War auch Regisseur Philipp Stölzl dem Irrtum anheimgefallen, bei Verdis Il Trovatore handle es sich um eine ganz und gar irrsinnige, unverständliche Geschichte, die in England ein „Do you know the story oft the Trovatore“ zum sprichwörtlichen Beispiel für etwas Sinnloses werden ließ? Dabei ist es doch ganz einfach: Eine Tochter will den Tod ihrer Mutter rächen, indem sie das Kind des Verursachers umbringt, tötet in ihrem Wahn jedoch das eigene Kind und zieht das fremde auf. Dieses verliebt sich in dieselbe Frau wie sein Bruder, der den Rivalen und damit den tot geglaubten Bruder umbringt. Was ist daran schwer zu verstehen? Übrigens erzählt vieles davon Ferrando im ersten Bild in aller Ausführlichkeit und Klarheit. Die Regie jedenfalls versetzte die im spanischen Mittelalter spielende Geschichte in der für die Wiener Festwochen inszenierten und von der Staatsoper 2013 ins Schillertheater übernommenen Produktion in ein Comic-, Stummfilm-, Commedia-dell‘-Arte-Milieu mit grotesken Kostümen (Ursula Kudrna) und ebensolchen, meist hektischen Bewegungen. Placido Domingo wirkte darin wie ein Fremdkörper aus vergangenen Opernzeiten, alle anderen einschließlich Anna Netrebkos schickten sich darein, schienen sogar Spaß am Spiel zu haben. Inzwischen ist in der nun laufenden Serie keiner der damaligen Solisten mehr dabei, am 2.11. waren sogar Leonora und Ferrando durch kurzfristige Einspringer ersetzt worden, so dass das Regiekonzept vor allem vom Chor und von den Darstellern der kleineren Partie umgesetzt wird.
Die Solisten hingegen dürfen sich über weite Strecken hinweg ungestörten Rampensingens erfreuen. Eine unveränderte Hauptrolle spielt natürlich auch das geniale Bühnenbild von Conrad Moritz Reinhardt plus Philipp Stölzl, eine Quaderwand, von der Blut herabfließen kann, Feuer lodert, auf der Videos gezeigt werden können, die sich öffnen und schließen lässt und durch allerlei Verschiebungen Seelenzustände des Personals reflektiert , die kurzum zum Mitprotagonisten des Spiels wird, nicht zuletzt, weil sie das Eingeschlossensein der zwanghaft handelnden Personen symbolisiert.
Keine Star- wie bei der Premiere, aber eine sehr gute Besetzung konnte in der auch Mitte der Woche gut besuchten Staatsoper für Begeisterung sorgen. Als Einspringer garantierte Riccardo Fassi als Ferrando Italianità mit einem tiefdunklen, generös geführten Bass, der nur in der Extremhöhe Farbverluste beklagen musste. Einen kraftvollen Bariton mit Brunnenvergifterqualitäten setzte Vladislav Sulimsky für den Luna ein mit nicht durchgehend idealer Diktion und im „Il balen del suo sorriso“ auch Fahles zu Gehör bringend. Mit kristalliner Höhe, fein modellierten Tönen und agogikreichem Gesang vor allem im „D’amor sull’ali rosee“ war Einspringerin Jennifer Rowley ein würdiger Ersatz für Marina Rebeka, bewältigte auch die anschließende Cabaletta mit Bravour, selbst wenn sich hin und wieder ein schriller Ton einschlich. Mit Baumkuchenfrisur und derb-komischem Spiel, dazu frischer, geschmeidiger Stimme gab ihr Ekaterina Chayka-Rubinstein eine würdige Gefährtin Inez. In diesem Zusammenhang muss unbedingt ein weiteres Mitglied des Internationalen Opernstudios erwähnt werden.
Magnus Dietrich zeigte in dem kurzen Auftritt des Ruiz so viel Stimmschönheit und technische Raffinesse, dass man überrascht aufhorchte und sich über so talentierten Nachwuchs freute. Als Azucena ließ Elena Maximova einen über alle Register hinweg einheitlich schön gefärbten Mezzosopran vernehmen, verband höchste Eindringlichkeit des Singens wie in „mi vendica“ mit klug kalkulierter Phrasierung. Ein zierlich-attraktiver Manrico war Ivan Magri, der mehr Vertrauen in die Akustik des Hauses hätte haben und die Lautstärke seines Gesangs etwas zugunsten von Differenzierungen hätte herunterschrauben können. „Ah si, ben mio“ würde dadurch noch gewinnen, ein hohes C zum Schluss der Stretta gefällt dem Publikum immer, auch wenn es recht schrill klingt und mit einiger Mühe erreicht wird, seine Wirkung verfehlt es nie. Insgesamt machte die Bekanntschaft mit dieser Stimme durchaus Freude, ein „echter“ italienischer Tenor ist immer willkommen. Großartiges leistete der Chor, insbesondere der der Herren als urkomische Soldaten nebst „echter“ Kanone (Martin Wright), Axel Kober maß am Dirigentenpult alle Möglichkeiten einer orchestralen Agogik aus, verhielt sich gegenüber den Sängern als aufmerkamer Begleiter.
Unerwähnt sollte nicht bleiben, dass Peta keinerlei Anlass zu Beanstandungen haben dürfte, denn der Tanzbär, der über die Bühne geschleppt wurde, war kein solcher, sondern ein Mensch.
Ingrid Wanja, 04.11.2022
Verdi „Il Trovatore“ / Premiere am 29.11.2013 – Besuchte Vorstellung 02.11.2022
Inszenierung: Philipp Stölzl
Musikalische Leitung: Axel Kober