Nach 14 Jahren gibt es nun wieder einmal die „Oper aller Opern“ (E.T.A. Hoffmann) in Braunschweig. Man hatte sich für eine Übernahme der Inszenierung an der Oper Dortmund entschieden, die dort im Januar Premiere hatte. Für die Einstudierung am Staatstheater war Regieassistentin Marie Gedicke verantwortlich, die italienische Regisseurin Ilaria Lanzino leitete die Endproben. Sie sieht die Titelfigur als zeitlosen Charakter an, während die anderen Figuren zeitgenössische Kleidung tragen. Das zeigt sich sinnfällig in den Kostümen von Emine Güner: Don Giovanni mit dunkler, wallender Haarpracht trägt einen roten Umhang mit ebenso roter Weste und Spitzen-Jabot. Dieser Rot-Ton taucht bei allen Männern wieder auf, bei Leporello im Jacken-Futter, bei Don Ottavio in der meist vom bürgerlichen Anzug verborgenen Weste; bei Masetto gibt es wenigstens eine rote Fliege zum weißen Anzug.

Im Zentrum des Regiekonzepts stehen die drei Frauenfiguren Donna Anna, Donna Elvira und Zerlina, deren Unterschiedlichkeit gleich zu Beginn deutlich wurde, als zur Ouvertüre auf der Vorbühne die handelnden Personen vorgestellt wurden. So saßen Don Giovanni und Leporello auf einer Bank und beobachteten die auf der Straße flanierenden Personen: Da kamen der Komtur im Gespräch mit seinem – wie sich später herausstellte – Schwiegersohn Don Ottavio entlang, der seine hochschwangere Frau Donna Anna rücksichtslos hinter sich her zog. Donna Elvira, deutlich gezeichnet als alternder Vamp, traf sich mit Männern, die sich aber alle abwendeten, als sie das Profilbild mit der Wirklichkeit verglichen. Schließlich kamen die frisch verheirateten Zerlina und Masetto und ließen sich in unterschiedlichen Posen fotografieren. Dann öffnete sich der schwarze Vorhang, und man sah in ein Esszimmer, wo Donna Anna den Tisch deckte. Im anschließenden Wohnzimmer saßen der Komtur und Don Ottavio; als die Tür geschlossen wurde, erschien Don Giovanni und vergewaltigte die hochschwangere Donna Anna. Über die spannende Frage, was in Donna Annas Zimmer wirklich geschah, hat sich eine Unzahl von Musikwissenschaftlern die Finger wundgeschrieben und haben viele Regisseure gestritten. Ob es tatsächlich eine Vergewaltigung war, bezweifle ich, denn die Faszination Don Giovannis beruht auf seiner Verführungskunst und bestimmt nicht wie hier auf brutaler Gewaltanwendung. Nach dem nächsten Bild, der Aufbahrung des Komturs, geht es im Badezimmer von Donna Elvira weiter, wo sie sich bemüht, die Spuren des Alters zu minimieren. Ausgerechnet an diesem Ort finden sich Don Giovanni und Leporello ein und verstecken sich in der Badewanne. Das ist ebenso unpassend wie das von Elvira zu Leporellos „Register-Arie“ stolz gezückte Register ihrer Eroberungen. Wenn sie wie Don Giovanni der freien Liebe zugetan ist, bleibt unverständlich, warum sie dann dem ihr untreu gewordenen Giovanni nachtrauert. Manches ist durchaus auch witzig in der Produktion wie das berühmte Duett „Là ci darem la mano“, das im für die Hochzeitsnacht von Zerlina und Masetto vorbereiten Schlafzimmer stattfindet. Kurz bevor es Ernst wird, erscheint Donna Elvira hinter einer Kleiderstange und unterbricht die Verführungsszene. Die Räume im ersten Teil wurden während der Rezitative bei geschlossenem Vorhang umgebaut, was einige störende Geräusche verursachte. Im zweiten Teil gab es mit Sofa, Sessel und der Badewanne Einzelnes aus den Zimmern des ersten Teils sowie einiges undefinierbares Gerümpel (Bühne: Frank Philipp Schlößmann); nun hatte Donna Anna ihr wohl in der Pause entbundenes Kind im Arm.

