Zum Zweiten
Besuchte Aufführung am 27.05.18
Kindergeburtstag mit Verkleiden
Bevor ich mit der Kritik richtig loslege, verweise ich auf die sehr gute Werkbeschreibung der Vorgängerkritik (unten mit Bildern!) von Gerhard Eckels, da braucht man , bei dem recht selten gespielten Werk nicht zweimal das Gleiche in anderen Worten erzählen. So: Braunschweig spielt also Dmitri Schostakowitschs Sowjetoperette "Moskau, Tscherjomuschki", ein Werk von beschwingter, witziger Melodik voller Ohrwürmer, die wirklich zum Mitsingen und Mitschunkeln animieren. Auch die Thematik um Wohnungsnot in Großstädten und einer Gesellschaftsform, die "die beste aller Welten" sein möchte (letzteres findet sich in "Candide" dem Voltaire-Musical von Bernstein noch globaler bezogen), und dabei an der Egozentrik und Bestechlichkeit des einzelnen, menschlichen Individuums scheitern, wird wohl ewig aktuell bleiben. Prädikat: spielenswert ! Allerdings birgt die Operette auch große dramaturgische Schwierigkeiten, denn der zweite Teil mit seinen teils surrealen Szenen und den vielen musikalischen Reprisen will szenisch gekonnt umgesetzt sein.
Neco Celik hat sich als Regisseur im Musiktheater sehr durch die stringent dramaturgischen Opern Ludger Vollmers oder kleinformatigen Werken hervorgetan, mit der Schostakowitsch-Operette betritt er traditionelleres Terrain, was ihm bis zur Pause auch recht gut gelingt, die Szenen werden erzählt, drei Tanzpaare vom Braunschweiger TSC beleben die Bühne, die eigentlich recht sparsame Bühne von Stephan von Wedel wird durch die Videos von Vincent Stefan optisch hübsch aufgemöbelt, die Kostüme von Valentin Köhler verbreiten eine Ostalgie mit historischem Sowjet-Charme. Die Choreographien funktionieren nicht aufregend oder raffiniert, aber sie funktionieren und gehen wohl auch auf das Konto des Regisseurs. Soweit die Haben-Seite, man geht beschwingt in die Pause und freut sich auf den Rest der Vorstellung. Doch dann wird es irgendwie peinlich, denn die Regie läßt jegliche Erzählstruktur vermissen, wäre nicht das Programmheft, würde man eigentlich gar nicht mehr verstehen, was da auf der Bühne vor sich geht. Alles spielt irgendwie miteinander, durcheinander, Kostüme werden gewechselt, durchaus aparte Videos laufen zu der schönen Musik; es wirkt wie ein großer improvisierter Kindergeburtstag, wo die lieben Kleinen Verkleiden spielen – Spannung hat das allerdings nicht mehr, und in vielen Köpfen entsteht das kleine Wörtchen: "Hä?"
Musikalisch ist der Abend wesentlich erfreulicher, denn das Staatsorchester Braunschweig unter Ivan Lopez Reynoso vermag den Charme, den Schwung und auch die russische Melancholie der Partitur bestens einzufangen, der horrend schnelle Galopp einer Autofahrt durch Moskau gerät besonders brilliant. Auch der Chor erfreut mit Klangpracht und Spielfreude. Vincenzo Neri als Boris gefällt mit substanzreichem Bariton und viel Charme, empfiehlt sich quasi schon für den Danilo ("lustige Witwe") in der nächsten Saison. Ekaterina Kudryavtseva als Lidotschka gefällt als intellektuelle Sowjetfrau mit strahlendem Sopran und wirkt einfach musikalisch authentisch. Matthias Stiers gutgeführter Tenor bringt fein eingesetzte Effekte vor allem im Duett mit Ivi Karnezi als Bauarbeiterin Ljusja, ihr scheint die Partie von der Tessitur nicht so perfekt zu liegen, was zu leichten Verhärtungen und etwas schrillen Höhen führt. Nana Dzdizdiguri und Maximilian Krummen als Ehepaar Mascha und Sascha bezaubern in ihren Duetten, vor allem im ersten mit dem herrlich sentimentalen "Do Zwidania". Michael Eder singt mit sonorem Bassbariton den klotzigen Funktionär Drebednjow und Carolin Löffler gibt als wunderbare Knallcharge die bauernschlaue Wawa dazu. Andreas Mattersberger und Eugene Villanueva mit ihren schönen tiefen Stimmen komplettieren als Baburow und Barabaschkin das große Solistenensemble, in dem jeder doch mindestens eine schöne Musiknummer hat sich zu präsentieren, Chorsolisten in kleinen Einzelpartien runden den guten vokalen Eindruck ab.
Fazit: szenisch leider etwas verschenkt, was wieder zeigt, daß das vermeintlich "Leichte" in Wahrheit das "Schwierige" ist. Musikalisch wieder einmal eine echte Entdeckung in hoher Professionalität dargebracht.
Martin Freitag 31.5.2018