Stuttgart: „Rigoletto“, Giuseppe Verdi

An der Staatsoper Stuttgart ist Verdis Rigoletto in der Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito wieder zu erleben. Das ist sehr zu begrüßen, denn die Produktion des altbewährten Regie-Duos ist einfach grandios. Wieler und Morabito verstehen es hervorragend, die Oper einerseits in einen ganz neuen Kontext zu stellen, andererseits aber dem ursprünglichen Subtext des Werkes in vollem Umfang Genüge zu tun. Mit ihrer absolut erstklassigen Interpretation bleiben sie näher an dem Stück, als man auf den ersten Blick meinen könnte. Ihre Deutung entspricht völlig Verdis Absichten. Vor allem die innere Handlung nehmen die beiden Regisseure sehr ernst und tasten sie nirgendwo an. Ferner besticht ihre gelungene Regiearbeit durch eine famose Verquickung von tragischen mit heiteren Momenten. Dieser Aspekt trägt viel zur Kurzweiligkeit der Vorstellung bei und bildet auch die Hauptintention von Wieler und Morabito, die das Libretto und seine Rezeption mit einem hohen Grad an Gewissenhaftigkeit unter die analytische Lupe nehmen.

© Martin Sigmund

Ausgesprochen stringent war die Personenregie. Das galt nicht nur für die Solisten, sondern auch für den Chor. Das Regie-Duo versteht diesen nicht als ein einheitliches Kollektiv, sondern spaltet ihn in eine Vielzahl von Individuen mit verschiedenen Charakteren auf. Unter den von Nina von Mechow mit dunklen Kostümen versehenen Höflingen erkennt man einige, deren ausgeprägte Niedertracht sofort offenkundig wird. Unter ihnen gibt es indes auch solche, die der verwerflichen Gesinnung ihrer Anführer ausgesprochen negativ gegenüberstehen und deren Taten scharf verurteilen. Die unterschiedlichen Wesenheiten der Handlungsträger werden von der Regie trefflich zur Schau gestellt. Schon von der technischen Seite her ist Wieler und Morabito nicht das Geringste anzulasten. Aber auch ihr Konzept vermag sehr für sich einzunehmen.

Sergio Morabito stellt ihm Programmbuch einen Bezug zwischen der Handlung und dem Theater der Grausamkeit her. Dieses lässt neben Artaud`schen Elementen auch solche von Beckett und Brecht erkennen. In dieser Beziehung werden divergierende Standpunkte spürbar. Brecht jedenfalls huldigen die Regisseure in ihrer Produktion deutlich, und zwar in Form des Theaters auf dem Theater. Das ist zwar nicht mehr neu, aber immer wieder wirksam. Bei Wieler und Morabito ist es der Hofstaat des Duca, der dem Auditorium in dieser Form präsentiert wird – oder auch nicht, denn man sieht ihn gar nicht. Er ist hinter einer Brecht`schen Gardine verborgen, die dem Hauptvorhang der Staatsoper Stuttgart nachempfunden ist und unter der sich am Anfang der Duca und Borsa in stark betrunkenem Zustand hervor rollen. Brecht erweist das Regie-Duo ferner seine aufrichtige Reverenz, wenn es den Zuschauerraum in die Handlung mit einbezieht. Monterone verflucht den Duca und Rigoletto von der Königsloge des ersten Ranges aus. Im zweiten Akt wird einer der Entführer Gildas von den Regisseuren in einer seitlichen Beleuchtungsloge positioniert.

Wenn der Vorhang des Theaters auf dem Theater in die Höhe geht, sieht man eine von Bert Neumann errichtete, karg und düster anmutende Hinterhof-Fassade vor dem Prospekt einer maroden gräulichen Stadtansicht, die im dritten Akt von einem revolutionär wirkenden roten Feuerschein bedeckt wird. Die Revolution ist dann auch der Ausgangspunkt von Wielers und Morabitos Konzeption. Rigoletto, der hier noch den traditionellen Buckel trägt, ist ein begeisterter Anhänger der Französischen Revolution. Dass er sich in das Gefolge des Duca mischt, hat nur den einen Zweck, von dort aus den Aufstand in die Wege zu leiten. Sein ganzes Leben hat er der Revolution verschrieben. Strenggenommen ist es aber überhaupt nicht sein eigenes Dasein, das er lebt, sondern – gleich dem Prinzip des Theaters auf dem Theater – lediglich eine Rolle, in die er nur zu bereitwillig schlüpft. Als Agent provocateur hält er seine Umwelt ständig zu bösen Taten an. Damit verfolgt er das Ziel, das Terrorregime des verbrecherischen Duca von innen heraus zu vernichten. Nachhaltig ruft Rigoletto das Volk zur Revolution auf. Um das zu erreichen, macht er sich bewusst lächerlich. So schlüpft er zum Beispiel in denselben Königsmantel, den Napoleon auf Jacques Louis Davids bekanntem Gemälde von der Kaiserkrönung trägt. Solche Chiffren nützt das Regie-Duo gerne, zahlreich und gleichzeitig auch recht effektiv. Gleichzeitig lässt es nie einen Zweifel daran aufkommen, dass es sich hier um ein Spiel im Spiel handelt. Ein Beispiel für diesen Fakt ist, wenn der Bühnenraum mit Hilfe der Drehbühne um seine eigene Achse routiert und dabei die Rückseite der Aufbauten in ihrer Nüchternheit zur Schau stellt. Dieser Ansatzpunkt ist sehr verständlich. Schon William Shakespeare stellte das Postulat auf, dass die ganze Welt nur eine Bühne sei und alle Menschen in ihr nur Spieler wären. Damit sind die beiden Regisseure bei der Literatur angelangt, für die es ebenfalls große Sympathien zu hegen scheint.

