
Es ist schon immer wieder sehenswert, Sebastian Schwabs bereits im Jahre 2023 an der Stuttgarter Staatsoper uraufgeführtes Singspiel Der Räuber Hotzenplotz. Der Erfolg des Werkes beim großen und kleinen Publikum war stets enorm. Grund genug für die Württembergischen Staatstheater, das Stück auch dieses Jahr zur Weihnachtszeit wieder auf den Spielplan zu setzen. Die hier zu rezensierende Abendvorstellung am Ersten Advent geriet zu einem vollen Erfolg für alle Beteiligten.
Mit Blick auf den hundertsten Geburtstag des Kinderbuchautors Ottfried Preußler erteilte die Stuttgarter Staatsoper vor einigen Jahren dem Komponisten Sebastian Schwab den Auftrag, ein neues Werk der Gattung Musiktheater zu schreiben. Dies sollte auf Preußlers wohl berühmtestem Buch Der Räuber Hotzenplotz beruhen. Derart gesellte sich zu einigen Theaterstücken und drei Filmen über dieses Sujet nun auch noch ein Singspiel. Und das hinterließ einmal mehr einen großartigen Eindruck. Schwab ist in Kooperation mit Elena Tzavara, Anne X. Weber und Susanne Lütje, die das Libretto sowie die Liedtexte verfassten, ein großer Wurf gelungen. Dieses Singspiel bewegt sich ganz nahe an Preußlers Buch und gibt dessen Handlung zum größten Teil unverfälscht wieder. Lediglich an einer Stelle gibt es eine Abweichung vom Original: Der große und böse Zauberer Petrosilius Zwackelmann, ein großer Liebhaber von Kartoffeln, segnet hier zum Schluss nicht das Zeitliche, sondern darf überleben. Nachdem Kasperl die Fee Amaryllis aus ihrem trostlosen Dasein als Unke erlöst hat, entschließt sich Zwackelmann, aus dem Stück auszusteigen und sich in die Kantine zu begeben, wo es an diesem Tag Nudeln mit Tomatensauce gibt. Bratkartoffeln hat er sich gründlich übergegessen. Hier handelt es sich um eine akzeptable und kindgerechte Umdeutung. Schwab und sein Team haben Preußlers Buch ernst genommen und in ein sehr kurzweiliges und vergnügliches Singspiel für Jung und Alt verwandelt.

Einen nachhaltigen Eindruck vermittelte zuerst einmal die Musik. Auffällig war ein reger Wechsel zwischen gesungenen und gesprochenen Passagen. Darüber hinaus führte Schwab oft melodramatische Elemente ins Feld. Ein großer Teil seiner Partitur erinnert an Volksmusik. Auch mit Musical-Klängen wartet er auf. Stark beeinflussen ließ sich Schwab offenbar von Leonard Bernstein. Zudem wird in dem Singspiel eine ausgeprägte Rhythmik spürbar, die sich zuvorderst auf die Figur des Hotzenplotz bezieht. Die soeben angesprochenen Aspekte gelten vor allem für den ersten Akt. Im zweiten Akt merkt man dann stark den Einfluss der italienischen Oper. Da präsentiert Schwab plötzlich sehr lyrische, sanfte und getragene Passagen. Zeitweilig wird die Musik hier auch ausgesprochen dramatisch, womit der Komponist Wagner und Verdi seine aufrichtige Reverenz erweist. Hier haben wir es mit einem gefälligen Potpourri verschiedenster Musikstile zu tun. So extravagante Instrumente wie Akkordeon, Cimbalom, Harmonium und zahlreiches Schlagwerk treten zu den traditionellen Orchesterstimmen hinzu. Daraus resultiert ein vielschichtiger und abwechslungsreicher Klangteppich, den der selbst am Pult des Staatsorchesters Stuttgart stehende Sebastian Schwab sehr intensiv und differenziert auslotete. Dass ein Komponist sein eigenes Werk dirigiert, kommt nicht alle Tage vor. Das war beeindruckend!
Außer ihrer Arbeit am Libretto hatte Elena Tzavara zusätzlich noch die Regie übernommen. In Zusammenarbeit mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Elisabeth Vogetseder nahm sie sich der Handlung mit viel Liebe an und setzte das Geschehen mit großem Einfühlungsvermögen um. Dabei war ihr eine psychologische Entwicklung der Charaktere nicht so wichtig. Ihr kam es vielmehr auf eine holzschnittartige Figurenzeichnung an. Sämtliche Personen und Konflikte sind dem Kasperletheater entlehnt, so auch der Spruch Seid ihr schon alle da? Oftmals kommt es zu Kontakten mit dem Publikum.