Im Laufe des Abends zeigte sich, dass sich die Frauen erfolgreich gegen die gesellschaftlich gewachsene Position der Männer als ihre „Beherrscher“ zur Wehr setzten. Mit überaus lebhafter Personenführung kam dies alles zur Geltung; längere Arien und Ensembles wurden durch viele Aktionen aufgelockert, durchaus ein Pluspunkt der Produktion. Die Verkleidungsszene im 2. Teil ist sonst meist problematisch; hier gab es eine kleine, aber wesentliche Änderung im Text, wenn Donna Elvira sofort erkennt, dass es nicht Don Giovanni, sondern Leporello ist, mit dem sie sich dann vergnügt und sogar ganz am Schluss mit ihm eine Beziehung eingeht. Allerdings konnte die Schlussszene aus mehreren Gründen nicht gefallen. So war kein Festmahl vorbereitet, sondern eine Bier trinkende, grölende Männerhorde bevölkerte die Bühne, bis der Komtur erschien. Dieser trug einen Megären-Kopf vor sich her, dessen Haare als riesige Schlangenköpfe von schwarz gekleideten Frauen getragen werden. Passend zum Konzept tauchen jetzt alle drei Frauen auf und unterstützen den Komtur bei Don Giovannis Höllenfahrt. Konsequent ist das moralisierende Schluss-Sextett gestrichen.

Am Premierenabend erfreute das beachtlich hohe musikalische Niveau aller Beteiligten. In der Titelrolle gefiel Zacharia Karithi mit dem charakteristischen Timbre seines in allen Lagen überzeugenden Baritons, der vor allem in den lyrischen Szenen und der virtuos dargebotenen „Champagner-Arie“ Wirkung zeigte. Ob sich der sympathische Sänger in den beiden Finali gegen die Orchesterfluten durchsetzen konnte, war in den ersten Parkettreihen nicht einschätzbar. Als Leporello schien sich Rainer Mesecke mit seinem kräftigen, flexiblen Bass in der dankbaren Rolle als Diener Don Giovannis wohlzufühlen; für Lacher im Publikum sorgte er, als er seinen „Herrn“ beim Werben um Donna Elvira nachahmte. Wie vor vierzehn Jahren trat Ekaterina Kudryavtseva als Donna Anna auf; ihr höhensicherer Sopran, dessen Intonation anfangs kleinere Probleme aufwies, hat im Laufe der Jahre einiges an dramatischer Attacke gewonnen, was sich besonders positiv in der mit eindringlicher Intensität gestalteten Bravour-Arie „Crudele! – Ah no, mio bene!“ ausdrückte. Kangyoon Shine Lee alsDon Ottavio erfüllte als Gast von der Deutschen Oper Berlin die berühmte Arie „Dalla sua pace“ mit lyrischem Tenorglanz. Isabel Stüber Malagamba aus dem Braunschweiger Ensemble überzeugte als umtriebige Donna Elvira mit satter Mittellage ihres charaktervollen Mezzosoprans, wenn sie auch in den Höhen etwas grell klang. Mit munterem Spiel und blitzsauberem, immer wieder schön aufblühendem Sopran füllte Veronika Schäfer die Partie der Zerlina aus. Der österreichische Gast Matthias Hoffmann als Masetto gefiel mit prägnantem Bassbariton, während der Koreaner Sungjun Cho, neu im Braunschweiger Ensemble, den Komtur mit sonorem Bass gab. Der von Johanna Motter einstudierte Chor des Staatstheaters Braunschweig fiel durch ausgeprägte Spielfreude auf und erfüllte seine wenigen Aufgaben mit gewohnter Klangausgewogenheit. Das Staatsorchester Braunschweig war in Bestform und unter der umsichtigen Leitung ihres GMD Sraba Dinić trotz flotter Tempi eine sichere Unterstützung der Sängerinnen und Sänger auf der Bühne.
Das Premierenpublikum bedankte sich bei allen Mitwirkenden und dem Regieteam mit starkem Beifall.
Gerhard Eckels, 25. Mai 2025
Don Giovanni
Wolfgang Amadeus Mozart
Staatstheater Braunschweig
Premiere am 24. Mai 2025
Musikalische Leitung: Sraba Dinić
Inszenierung: Ilaria Lanzarino
Staatsorchester Braunschweig
Weitere Vorstellungen: 28. Mai + 1.,6.,8. Juni 2025