Besuchte Vorstellung am 22. März 2018
Premiere am 16. März 2018
Fulminante Hochdramatische
Maida Hundeling
40 Jahre ist es her, dass sich das Braunschweiger Staatstheater an „Elektra“ von Richard Strauss herangewagt hat. Das neue Team hat sich getraut, das in vielerlei Hinsicht schwierige und alle Kräfte des Hauses über die Maßen fordernde Werk nun erneut zu präsentieren. Und wie es das getan hat! Die szenisch konsequente Konzeption und vor allem die stimmliche und musikalische Verwirklichung können sich wirklich sehen und hören lassen.
Maida Hundeling/Johanni van Oostrum
Regisseurin Adriana Altaras hat versucht, hauptsächlich das Innenleben der drei Frauen psychoanalytisch zu deuten, wozu die links vorn am Bühnenrand stehende braune Liege à la Freud im Grunde überflüssig war. Denn ihre jederzeit gut nachvollziehbare Führung vor allem der drei Protagonistinnen, jede für sich ganz starke Darstellerinnen, brauchte solche Äußerlichkeiten nicht. Auch einzelne Aktualisierungen wie das Outfit des Orest als Kriegsreporter oder sein Pfleger als angeblich Blinder, der im Finale in einem Buch liest, waren für die aus sich heraus verständliche Handlung nicht nötig. Diese läuft ab in einem von hohen Mauern begrenzten Raum (Ausstattung: Christoph Schubiger), der zu Beginn wie auch in der Schlussszene von einem riesigen Kleiderhaufen beherrscht wird, was natürlich an die aufgehäuften Gebrauchsgegenstände in den KZs erinnert, zumal im Laufe des Abends immer wieder Kleidung hinzugefügt wird. Die dreigeteilte Drehbühne zeigt auch das Schlafzimmer von Chrysothemis, das mit einer ganzen Reihe von Brautkleidern dekoriert ist – Zeichen dafür, dass Elektras Schwester die grausige Vergangenheit durch Flucht in eine möglichst kinderreiche Ehe verdrängen will. Im Inneren des Kleiderbergs befindet sich Klytämnestras Schlafzimmer, in dem sie sich in ihren Albträumen auf seidener Bettwäsche wälzt und das am Ende blutbesudelt ist. Der Schluss ist hier deshalb ungewöhnlich, weil Elektra ihre Befreiung nicht im Tod findet, sondern zum aus dem Orchestergraben herauf klingenden ekstatischen Tanz ihre bisher getragene männliche Kleidung ablegt und mit offenen Haaren im körperbetonten Kleid die Bühne wie befreit verlässt, während Orest unter seinen Taten schier zusammenbricht.
Ivi Karnezi/Nana Dzidziguri/Carolin Löffler/Edna Prochnik/Maida Hundeling/Ekaterina Kudryavtseva
Wiederum wurde das glänzend disponierte Staatsorchester den in allen Instrumentengruppen äußerst hohen Anforderungen mehr als nur gerecht. Srba Dinić sorgte am Pult durch ungemein präzise Zeichengebung zunächst einmal für den Zusammenhalt des riesigen Apparats einschließlich der Sängerleistungen auf der Bühne. Dabei imponierte besonders, dass trotz aller notwendigen, teilweise großen Lautstärke-Entwicklung die Durchhörbarkeit der komplizierten Partitur immer erhalten blieb.
Für die Hauptpartien sind in Braunschweig Gäste engagiert, die gemeinsam mit den Mitgliedern des Hauses sängerische Leistungen von hohem Niveau erbrachten. Da ist zuerst die fulminante Maida Hundeling in der Titelpartie zu nennen, die die Hysterie Elektras, den Hass gegenüber ihrer Mutter und später ihre staunende Begeisterung über das Wiedererkennen von Orest sehr glaubwürdig zu gestalten wusste. Ihr hochdramatischer Sopran weist eine Klangfülle auf, die Ihresgleichen sucht. Dabei hätte sie anfangs die starken, immer sicheren Spitzentöne sogar noch etwas reduzieren können. Dass sie ihre facettenreiche Stimme auch wunderbar lyrisch und ruhig führen kann, wurde in der anrührenden Erkennungsszene mit Orest deutlich. Mit ebenfalls großem Sopran wartete Johanni van Oostrum als Chrysothemis auf; er blühte geradezu auf, wenn sie von einem Leben fern ab von den Schrecknissen am Hof Klytämnestras schwärmte. Diese wird meist ältlich und verhärmt gezeichnet, nicht so hier: Im Gegenteil, Edna Prochnik trat als attraktive Frau auf, die ihren vollen Mezzosopran beeindruckend durch alle Lagen führte und dabei auch vor passendem Sprechgesang nicht zurückschreckte.
Maida Hundeling/Ernesto Morillo
Bleiben noch die männlichen Hauptakteure, von denen Ernesto Morillo mit seinem etwas rauen, aber markanten Bass Orest war, während Jeff Martin solide den Aegisth gab. Die übrigen kleineren Partien waren Ensemblemitgliedern anvertraut, die sämtlich in Gestaltung und Stimmkraft einen guten Eindruck hinterließen; es waren Ivi Karnezi (Aufseherin), Nana Dzidziguri (erste Magd), Carolin Löffler (zweite Magd/Vertraute), Jelena Kordić (dritte Magd), Ekaterina Kudryavtseva (vierte Magd/Schleppträgerin), Jelena Banković (fünfte Magd) sowie Matthias Stier (junger Diener), Maximilian Krummen (alter Diener) und Ross Coughanour (Pfleger des Orest).
Schade, dass diese großartige Produktion in der zweiten Vorstellung nach der Premiere nur mäßig besucht war; dennoch gab es zu Recht starken, begeisterten Applaus für alle Mitwirkenden.
Fotos: © Bettina Stoess
Gerhard Eckels 23. März 2018
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Weitere Vorstellungen: 30.3.+4.,8.4.+26.5.+1.6.2018