Derart wird von Frau Tzavara gekonnt die sogenannte vierte Wand aufgehoben. Einer Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum erteilt sie eine klare Absage. Hierbei handelt es sich um ein altbewährtes Theatermittel – das gilt in gleichem Maße für die Einbeziehung des Parketts, in dem Kasperl und Seppel anfangs sitzen und durch das sich ersterer im zweiten Akt den Weg zur Hohen Heide sucht, in das vergnügliche Spiel. Und am Ende des ersten Aktes ist der Zauberer Zwackelmann im Foyer präsent und trachtet danach, wieder hinter die Bühne zu kommen. Zu Beginn, noch vor Beginn der Vorstellung, mischt sich der Räuber Hotzenplotz unter das Publikum. Bei solchen trefflichen Einfällen haben die Lehren Bertolt Brechts Pate gestanden.
Die ganze Produktion bildet gleichsam ein Theater auf dem Theater, das durch einige kleine Bühnen mit Vorhängen versinnbildlicht wird. Mit Hilfe von Statisten werden diese immer wieder in unterschiedliche Stellungen gebracht. Die Farben dieser Mini-Bühnen sind variabel, was die verschiedenen Personen und Handlungsorte charakterisieren soll. So steht die Farbe Gelb für den Räuber Hotzenplotz, die Farbe Rosa für die Großmutter, die Farbe Schwarz für den Zauberer Zwackelmann, die Farbe Orange für den Wachtmeister Dimpfelmoser sowie die Farbe Grün für den Wald. Im Übrigen werden die immer wieder wechselnden Örtlichkeiten nur angedeutet. Dem Auditorium eröffnet sich ein breiter Raum für eigene Assoziationen. Die Regisseurin erlaubt es den Zuschauern bereitwillig, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, um sich mit der Funktionsweise des Theaters vertraut zu machen. Dabei wartet sie gekonnt mit zahlreichen Theatereffekten auf. Grandios sind die mannigfaltigen Zaubertricks. Frau Tzavaras Personenführung bewegt sich mehr in konventionellen Bahnen, ist aber dennoch recht ausgeprägt. Besonders einprägsam sind in dieser Beziehung der statt eine Zipfelmütze tragende mit einer Narrenkappe versehene Kasperl sowie der Zauberer Petrosilius Zwackelmann. Selbstredend wird auch dem Räuber Hotzenplotz, der immer wieder einer Orchestermusikerin sein Schießgewehr zur Aufbewahrung überreicht, eine sehr individuelle Zeichnung zuteil, die ihm sogar einige sympathische Züge verleiht. Insgesamt haben wir es hier mit einer gefälligen, für große und kleine Zuschauer gleichermaßen geeignete Inszenierung zu tun.

Darstellerisch phantastisch gab Franz Hawlata den Räuber Hotzenplotz. Auch gesanglich vermochte er mit seinem profunden, tiefen Bass zu überzeugen. Eine Glanzleistung erbrachte Elliott Carlton Hines als Kasperl. Schon seine schauspielerische Leistung zeichnete sich durch viel an den Tag gelegte Herzenswärme aus, mit der er seiner Rolle ein ganz eigenes Profil gab. Und gesanglich überzeugte er mit einem sonoren, bestens italienisch fokussierten Bariton, den er nuancenreich und insbesondere im zweiten Akt auch sehr gefühlvoll einsetzte. Weiterentwickelt hat sich Dominic Große in der Rolle des Seppel. Aus dem Zauberer Zwackelmann machte Heinz Göhrig in jeder Beziehung ein wahres Kabinettstückchen. Die Großmutter von Maria Theresa Ullrich zeichnete sich durch einen bestens sitzenden, hellen Mezzosopran und ein einfühlsames Spiel aus. In der Partie der Fee Amaryllis gefiel die über einen schönen italienisch fundierten Sopran verfügende Lucia Tumminelli. Mit maskig klingendem Tenor sang Torsten Hofmann den Wachtmeister Dimpfelmoser.
Ludwig Steinbach, 1. Dezember 2025
Der Räuber Hotzenplotz
Sebastian Schwab
Staatsoper Stuttgart
Premiere: 4. Februar 2023
Besuchte Aufführung: 30. November 2025
Inszenierung: Elena Tzavara
Dirigat: Sebastian Schwab
Staatsorchester Stuttgart