzlich schwarz gewandeten Loge deutet Kimmig recht diabolisch. Der Feuergott erscheint hier als intellektueller moderner Philosoph, der sowohl den Ring als auch den Tarnhelm mal in seinen Händen halten darf. Schlagartig geht ihm dabei auf, über was für eine Macht er da für einen kurzen Moment verfügt. Dennoch gibt er den Ring an Wotan weiter. Alberich wird zu Beginn als langhaariger Angehöriger der Unterschicht vorgeführt. Im dritten Bild mutiert er zu einem neureichen Emporkömmling mit gekürzten Haaren. Im vierten Bild wird er von Wotan und Loge ständig aufs Neue auf einer Wurfscheibe herumgedreht. Die Götter haben sichtbar ihre Freude daran, ihn zu quälen. Die von Kindern gespielten Nibelungen arbeiten an einem Tisch, und Mime hat das Outfit eines Clowns.
Die Rheintöchter sind hier Schülerinnen eines Eliteinternats und überzeugte Anhängerinnen der Friday-for-Future-Bewegung. Auch sie langweilen sich ganz schön. Auch das ständige Hantieren mit Handys verschafft keine Abhilfe. Das gelingt erst Alberich, der von den elegant gekleideten Mädchen kurzerhand für ein Experiment funktionalisiert wird. Dieses hat das Ziel, die marode Zirkuswelt wiederzubeleben. Eine der Rheintöchter schafft zu guter Letzt das Rheingold aus dem väterlichen Safe herbei. Anschließend reflektieren die Mädchen über die Bedeutung des Goldes und die aus ihm fließenden Optionen. Mit der gewalttätigen Reaktion Alberichs, der mit dem nun in einer Schubkarre befindlichen Schatz das Weite sucht, haben sie jedoch nicht gerechnet. Im weiteren Verlauf des Abends sind die Rheintöchter immer wieder präsent. Mit großer Neugierde beobachten sie, was sich da vor ihren Augen abspielt, und machen sich eifrig Notizen. Das Experiment hat noch kein Ende gefunden. Hier wartet der Regisseur mit trefflichen Tschechow‘ schen Elementen auf.
Die auf einem grünen Männer-Fahrrad erscheinende Erda sieht Kimmig als eine Klimaschutz-Aktivistin, die stark in das Fahrwasser einer Greta Thunberg tritt. Spätestens jetzt wird klar, dass es in dieser Produktion nicht zuletzt um Naturschutz geht. Walhall ist niemals zu sehen. Es wird vom Regieteam als geistiger Ort einer Möglichkeit zur Verbesserung der Welt verstanden. Die ebenfalls unsichtbar bleibende Regenbogenbrücke deutet die Regie als die dazu nötigen Mittel. Am Ende wird ein Transparent mit der Aufschrift Lasst alle Feigheit fahren von den Rheintöchtern hereingetragen. Das erinnert stark an Dante und stellt eine Aufforderung dar, sämtliche vorhandenen positiven Energien zu bündeln sowie an diese zu glauben. Dieser Ansatzpunkt des Regisseurs war recht überzeugend und wurde mit Hilfe einer stringenten Personenregie auch spannend auf die Bühne gebracht.
Am Pult waltete Altmeister Marek Janowski vortrefflich seines Amtes. In gemäßigten Tempi wies er dem Staatsorchester Stuttgart gekonnt den Weg durch Wagners anspruchsvolle Partitur, die er recht geradlinig und sehr transparent auslotete. Unter seiner beherzten musikalischen Leistung wurden Einzelheiten hörbar, die sonst in dem starken Orchesterklang untergehen. Die einzelnen Instrumentengruppen waren sauber aufeinander abgestimmt. Gekonnt wartete Janowski mit beeindruckenden Spannungsbögen auf, die in markanten Höhepunkten mündeten. Leider waren an diesem Abend die Hörner nicht in Bestform, wovon zwei Patzer beredtes Zeugnis ablegten.
Unter den Sängern gab es sieben Rollendebüts. Die gesanglichen Leistungen waren insgesamt durchaus beachtlich. Fast durchweg wurde vorbildlich im Körper gesungen. Die einzige Ausnahme davon stellte der recht dünn und kopfig klingende Moritz Kallenberg dar, der jetzt vom Froh zum Loge gewechselt hatte. Ein voll und rund klingender Wotan war Goran Juric. Mit gut gestütztem, intensivem Bariton stattete Michael Mayes den Alberich aus. Lediglich auf der Wurfscheibe zu singen, schien weniger sein Fall gewesen zu sein. Hier klang er manchmal etwas schwach auf der Brust. Ihr erfolgreiches Debüt als Fricka gab Diana Haller, die die Göttin der Ehe mit einem fein fundierten, sauber dahinfliessenden Mezzosopran ausstattete. Eine vokal elegante und gediegene Freia war Esther Dierkes. Mit sonor klingender und bestens fokussierter Altstimme gab Stine Marie Fischer der Erda ein eindringliches Profil. Wunderbar italienisch geschultes, helles und mit tollen Legatofähigkeiten ausgestattetes Bass-Material brachte David Steffens in die Partie des Fasolt ein. Ein markant singender Fafner war Adam Palka. Mit tiefgründigem, profund klingendem Bariton stattete Pawel Konik den Donner aus. Mit substanzreichem Tenor wertete David Kerber die kleine Rolle des Froh auf. Thomas Cilluffo bewährte sich als tadelloser, kräftig intonierender Mime. Von den Rheintöchtern vermochte in erster Linie Josefin Feilers Woglinde nachhaltig zu überzeugen. Aber auch Lucia Tumminelli (Wellgunde) und Deborah Saffery (Floßhilde) waren nicht schlecht.
Ludwig Steinbach, 21. April 2024
Das Rheingold
Richard Wagner
Staatsoper Stuttgart
Premiere: 21. November 2021
Besuchte Aufführung: 20. April 2024
Inszenierung: Stephan Kimmig
Musikalische Leitung: Marek Janowski
Staatsorchester Stuttgart