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Indes erweisen sie nicht Shakespeare ihre Hochachtung, sondern vielmehr Victor Hugo, der die dichterische Vorlage Le roi s`amuse von Verdis Oper schuf. Hugos berühmter Roman Les Miserables scheint bei Wieler und Morabito ebenfalls hoch im Kurs zu stehen. Die gänzlich unkonventionell bereits im ersten Akt in Männerkleidern erscheinende Gilda stellen sie gekonnt mit dem Gassenjungen Gavroche aus Hugos Buch auf eine Stufe. Das Mädchen weist in dieser Inszenierung überhaupt nichts Weibliches auf, sondern präsentiert sich als ausgemachter Jakobiner. Rigoletto, mit dem sie ein enges kameradschaftliches Verhältnis pflegt, hat sie mit der Unterstützung Giovannas zu einer überzeugten Revolutionärin erzogen, die sich total den Werten der Französischen Revolution verpflichtet fühlt. In französischer Sprache schreibt sie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf riesige Papierbögen, die von Rigoletto gleich darauf an einer Wäscheleine zum Trocknen aufgehängt werden. Der Narr hat mit seiner Erziehung Erfolg. Es ist gerade Gildas von der Konvention abweichendes männliches Outfit, das sie für den Duca interessant macht. Der von ihr an den Tag gelegte Reiz des Andersartigen zieht ihn überaus stark an und lässt ihn das Mädchen inbrünstig begehren. Auf Dauer vermag er sich mit ihrem burschikosen Äußeren dann aber doch nicht anzufreunden. Gekonnt bringt er Gilda die Freuden des Frauseins näher. So schenkt er der Geliebten ein prächtiges Abendkleid sowie ein kostbares Diadem. Derart ausgestattet tritt sie im zweiten Akt vor ihren verzweifelten Vater. Jetzt beginnt sie, sich von Rigolettos Werten loszusagen. Heftig fühlt sie sich zu der Glamour-Welt des Duca hingezogen und opponiert gegen die Ideale ihres Erzeugers. Dieser weiß zu guter Letzt keinen anderen Ausweg mehr, als ihr im dritten Akt, in dessen Verlauf sie erneut Männerkleidung anlegt, ein Bild des Duca vorzugaukeln, das zu dessen wahrem Charakter in krassem Widerspruch steht. Mit diesem Vorgehen hat Rigoletto zwar Erfolg, der Schuss geht aber nach hinten los. Wenn sich der Narr am Ende von der in einem konventionellen Leichensack ihr Leben aushauchenden Gilda – überhaupt nicht der liebevolle, fürsorgliche Vater als vielmehr der fanatische Revoluzzer – mitleidslos distanziert, wird offensichtlich, dass sie für ihn nur ein Mittel zum Zweck bildete. Unter dem teilnahmslosen Blick der im Hintergrund still dasitzenden Höflinge steigt er zum Schluss, auf der ganzen Linie gescheitert, eine Treppe empor. Das war packendes, spannungsgeladenes Musiktheater allererster Güte, das Wieler und Morabito alle Ehre macht! Die szenische Leitung der Wiederaufnahme lang in den bewährten Händen von Sophia Binder.

Am Pult war Marc Piollet voll in seinem Element. Zusammen mit dem bestens disponierten Staatsorchesters Stuttgart erzeugte er einen von guter Italianita geprägten Orchesterklang, der sich durch zügige Tempi, große Emotionalität und satte Klangfarben auszeichnete.

Nun zu den Sängern. In der Titelpartie des Rigoletto war Martin Gantner zu erleben, der seinen hellen Bariton intensiv und wortdeutlich einsetzte. Leider fehlte es ihm an einer soliden italienischen Gesangstechnik, weswegen seine Leistung nicht ganz so überzeugend ausfiel, wie man es von ihm sonst gewohnt ist. Im deutschen Fach, insbesondere bei Wagner, ist er besser. Wunderbar italienisch fundiert klang hingegen die Gilda von Alma Ruoqi Sun, die eine prachtvolle Gilda sang. Mit großer Inbrunst und viel Gefühl zeichnete sie ein eindringliches Rollenportrait.

© Martin Sigmund

Ihr wunderbar zart und geradlinig gesungenes und bis in die höchsten Höhen eine phantastische Piano- Pianissimo-Kultur aufweisendes Caro nome war der Höhepunkt der Aufführung. Einen vorbildlich im Körper sitzenden, markanten und ebenmäßig geführten Tenor brachte Kai Kluge in die Partie des Duca ein. Goran Juric sang mit profundem Bass einen erstklassigen Sparafucile. Sein Stimmfachkollege David Steffens gab stimmkräftig und ausdrucksstark den Monterone. Bei den beiden Mezzosopranen Maria Theresa Ullrich und Itzeli del Rosario waren die Rollen von Giovanna und Maddalena in vorzüglichen Händen. Solide klang der Borsa von Oscar Encinas. Gefällig entledigte sich Elena Salvatoris Gräfin von Ceprano ihrer kleinen Aufgabe. Lediglich mittelmäßige Leistungen erbrachten Jacobo Ochoa (Marullo) und Shunya Goto (Graf von Ceprano). Nichts auszusetzen gab es an William David Halbert und Nicolas Calderón Bosom als Gerichtsdiener und Page. Eine treffliche Leistung erbrachten die von Bernhard Moncado einstudierten Herren des Staatsopernchores Stuttgart.

Ludwig Steinbach, 27. Oktober 2025


Rigoletto
Giuseppe Verdi
Staatsoper Stuttgart

Premiere: 28. Juni 2015
Besuchte Aufführung: 26. Oktober 2025

Inszenierung: Jossi Wieler, Sergio Morabito
Musikalische Leitung: Marc Piollet
Staatsorchester Stuttgart